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Das Leben und Wirken des Qewal Yusuf
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Yazidi Kawals

Yazidi Kawals
Bis heute hat sich, mit Ausnahme von John S. Guest, niemand ausführlich mit dem Leben und dem Wirken von Qewal Yusuf beschäftigt. Auch Eziden haben es versäumt, sich mit ihm auseinander zusetzen – und das obwohl Qewal Yusuf zu den aktivsten und prominentesten ezidischen Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts gehörte. In diesem ausführlichen Beitrag wird auf das Leben und Wirken de Qewal Yusuf eingegangen.
Die Hauptquellen zum Leben von Qewal Yusuf sind die Berichte britischer Reisender, vor allem die des Archäologen Austen Henry Layard, der eine sehr innige Freundschaft zu den Eziden pflegte, sich politisch für sie einsetze und sich mit ihren Oberhäuptern anfreundete. Darunter auch Qewal Yusuf, mit dem Layard einige gemeinsame Reisen unternahm. Ihm erlaubte Qewal Yusuf als ersten Außenstehenden einen tiefen Einblick in die ezidische Gesellschaft und Religion. Diese seltene Öffnung ebnete den Weg für Layard, mit vielen Vorurteilen gegenüber den Eziden aufzuräumen. Auf langen Reisen erlebten beide spannende Abenteuer, die ihre gemeinsame Freundschaft prägte.
Qewal Yusuf kann daher als erster ezidischer Würdenträger bezeichnet werden, der die bis dahin als geheimnisvoll geltende Religion der Eziden nach Außen öffnete. Seinem Wirken ist es auch zu verdanken, dass zahlreiche sakrale Texte der Eziden bis heute erhalten geblieben sind.

Geburtsort, frühe Jahre und Oberhaupt der Qewals
Qewal Yusuf wurde in dem Dorf Bahzan im heutigen Nordirak geboren und gehörte einer Qewal-Familie an. Die Qewals sind Würdenträger, die die sakralen Texte der Eziden studieren, auswendig lernen und rezitieren. Zur der Rezitation spielen sie auf die für die Eziden heiligen Instrumente „Def“ (Tamburin) und „Şibab“ (Flöte). Jeder sakrale Text hat dabei seine individuelle Melodie. Um Qewal zu werden, durchlaufen die Schüler eine Ausbildung, die sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken kann. Das Ezidentum ist keine Schriftreligion, die Eziden besitzen also anders als Christen, Muslime und Juden keine heilige Schrift. Die Religion wird mündlich von Generation zu Generation weitergegeben, weswegen die Eziden eine hochentwickelte mündliche Tradition entwickelt haben. Die sakralen Texte, die von Eziden Qewl (Hymnen) genannt werden, sind die Quelle zur ezidischen Mythologie, Weltvorstellung und Philosophie. Die Qewals werden von den Eziden auch daher als „die Hüter des Ezidentums“ bezeichnet. Ihren Sitz haben die Qewals in den zwei bedeutenden ezidischen Dörfer Baschiq und Bahzan im Nordirak.
Auch Qewal Yusuf musste diese langjährige Ausbildung absolvieren. Seine Jugend verbrachte er in einer Zeit, in der die Eziden in einer sehr bedrückenden und bedrohlichen Situation waren. Ohne Umschweif lässt sich sagen, dass die Eziden kurz vor der Auslöschung ihrer Existenz standen: der kurdische Fürst Mohammed Rawanduzi begann 1831 in Sheikhan, neben Shingal ein Hauptsiedlungsgebiet der Eziden in dem ihr Zentralheiligtum Lalish und die Dörfer Baschiq und Bahzan liegen, mit einem der größten und verheerendsten Vernichtungsfeldzüge gegen die Eziden. Schutzlos waren die Eziden den 50.000 überwiegend kurdischen Kämpfern des Mohammed Rawanduz ausgeliefert. Die Eziden wurden sowohl von der Bevölkerung von Mosuls als auch von dem kurdischen Bahdinan-Fürstentum, unter dessen Schutz und Dienst sie eigentlich standen, im Stich gelassen. Zweidrittel der ezidischen Bevölkerung in Sheikhan wurde ausgelöscht, tausende Frauen und Kinder wurden offiziell versklavt und auf Märkten verkauft. Diesen Vernichtungsfeldzug führte Bedirxan Beg, der kurdische Fürst von Botan, fort. Hinzu kamen die grausamen Feldzüge der osmanischen Befehlshaber Reschid Pascha und Hafiz Pascha gegen Shingal, in deren Folge auch die Mehrheit der Bevölkerung in Shingal ermordet wurde.
Der Vater Qewal Yusufs, Qewal Hussein, war ein einflussreicher und beliebter Würdenträger der Eziden, gehörte dem alten ezidischen Stamm der Dumili an und war das Oberhaupt der Qewals. Er starb auf einer seiner Rundreisen in Shingal in der Nähe des ezidischen Dorfes Aldina. Der britische Archäologe Austen Henry Layard, der sich mit Qewal Yusuf anfreundete, berichtet:
„Zum Andenken an den Verstorbenen bringt man hier Opfer von Schafen, die aber durchaus keine religiöse Bedeutung haben. Das Fleisch, dem man oft noch eine Summe Geldes zulegt, wird unter den Armen verteilt. Da ich diese Zeremonie, welche keinen anderen Zweck hat als Mitleiden und Wohltätigkeit zu befördern, nur billigen konnte, ließ ich selbst am Grabe des Kawals ein Schaf opfern, dem einer meiner Reisegefährten noch ein zweites beifügte, und ließ das Fleisch unter die Notdürftigen verteilen.“
Zwischen den Jahren 1844 und 1849 wurde Qewal Yusuf zum Nachfolger seines Vaters und zum Oberhaupt aller Qewals ernannt. Er war fortan mit der Organisation religiöser Zeremonien, Feierlichkeiten sowie den zyklischen Rundreisen zu den entferntesten ezidischen Gemeinschaften beschäftigt. Vor allem aber mussten unter seiner Führung viele neue Qewals ausgebildet werden, da Mohammed Rawanduz während seiner Zerstörungswut in Sheikhan viele Qewals töten ließ. Das Erbe des Ezidentums, gehütet von den Qewals, drohte zu verschwinden. Die Ausbildung neuer Qewals war daher unerlässlich. Qewal Yusuf erkannte die Gefahr und ließ zahlreiche neue Qewals ausbilden. So konnten viele heilige Überlieferungen gerettet werden.
Ezidische Qewals, die sakrale Texte rezitieren und die heiligen Instrumente spielen, 1849 von Layard gezeichnet
Der osmanische Sultan Abdülmecid I. (1823 – 1861) war zu dieser Zeit damit bemüht, in seinem Reich Reformen durchzusetzen. Dazu gehörten die Religionsfreiheit für alle Religionsgruppen und die Abschaffung und Bekämpfung der Sklaverei. Der geistige Rat in Lalish, die höchste religiöse Instanz im Ezidentum, nutzte diese Möglichkeit, um die Eziden vom Militärdienst zu befreien, Religionsfreiheit einzufordern und gegen die Sklaverei zu protestieren. Die Eziden galten dem islamischen Recht nach als Schrift- und damit als Rechtlose. Dennoch verfasste der Rat ein an den Großwesir des Sultanats adressiertes Schreiben, und bereitete eine Delegation nach Istanbul vor. Qewal Yusuf wurde zum Leiter der Delegation, bestehend aus fünf wichtigen ezidischen Würdenträgern, ernannt.
Im Oktober 1848 wurden Vorbereitungen für die Reise der Delegation getroffen, unterstützt wurden die Eziden vom Assyriologen Hormuzd Rassam (1826 – 1910), der ihnen half nach Istanbul zu reisen und die Eziden an den britischen Botschafter in Istanbul Stratford Canning (1786 – 1880) vermittelte. Die Kosten der Reise und der Verpflegung der Delegation wurden mit Spenden der Eziden finanziert.
Zu Beginn des Jahres 1849 trat die fünfköpfige Delegation unter der Führung von Qewal Yusuf die Reise nach Istanbul an. Da die Reise für die rechtlosen Eziden nicht ungefährlich war, wurde die Delegation von fünf weiteren bewaffneten Männern begleitet.
Zur selben Zeit hielt sich Layard bereits Istanbul auf, wo er einen Posten in der britischen Botschaft bekleidete. Die ezidische Delegation suchte nach einigen Monaten in Istanbul die Wohnung von Layard auf und bat um Unterstützung; der langjährige Freund der Eziden zögerte nicht lang und vermittelte sie mit dem einflussreichen Botschafter Stratford Canning.
Layard beschreibt Qewal Yusufs bei seiner ersten Begegnung folgendermaßen: „Der Kawal trug die Kleidung seiner Sekte und seines Amtes. Sein dunkles Gesicht und seine regelmäßigen ausdrucksvollen Züge waren von einem blauen Turban beschattet, und eine gestreifte Aba von grobem Zeuge fiel in weiten Falten über ein Kleid von roter Seide.“
Auch Canning neigte nicht dazu, viel Zeit zu verlieren und setzte sich für die Belange der Eziden ein. Durch seinen Einsatz und weiterer Vermittlung der Delegation, wurde den Eziden ein Befehl des Sultans ausgefertigt, der die Sklaverei an ihnen verbot, ihnen volle Religionsfreiheit und Gleichstellung mit allen anderen Religionen im Reich zusicherte und sie von Militärdienst befreite.

In den britischen Archiven sind sowohl die Briefe Cannings bezüglicher der Delegation sowie der Brief der Eziden an den osmanischen Großwesir erhalten und wurden erstmals von John S. Guest publiziert. Die Unterzeichner des Briefes an das Sultanat sind neben dem weltliche Oberhaupt Mir Hussein Beg, das religiöse Oberhaupt Sheikh Nasir, Qewal Yusuf sowie zahlreiche weitere ezidische Würdenträger und Oberhäupter ezidischer Ortschaften.
Nachdem Qewal Yusuf seine Mission damit beendet hatte, schlug ihm Layard vor, ihn nach Mosul zu begleiten. Layard hatte nach Jahren endlich die nötige Unterstützung erhalten, seine Ausgrabungen in Ninive fortzusetzen. Im Auftrag des British Museum begleiteten ihn für dieses Vorhaben zudem Hormuzd Rassam, der britische Künstler Frederick Cooper und der Arzt Humphry Sandwith.
Qewal Yusuf willigte in Layards Vorschlag ein und schloss sich seiner Reisegesellschaft an. Die vier weiteren ezidischen Mitglieder der Delegation verblieben in Istanbul, bis die Dokumente der Hohen Pforte fertiggestellt und an sie ausgehändigt wurden.
Während des Aufenthalts nutzte der britische Musiker Lowy die Gelegenheit, um einige Noten ezidischer Lieder aufzuzeichnen. Qewal Yusuf spielte sodann seine Flöte und begann einige sakrale Texte und ein ezidisches Klagelied zu rezitieren. So entstanden die ersten aufgezeichneten Noten zu einem ezidischen Lied bzw. einem Lied in Kurmandschi.
Noten zu einem ezidischen Klagelied, aufgezeichnet von Lowy 1849 in Istanbul
Die Vorbereitungen für die Abreise wurden am 28. August 1849 beendet und die Gruppe um Layard und Qewal Yusuf verließ Istanbul auf einem britischen Schiff.

Der Triumphzug durch Redwan
Am 31. August erreichten sie den Hafen von Trapezunt und setzten ihre Reise am nächsten Tag übers Land als Karawanenreise fort und erreichten am 8. September die Stadt Erzurum. Nachdem Layard seine Karawane für die kommende Reise gut ausstattete, setzten sie ihren Weg nach Bitlis fort. Auf dem Weg wurde die Reisegesellschaft von verschiedenen Dörfern herzlich aufgenommen und bewirtet, und die europäischen Reisenden konnten sich an den alten Ruinen und Bauten nicht stattsehen. In Bitlis angekommen erfuhr Layard, dass drei Verwandte des Qewal Yusuf im Jahr 1847 während ihrer jährlichen Rundreise durch ezidische Ortschaften in der Nähe von Bitlis vom kurdischen Fürsten Sherif Beg ermordet wurden. Die Geldspenden der Eziden sowie das Eigentum der Qewals wurde geplündert. Sherif Beg wurde wenige Monate vor ihrer Ankunft in Bitlis besiegt und gefangen genommen. Layard sicherte Qewal Yusuf seine Hilfe zu; mit Hilfe des Gouverneurs konnte Layard den Nachlass des Sherif Beg beschlagnahmen lassen und für Qewal Yusuf das gestohlene Eigentum seiner Gemeinschaft zurückerlangen.
Am 20. September verließen sie Bitlis und Layard wählte für die Karawane eine Route aus, die durch die ezidische Ortschaft in Kherzan führt, da er die dortigen Eziden besuchen wollte. Nach einigen Tagen erreichten sie dann das ezidische Dorf Hemiki und Layard berichtete über einen amüsanten Vorfall mit den Dorfbewohnern und Qewal Yusuf:
„Da die Sonne sich jetzt dem Untergange zuneigte, so verließen die Leute ihre Dreschtennen und räumten ihre Wirtschaftsgeräte zusammen. Sie sahen den großen Trupp Reiter näher kommen und hielten uns für irreguläre Truppen – den Schrecken eines Dorfes in Asien. Kawal Jusuf verhüllte jetzt sein Gesicht bis auf die Augen mit der arabischen Kefieh, die er damals trug, ritt mitten unter die Leute und verlangte in einem barschen Tone Provisionen und Nachtquartier. Die armen Leute steckten die Köpfe zusammen und bezeugten gar keine Lust, dem Verlangen zu willfahren, fürchteten sich aber, eine abschlägige Antwort zu erteilen. Der Kawal ergötzte sich einen Augenblick an ihrer Verlegenheit, dann riss er das Tuch von seinem Gesichte und rief: „o ihr bösen Leute, wollt ihr eurem Priester kein Brot geben und ihn hungrig von eurer Türe treiben?“ Da war auf einmal alles Widerstreben uns aufzunehmen verschwunden. Schaufeln und Gabeln wurden bei Seite geworfen, die Männer stürzten dem Kawal entgegen und drängten sich, ihm die Hand zu küssen. Ein Knabe lief in das Dorf, um dort die Kunde zu bringen, und bald kamen Frauen, Kinder und Greise heraus, um uns zu begrüßen. Wenige Worte reichten hin, um zu erklären, woher wir kämen und was wir verlangten. Alle beeiferten sich, uns zu dienen, und ehe wir uns umsehen konnten, waren die Pferde abgepackt, Zelte aufgeschlagen und Lämmer herbeigebracht. Es war ein allgemeiner Jubel und die armen Jezidi schienen kaum satt werden zu können, ihren Priester anzusehen, denn es ging ein Gerücht, welches gewissentlich von den Mohammedanern, welche von der Reise des Kawal nach Konstantinopel gehört hatten, verbreitet worden war, Jusuf sei nebst seinen Begleitern auf Befehl des Sultans hingerichtet worden, und nicht nur sei die Petition der Jezidi abgewiesen, sondern bereits neue Quälereien für sie in Bereitschaft. Seit acht Monaten hatten sie keine Nachricht vom Kawal erhalten und dieses lange Stillschweigen hatte sie in ihrer Furcht bestärkt, aber „er war tot, und ist wieder lebendig worden, er war verloren und ist gefunden worden“; und sie feierten ein Fest, an dem das ganze Dorf teilnahm.“
Die Ältesten des Dorfes versammelten sich um Qewal Yusuf, der ihnen mit größter Genauigkeit von den tatsächlichen Geschehnissen berichtete – von seinem Aufenthalt in Istanbul, von der Begegnung mit Layard, der Petition an die hohe Pforte und seine Abreise mit Layards Reisegesellschaft. Die Eziden bereiteten für ihre Gäste ein Festmahl zu und einige junge Eziden ritten in die benachbarten ezidischen Dörfer, um sie von der Ankunft des Qewal Yusuf zu unterrichten.
Am nächsten Morgen wurden die Reisegruppe von Lärm und den Freuderufe geweckt. Über Nacht machten sich dutzende ezidische Reiter aus den benachbarten Dörfern bereit, um die Reisenden zu begleiten. Ihr Anführer war Akko, das Oberhaupt des Dorfes Gozelder. Layard beschrieb Akko: „Ein in den Kämpfen der Jezidi berühmter Krieger und, obwohl sein Bart schon längst ergraut war, noch immer rüstiger Mann“. In den ezidischen Liedern wird noch heute von Akko als „Aqoyê Rizgo“ (Akko, der Sohn des Rizgo) und seinem Heldenmut berichtet.
Akko lud die Reisenden zum Essen ein. Layard, der diese Einladung nicht abschlagen konnte, reiste mit seiner Gruppe, die nun von zahlreichen ezidischen Reiter begleitet wurde, in Richtung des Dorfes Gozdelder. Auf dem Weg dorthin wurden sie von weiteren ezidischen Truppen empfangen, bis die Zahl der Begleiteskorte mehrere Hundert Mann umfasste. In Gozelder angekommen, wurden sie erneut freudig empfangen, Lämmer wurden geschlachtet und in Akkos Haus und Hof versammelten sich die Bewohner um mit ihren Gästen zu speisen. Erneut musste Qewal Yusuf seine Geschichte bis ins kleinste Detail erzählen.
Nach dem Gastmahl beschlossen Qewal Yusuf und Layard weiter nach Redwan zu reisen. Ihre Abreise wurde von Hunderten Dorfbewohnern begleitet, und ehe sie das Dorf verließen, wurde die Reisegruppe von großen Truppen, bestehend aus Eziden und Jakobiten, empfangen. Sie ritten weiter durch das Dorf Koshana, und auch dort wurden sie mit allerlei herzlichen Begrüßungen empfangen und zum Essen eingeladen. Dieses Mal lehnte sie jedoch dankend ab und setzten ihre Reise nach Redwan fort.
Auf dem Weg trafen sie dann noch drei Verwandte von Qewal Yusuf, die sich der Reisegruppe anschlossen. Umso größer war Layards Freude, als er bemerkte, dass es sich um jene Qewals handelt, mit denen er sich drei Jahre zuvor in Lalish anfreundete.
Qewal Yusuf und Layard marschierten nun in Begleitung von über 1000 Reitern und Bewohnern nach Redwan. In Redwan angekommen, erwartete sie ein noch größerer Empfang. Auch diesmal kamen wieder Reiter aus den benachbarten Dörfern, um die Gäste zu empfangen. Die Dorfbewohner marschierten mit Blumen und Baumzweige hinterher, an der Spitze spielten Musikanten auf Trommeln und Flöten. Alle Eziden und Christen in der Ortschaft Redwan hatten sich für den Empfang versammelt, Layard nannte es treffend „einen Triumphzug“. Sie wurden zu Nasi, dem Oberhaupt von Redwan, eingeladen. Und wieder einmal musste Qewal Yusuf seine Geschichte erzählen.

Das Sanjak und die Überreste eines ezidischen Fürstentums
Layard, der sich von den Strapazen der Reise erholen wollte, wurde in die örtliche Kirche gebrachte und begann sich dort mit der Geschichte von Redwan zu beschäftigen. Er erfuhr, dass Redwan einst ein mächtiges autonomes Ezidengebiet war und Nasi der Neffe des Mirza Aghas, des letzten unabhängigen Fürsten von Redwan. Die Kirche, in der er sich aufhielt, wurde von Mirza Agha ausdrücklich für die in seinem Gebiet lebenden Christen gebaut; für Layard war diese Geste „ein schönes Beispiel von Toleranz und Freiheit von Vorurteil, welches wohl auch von zivilisierteren Leuten nachgeahmt zu werden verdiente“.
Bis tief in die Nacht feierten die Bewohner Redwans gemeinsam die Ankunft Layards und des Qewal Yusuf. Sie tranken alkoholische Getränke, sagen und tanzten bis in den Morgen.
Während der Rundreisen der Qewals führten diese immer eine für die Eziden heilige Statue, ein Taus-Sanjak, mit. Layard bat Qewal Yusuf ihm dieses Sanjak zu zeigen und ihm Auskunft über das Ezidentum zu geben. Qewal Yusuf und die anderen hatten keine Einwände und betraten mit Layard einen Raum. Dort erklärte Qewal Yusuf Layard, dass es sich beim Sanjak um das Banner des Hauses des weltlichen, ezidischen Oberhauptes handelt. Auf einer seiner früheren Rundreisen in Shingal wurde Qewal Yusuf von einer arabischen Räuberbande überfallen, konnte aber das mitgeführte Sanjak retten und es dann zurück nach Lalish bringen. Layard fertigte von diesem Sanjak eine Zeichnung an.
Nach dem Frühstück setzten sie ihre Reise nach Mosul fort und wurden von einigen bewaffneten Eziden begleitet. Die Eziden aus Redwan schenkten ihnen einen Hund, der zum Spielgefährten der Reisegesellschaft wurde.

Ein Wiedersehen mit alten Freunden
Qewal Yusuf entsandte zuvor bereits einige Boten nach Lalish, dem Zentralheiligtum der Eziden, um sie von den Geschehnissen zu informieren.
Während ihrer Reise durch das Land wurden sie von den umliegenden Dörfern bewirtet und mit Essen und Vorräten versorgt. Während der Reise verängstigte Qewal Yusuf die europäischen Reisenden mit Anekdoten über Raubüberfälle durch Kurden, in dessen Gebieten sie sich befanden; Layard amüsierte sich hingegen köstlich darüber.
In der Nähe von Derebune trafen unerwartet sie auf bewaffnete ezidische Reiter. Die Eziden in der Gegend wurden kurz zuvor von Arabern angegriffen und das weltliche Oberhaupt ,Mir Hussein Beg und religiöse Oberhaupt Sheikh Nasir, sandten die Reiter, um Qewal Yusuf und die Reisenden zu eskortieren. Einen Tag später erreichten sie die ezidische Gemeinschaft in Semel.
Sie wurden vom Oberhaupt der dortigen Eziden Abdi Agha empfangen, doch noch bevor sie dazu kamen, gemeinsam zu essen, erreichten erschöpfte ezidische Reiter das Dorf und berichteten, dass die arabischen Angreifer näher gerückt seien und die Eziden angreifen würden. Abdi Agha entschuldigte sich, stieg auf sein Pferd und ritt mit seinen Kämpfer los, um sich den Angreifern entgegenzustellen.
Die Reisegesellschaft verblieb im Schloss von Abdi Agha, der erst am nächsten Tag zurückkehrte und der Reisegruppe riet, so schnell es geht ihre Reise fortzuführen, da die Gegend nicht mehr sicher sei. Diesmal aber konnten keine ezidischen Reiter die Gruppe begleiten, da sie im Kampf gegen die arabischen Angreifer benötigt wurden. Abdi Agha verabschiedete sich eilig und kehrte zurück ins Gefecht.
Qewal Yusuf und Layard beschlossen sofort weiterzureisen. Wenige Kilometer von Semel entfernt beobachteten sie einen Reiter, der von einem arabischen Angreifer verfolgt wurde. Erst als der Angreifer die Karawane des Qewal Yusuf erblickte, ließ er von der Verfolgung ab und kehrte um. Der junge Reiter erzählte, dass die Eziden im Gefecht geschlagen wurden und die Araber nun in das gesamte Gebiet eingedrungen seien. Im selben Moment rückte ein großes Heer an Reitern vor. Die Reisegruppe ging von den genannten Araber aus und machte sich zum Kampf bereit. Doch Qewal Yusuf und Layard ritten voraus, um sich zu erkundigen.
„Von der andern Seite kamen einer oder zwei Reiter vorsichtig auf uns zu. Wir kamen einander näher. Jusuf erspähte den wohlbekannten schwarzen Turban, stürzte mit einem Freudenrufe vorwärts, und in einem Augenblicke waren wir von Freunden umringt und umarmt. Hussein Beg und Sheikh Nasir, mit den Kawals und Ältesten der Jezidi waren in der Nacht beinahe vierzig Meilen geritten, um mich, wenn es nötig wäre, bis Mosul zu begleiten. Ihre Freude, als sie uns sahen, kannte keine Grenzen, und auch ich war nicht weniger gerührt über diese ebenso unerwartete als aufrichtige Dankbarkeit und Gutherzigkeit“.
Schnell erfuhren sie, dass die Nachricht des jungen Reiter nicht zutraf. Abdi Agha und seinen Kämpfern war es gelungen, die Angreifer zu besiegen und zurückzudrängen.
Gemeinsam ritten sie anschließend zum ezidischen Fürstentum Sheikhan. Layard nutzte nun die Gelegenheit, um seine alten Freunde in der Gegend zu besuchen. Einen Monat nach der Petition der ezidischen Delegation, ist es Layard mithilfe von Rassam in Mosul gelungen, ein ezidisches Mädchen, das in die Sklaverei verkauft werden sollte, zu befreien und sie zu ihrer Familie zurückzubringen.
Qewal Yusuf kehrte zurück zu seinem Dorf und musste Vorbereitungen treffen, denn eines der bedeutendsten Feste, das Fest zu Ehren Sheikh Adis, das jährlich in Oktober in Lalish gefeiert wird, würde bald stattfinden. Er suchte in Begleitung anderer Qewals Layard auf und lud ihn zu diesem Fest ein. Layard ließ sich diese Möglichkeit nicht entgehen und nahm die Einladung dankend
Layard kam nach Baadri, dem Residenzdorf des ezidischen Fürsten Mir Hussein Beg, und ritt mit ihm und Qewal Yusuf, begleitet von Reitern, nach Lalish. In und um Lalish hatten sich bereits tausende Eziden für das Fest versammelt. Es wurde bis in die Nacht getanzt, gegessen und getrunken. Qewal Yusuf nahm Layard in einen Raum, wo sich die höchsten ezidischen Würdenträger versammelt hatten. Qewal Yusuf und Layard haben dann einen vollständigen Bericht über die Geschehnisse in Istanbul und ihrer Reise geben.
Danach wurden im Rat gesellschaftliche Angelegenheiten erledigt und nötige Reformen beantragt. Nach den Förmlichkeiten gingen die Anwesenden in den Hof, um sich an dem Feierlichkeiten zu beteiligen. Es wurde viel getanzt, die Qewals spielten auf ihre Instrumente sangen und trieben Scherze. Layard beschreibt diesen Abend kurz: „Der junge Häuptling nahm den lebhaftesten Teil an dem Scherze, zog seine bunten Röcke aus und munterte das Volk noch mehr zu Unfug an. Es war ein allgemeines Gelächter im Tale, und die Jezidi werden noch lange an diese Tage einfacher Freude und Glückes gedenken“.
Auch über Qewal Yusufs Humor schreibt er amüsiert: „Kawal Jusuf wollte zeigen, wie die europäischen Damen, die er in Konstantinopel gesehen hatte, von ihren Männern geehrt wurden, und führte seine junge Frau am Arme bei uns vorüber, zur großen Belustigung aller Anwesenden“.
Layard bemerkte, dass die Qewals religiöse Gedichte rezitierten, und bemühte sich um mehr Auskunft über das Ezidentum. Qewal Yusuf versprach ihm, einen ihrer sakralen Texte zu übergeben. An einem Morgen dann übergab er Layard ein Manuskript bestehend aus einigen Seiten, die eine arabische Lobeshymne zu Ehren Sheikh Adis enthielten. Es war das erste Mal, dass Eziden Außenstehenden Zugang zu solch einem Text gewährten. Der Text wurde von Layard ins Englische übersetzte und gehört bis heute zur Grundlage der Eziden-Forschung.
Qewal Yusuf rezitierte Layard noch einige sakrale Hymnen und erklärte, dass die Eziden mehrere solcher Schriften besessen hatten, ehe Kurden während des Massakers durch Mohammed Rawanduz in Sheikhan einige dieser Schriften verbrannten.
Durch Qewal Yusuf konnte Layard weitere ausführliche Auskünfte über das Ezidentum einholen und räumte in seinen populären Reiseberichten mit Vorurteile gegenüber den Eziden auf. Nach dem Fest verließ Layard Lalish und kehrte nach Mosul zurück.
Layard erhielt aber schon bald erneut eine Einladung von Qewal Yusuf. Diesmal war er zur Hochzeit der Nichte des Yusufs in Baschiq eingeladen. Layard nahm die Einladung an und reiste nach Baschiq. Layard überliefert eine sehr ausführliche Beschreibung von ezidischen Hochzeitstraditionen:
„Eine Strecke von Baasheikhah [Baschiq] begegnete uns der Kawal [Qewal Yusuf], dem die vornehmsten Einwohner des Dorfes zu Pferde und eine große Menge Volkes zu Fuß folgten, von Musikanten und Kindern, welche Lämmer als Opfergaben führten , begleitet. Es war schon der zweite Tag der Hochzeit. Am vorhergehenden Tage hatten die beiden Theile, unter Lustbarkeiten und Tanz, vor den gewöhnlichen Zeugen den Kontrakt geschlossen. Nach unserer Ankunft wurde die Braut, von sämtlichen Bewohnern des Dorfes, die ihre buntesten Kleider angelegt hatten, und den Kawals, welche auf ihren Pfeifen und Trommeln spielten, begleitet, in das Haus des Bräutigams geführt. Sie war vom Kopf bis zu den Füssen mit einem dichten Schleier bedeckt und wurde in der Ecke eines finstern Zimmers hinter einem Vorhänge verborgen gehalten. Hier blieb sie, bis die Gäste drei Tage lang geschmaust hatten, worauf der Bräutigam sich ihr nähern durfte. Der Hof des Hauses war mit Tänzern angefüllt, und sowohl den Tag über, als den größten Teil der Nacht hindurch, hörte man nichts als die lauten Freudenrufe der Frauen und den Lärm der Trommeln und Pfeifen. Am dritten Tage, früh, am Morgen, wurde der Bräutigam geholt und von seinen Freunden im Triumph von Haus zu Hause geführt, wo er überall ein kleines Geschenk erhielt. Dann stellte man ihn in einen Kreis von Tänzern und die Gäste und Zuschauer machten kleine Münzen feucht, die sie ihm an die Stirne drückten. Die herabfallenden Geldstücke wurden in einem Tuche aufgefangen, welches ihm seine Gefährten unter das Kinn hielten. Nach dieser Zeremonie stürzten einige junge Leute, die sich in der Nähe des Bräutigams hielten, in den Haufen, ergriffen die reichsten unter den Gästen und führten sie in ein dunkles Zimmer, wo sie so lange eingesperrt blieben, bis sie sich willig zeigten, ein Lösegeld zu zahlen. Dieser Gewalttat und Gefangenschaft fügte man sich mit guter Laune, und das so zusammengebrachte Geld wurde dem Brautschatze des jungen Paares zugelegt. Der noch übrige Teil des Tages ging unter Schmausen hin, wobei es nicht an Raki und Musik, und was sonst im Orient zu einer Hochzeit gehört, fehlte“.
Qewal Yusuf verließen zusammen mit Layard und anderen Eziden die Hochzeit, um Layard zu einigen Felsen und Täler zu zeigen, die er untersuchen wollte. Nachdem sie gemeinsam mehrere Ortschaften begutachteten, gingen sie in das ezidische Dorf Esiya, wo das religiöse Oberhaupt der Eziden Sheikh Nasir seinen Sitz hatte und an dem Tag auch Mir Hussein Beg im Dorf zugegen war. Sie aßen gemeinsam und übernachteten im Dorf. Am nächsten Tag reisten sie nach Baadri weiter.

Eine Expedition in Shingal

Im Frühling 1850 beschloss Layard eine Expedition nach Shingal zu unternehmen. Vier Jahre zuvor hatte er bereits diesen Versuch unternommen, musste dieses Vorhaben aber aufgeben, weil die Eziden in Shingal im offenen Krieg gegen den Gouverneur von Mosul standen.

Qewal Yusuf und drei weitere Eziden begleiteten Layard. Im Dorf Mihirkan, das etwa vier Jahren zuvor erfolgreich den Gouverneur von Mosul bekämpfte und seinen Truppen eine Niederlage erteilte, erfuhren sie, dass die Bewohner Mihirkan mit dem ezidischen Dorf Bukra in Streit waren. Qewal Yusuf versuchte mit Layard die Streitereien zu schlichten. Es gelang ihnen Isa Agha, das Oberhaupt von Mihirkan, dazu zu überreden, zur Versöhnung nach Bukra mitzukommen.
In der Nacht erreichten sie das Dorf Bukra und die Bewohner nahmen ihre Gäste herzlich auf. Layard schrieb dazu: „Das beste Haus im Dorfe war für uns in Bereitschaft gesetzt worden, welches, wie die Häuser der Jezidi gewöhnlich, im höchsten Grade sauber und reinlich war“.
Die Ältesten des Dorfes zeigten trotz des Streites auch gegenüber Isa Agha große Gastfreundschaft und signalisierten, für eine Versöhnung bereit zu sein. Qewal Yusuf und Layard nutzten nun dieses Beispiel, um auch andere verfeindete ezidische Dörfer erfolgreich miteinander zu versöhnen. Im Dorf Aldina trafen sie auf Murad, dessen Freilassung aus Mosul Layard vor vier Jahren selbst veranlassen konnte. Sie besuchten dann auch das Grab von Qewal Yusufs Vater in der Nähe des Dorfes. Darüber schrieb Layard: „In der Ebene unten, mitten in einem Haine, ist das Grabmal des Kawal Hussein, des Vaters Jusufs, der auf einer seiner Rundreisen im Sindschar starb. Er war ein frommer und einflussreicher Priester, und sein Grab wird noch als Wallfahrtsort besucht. Zum Andenken an den Verstorbenen bringt man hier Opfer von Schafen, die aber durchaus keine religiöse Bedeutung haben. Das Fleisch, dem man oft noch eine Summe Geldes zulegt, wird unter die Armen verteilt. Da ich diese Zeremonie, welche keinen anderen Zweck hat als Mitleiden und Wohltätigkeit zu befördern, nur billigen konnte, ließ ich selbst am Grabe des Kawals ein Schaf opfern, dem einer meiner Reisegefährten noch ein zweites beifügte, und ließ das Fleisch unter die Notdürftigen verteilen.“
Die Eziden waren im Krieg mit dem Gouverneur von Mosul, weil sie sich weigerten die Steuern zu zahlen. Und auch mit dem arabischen Schammar-Stamm herrschte Krieg. Mit Vermittlern beider Lagern konnten zwischen den Eziden und dem Schammar-Stamm eine Übereinkunft getroffen werde, sich zukünftig nicht mehr gegenseitig zu überfallen. Zudem wurde auch geregelt, wie die Dörfer gemeinsam gerecht die Steuern zahlen sollten. Qewal Yusuf bot den ezidischen Bewohnern dafür sein eigenes Geld als Unterstützung an, wofür sie ihrem Priester sehr dankbar waren. Layard dazu: „Ich gab ihm Briefe an die Behörden in Mosul mit, denen ich ein solches Abkommen als ebenso zuträglich für die Ruhe des Gebirges, als vorteilhaft für den Schatz des Pascha empfahl. Kawal Jusuf wurde, wirklich Pächter der Einkünfte, für die er etwas mehr als 350 Pfd. St. bezahlte. Die Bewohner des Sindschar freuten sich sehr über diese Begünstigung eines ihrer Glaubensgenossen; sie bekamen neuen Muth den Boden zu bebauen und enthielten sich fortan der gegenseitigen Angriffe“.
Danach trennten sich die Wege von Layard und Qewal Yusuf. Layard war weiter mit seinen Ausgrabungen und Nachforschungen beschäftigt und später dann in der britischen Botschaft in Istanbul tätig. Qewal Yusuf ging bis zu seinem Tod seinen religiösen Aufgaben als Oberhaupt der Qewals nach.[1]

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Artikel Sprache: Deutsch
Publication date: 29-07-2017 (7 Jahr)
Dialekt: Deutsch
Dokumenttyp: Ursprache
Inhaltskategorie: Kultur
Inhaltskategorie: Geschichte
Inhaltskategorie: Religion und Atheismus
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Hinzugefügt von ( هەژار کامەلا ) am 08-05-2022
Dieser Artikel wurde überprüft und veröffentlicht von ( هاوڕێ باخەوان ) auf 08-05-2022
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