Publikationen der Gedichte
Der deutsche Geograph und Naturforscher Moritz Wagner (1813 – 1887) berichtete in einem seiner Werke über die Êzîden[1] und überliefert zwei êzîdîsche Gedichte im Appendix einer Forschungsarbeit[2] über die Êzîden[3]. Die Gedichte wurden ihm von seinem Freund Abowian, dem damaligen Direktor der Kreisschule von Eriwan, zur Verfügung gestellt. Neben zahlreichen anderen kurdischen Gedichten übersetzte der armenische Priester Gaspar Ter Gewandjan, der lange unter Êzîden lebte, zwei êzîdîsche Gedichte ins Armenische[4], die Wagner wiederum ins Deutsche übersetzte.
Das erste Gedicht handelt von der Klage einer êzîdîschen Frau über die Verfolgungen der Êzîden durch den osmanischen Staatsmann Reshid Pascha. Das zweite Gedicht von der unterfüllten Liebe zwischen einem êzîdîschen Mädchen und einem jungen ezidischen Helden[5].
Diese zwei Gedichte wurden nochmals im Jahr 1853 von H. Jolowicz publiziert[6]. Wagner gab die letzte Strophe des zweiten Gedichts im „kurdisch-yesidischen Dialekt“ wieder[7]. Diese transkribierte Strophe diente Karl Hadank zur Untersuchung des ezidischen Dialekts. Der deutsche Komponist Friedrich Klose komponierte zu diesem Gedicht eine Melodie[8] und veröffentlichte es unter dem Titel „Kurdisches Liebeslied“ im „14 Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte“, op. 3, Nr. 1[9]. Klose entnahm das Gedicht mit Verweis von Jolowicz. Auch der Komponist Richard Wickenhauser veröffentlichte im Jahre 1900 dieses Gedicht unter dem Titel „Persisches Liebeslied“.
Die zwei Gedichte
1. Der Löwe, ein Held in der Thiere Reich[10]
Der Löwe, ein Held in der Thiere Reich,
Nie streitet er wie der Meuchler feig´,
Er brüllet, sobald den Feind er sieht,
Er schonet den Schwachen, der vor ihm flieht.
Der Chub – Khan ein solcher Löwe war,
Er suchte den Kampf, er suchte Gefahr.
Dem Feind er offen in´s Auge schaut,
Noch eh´ er den Kandschar in´s Herz ihm haut.
Der Türke schleicht wie der Uhu der Nacht,
Zum schlafenden Feind so leise und sacht´,
Er schont nicht das Alter, er schont nicht das Weib,
Er würgt das Kind in der Mutter Leib´.
Die Taube dort in der Vögel Reich
Mit gurrendem Ton, mit den Federn weich,
Die Taube gar treu ihren Tauber liebt,
Ihr Schnabel den Jungen das Futter gibt.
Die Khanun ein solches Täubchen war,
Sie schmückte das üppigste Lockenhaar;
Jetzt ist sie geworden der Türken Beut´,
Der Khan ist gefallen im blutigen Streit.
Der Schakal scharret die Leichen sich aus,
Er hält auf den Gräbern nächtlichen Schmaus,
Doch das frische Blut, die Jugend er schont,
Nie kommt er, wo Leben und Liebe wohnt.
Der Türken-Pascha, der wilde Barbar,
Er trinket nur Blut, wie der grause Aar.
Kind! – Schau deines Vaters blutendes Haupt,
Dir, Jüngling, hat er das Liebchen geraubt.
Fluch dem, der zwei liebende Herzen trennt!
Fluch dem Mächt´gen, der kein Erbarmen kennt!
Das Grab gibt nimmer die Todten heraus,
Nur den Fluch erhöret der Melek Tauss.
2. Mein Liebster bei uns zu Gaste war[11]
Mein Liebester bei uns zu Gaste war,
Ich knüpft´ ihm mein Armband in´s Lockenhaar,
Er sass auf dem Teppich von Khorassan,
Ich schaut´ ihn mit liebenden Augen an.
Für eine Locke aus seinem Haar,
Ich gäb´ ihm Hände und Augen gar,
Sollt´ er damit nicht zufrieden sein,
Ich gäb´ ihm auch das Herze mein.
Mein Liebester kam in Vaters Zelt,
Er ist der schönste Yesiden – Held,
Mein Auge schickt ihm liebenden Gruss,
Er aber wollte gar einen Kuss,
Warum hab´ ich nicht den Kuss gegeben?
Ist doch so kurz das irdische Leben!
Aus Stambul ein böser Firman kam.
Schwer drückt uns die Hand des Islam,
Der Pascha mir den Geliebten nahm,
Und brachte ihn unter den Nisam,
Er war noch so jung, er schied so schwer,
Brich, Auge – du siehst ihn nimmermeher!
Mein süsses Liebchen dort an dem Brunnen steht,
von ihrem Busen der Duft der Nelke weht.
Auf ihre Lippen möcht´ einen Kuss ich drücken,
Sollt´ auch der Kreis – Chef mich nach Sibirien schicken.
êzîdîPress, 26.10.2013
Literaturverzeichnis
Jolowicz, H. „Polyglotte der orientalischen Poesie: In metrischen Uebersetzungen deutscher Dichter. Mit Einleitungen und Anmerkungen“, Leipzig, 1853, Otto Wigand.
Knappe, Heinrich: „Friedrich Klose: Eine Studie“, München, 1921, Drei Masken Verlag.
Wagner, Moritz: „Reise nach dem Ararat und dem Hochland Armenien“, Stuttgart und Tübingen, 1848, Cotta’schen Buchhandlung.
Wagner, Moritz: „Reise nach Persien und dem Lande der Kurden“, 2. Band, Leipzig, 1852, Arnoldischc Buchhandlung.
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[1] Seine ersten Berichte: Wagner 1848: S. 47-54.
[2] Wagner 1852.
[3] Wagner 1852: S. 249-281.
[4] Wagner 1852: S. 254f.
[5] Wagner 1852: S. 256f.
[6] Jolowicz 1853: S: 628f.
[7] Wagner 1853: S. 258.
[8] Knappe 1921: S. 109f.
[9] Knappe 1921: S. 138.
[10] Wagner 1852: S. 256f; die Überschrift wurde vom Verfasser gegeben, bei Wagner liegt kein Titel für das Gedicht vor.
[11] Wagner 1852: S. 257; bei Wagner liegt kein Titel für das Gedicht vor.[1]