Der kurdische Journalist Rohat Miran kämpft aus dem Exil für den Erhalt seiner Muttersprache KurdischIn Österreich erlaubt, in der Heimat nicht: Muttersprachenunterricht.
Wien. In den Wiener Stadtbibliotheken fühlte sich Rohat Miran zum ersten Mal wohl in Österreich. Damals, als er vor elf Jahren um Asyl ansuchte. Bei seinem ersten Büchereibesuch fand er inmitten all der türkischen Bücher einen Roman. Granatblüten. Es war das Werk des berühmten kurdischen Schriftstellers Mehmed Uzun. Miran war begeistert. Er, der kurdische Journalist, der in seiner Heimat, der Türkei, für das Lesen kurdischer Literatur schon einmal verhaftet wurde, findet ausgerechnet im Exil die Werke eines Kurden. Mit dieser Entdeckung begann der heute 42-Jährige Wien zu lieben.
Der Türkei barbarische Assimilationspolitik
Sprache ist wichtig für Rohat Miran. Sie ist sein Werkzeug. Ein Werkzeug, das er jahrelang nicht verwenden durfte. Aufgewachsen in der türkischen Stadt Kirsehir, in Zentralanatolien, lernte Miran die türkische Sprache im Alter von sechs Jahren. Als Folter bezeichnet er diese Zeit, seine Volksschulzeit, in der Kinder in der Klasse bestraft wurden, wenn sie kurdisch sprachen Das verursachte bei uns Kindern ein Trauma, erzählt Miran.
Beeinflusst von der barbarischen Assimilationspolitik in den Schulen und der Repressionspolitik des türkischen Staates gegenüber Kurden, interessierte sich der Sohn einer einfachen Bauernfamilie bereits in jungen Jahren für die kurdische Freiheitsbewegung. 1994 wurde er zu 12 Jahren Haft verurteilt, nachdem er ein verbotenes Buch über Kurden gelesen hatte. Als er nach einem Jahr Gefängnisstrafe bedingt freigelassen wurde, verließ er die Türkei. Das Ziel war Deutschland. Gelandet ist er dann aber in Österreich, einem Land, von dem er nichts wusste. Die erste Zeit in Österreich war schwierig für Miran: Ungewissheit über das Asylverfahren, Angst, abgeschoben zu werden, und Einsamkeit plagten den Journalisten. Doch mit der Zeit begann er sein Leben in Wien zu meistern. Die Besuche in der Bibliothek halfen. Die Exilerfahrung seines Landsmannes Uzun ebenso. Heute macht er die Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater, um Menschen in schwierigen Situationen zu helfen.
Seit er in Wien lebt, widmet er sich auch einem anderen Projekt: seiner Muttersprache. Er perfektioniert Tag für Tag seine Kurdischkenntnisse und investiert einen Großteil seiner Freizeit in die Entwicklung der kurdischen Sprache, deren Förderung so lange in seiner Heimat vernachlässigt wurde. Damit kehrt Miran in seine Kindheit zurück, in die Zeit vor der Schule, in der er ungezwungen in seiner Muttersprache mit seiner Familie und seinen Freunden kommunizieren konnte. Obwohl er sowohl auf Türkisch als auch auf Deutsch schreiben kann, schreibt er bewusst auf Kurdisch. Er glaubt, seine Muttersprache zu verraten, wenn er in einer anderen Sprache arbeiten würde. Das Schreiben auf Kurdisch fördere die Sprache und trage zu ihrer Sichtbarmachung bei, betont Miran. Zuerst gründete er mit einigen Freunden die Zeitschrift Kurdi, die erste deutsch-kurdische Zeitschrift in Österreich. Mit Kurdi wollte man den Österreichern die vielfältige kurdische Kultur vermitteln sowie die in Österreich lebenden Kurden erreichen. Aufgrund fehlender Förderung musste sie jedoch nach der dritten Ausgabe eingestellt werden.
Rohat Miran begreift sich auch als kurdischer Botschafter. Er legt großen Wert darauf, das Wissen der Österreicher über seine Landsleute zu erweitern. Die meisten Österreicher kennen Kurden entweder aus Karl Mays Roman ,Durchs wilde Kurdistan‘ oder durch Zeitungsartikel über die Konflikte in Teilen Kurdistans, behauptet Miran. Deshalb hat er sich zum Ziel gesetzt, Bücher großer kurdischer Schriftsteller ins Deutsche zu übersetzen. Bisher hat Miran zwei österreichische Kinderbücher ins Kurdische übersetzt. Aktuell arbeitet er an der Übersetzung eines weiteren Kinderbuches.
Durch diese Übersetzungen bringe ich kurdischen Kindern die österreichische Literatur näher. Diese Bücher haben eine Brückenfunktion. Sie bringen die beiden Kulturen zusammen, ist Miran überzeugt. Schade findet er, dass Übersetzungen aus dem Deutschen in andere Sprachen zu wenig gefördert werden.
Nichts Neues für Kurden in Erdogans Demokratiepaket
Trotzdem, vergleichbar mit seiner Heimat sei die Situation hierzulande nicht. Immerhin werden Kinder in Österreich in ihrer Muttersprache unterstützt. Im vergangenen Schuljahr gab es 200.000 Kinder, die eine andere Erstsprache haben als Deutsch, 32.000 davon besuchten einen muttersprachlichen Unterricht. In Wien hat fast jeder zweite Schüler eine andere Erstsprache als Deutsch. Muttersprachlicher Unterricht findet hierzulande in 23 Sprachen statt, darunter auch auf Kurdisch.
In der Türkei ist das Zukunftsmusik. Diese Woche präsentierte der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan sein Demokratiepaket. Der Forderung der Kurden nach kurdischem Erstsprachenunterricht in staatlichen Volksschulen wurde darin nicht Rechnung getragen. Es sieht lediglich muttersprachlichen Unterricht in Privatschulen vor. Für Miran hat sich für die Kurden in dem vermeintlichen Reformpaket nichts geändert. Dass 15 Millionen Menschen in der Türkei Kurdisch als Erstsprache sprechen, sei nicht einmal erwähnt worden. Miran ist enttäuscht: Es ist traurig, dass meine Muttersprache im 21. Jahrhundert in der Politik noch immer Verhandlungssache ist.[1]