Die Frauenbewegung Kongra Star gratuliert der Frauenrevolution von Rojava zu ihrem zehnten Jahrestag. Das Ziel sei es, das 21. Jahrhundert überall zum Zeitalter der Revolution der Frauen zu machen.
Die Koordination der Frauenbewegung Kongra Star aus Nordostsyrien hat eine Erklärung veröffentlicht, in welcher sie die Errungenschaften der Revolution von Rojava würdigt und die Rolle der Frauen hierbei hervorhebt. Die Erklärung lautet wie folgt:
„Wir beginnen damit, den zehnten Jahrestag der Frauenrevolution von Rojava zu feiern, die wie ein Leuchtfeuer in die ganze Welt ausgestrahlt hat: für das kurdische Volk, für alle fortschrittlichen Kräfte der Menschheit und für Frauen überall. Wir grüßen alle, die ihren Teil dazu beigetragen haben, alles und in einigen Fällen ihr Leben gegeben haben, um diese Revolution zu verteidigen und zu nähren, vom historischen Widerstand in Kobanê bis heute. Wir ehren und danken allen unseren Gefallenen, die gestorben sind, um dem neuen Leben eine Chance zu geben, die die Angriffe derjenigen vereitelt haben, die unsere Revolution ersticken und die Menschen zum Leben in der Dunkelheit verdammen wollten. Erneut bekräftigen wir, dass wir alles geben werden, um das zu schützen, was sie erreicht haben und woran sie glaubten. Wir werden das freie Leben, von dem sie träumten, Wirklichkeit werden lassen.
Wirksamkeit der organisierten Kraft der Frauen
Was macht die Revolution von Rojava, die vor zehn Jahren am 19. Juli in Kobanê begann, zu einer Frauenrevolution? Warum nennen wir sie eine Frauenrevolution? Frauen haben in allen Bereichen der Revolution immer eine führende Rolle gespielt. Die YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) haben sich mit Engagement und Mut an die Spitze des Widerstands gegen den IS und den türkischen Staat gestellt. Sie haben der Welt gezeigt, was die organisierte Kraft der Frauen bewirken kann. Aus allen Ecken der Welt sind Frauen nach Rojava gereist, wo der Kampf um die Seele der Menschheit geführt wird, und haben ihren Platz in den Reihen der YPJ eingenommen. Sie haben ihr Leben gegeben, um diese Revolution zu schützen, weil sie für die Werte steht, die wir alle teilen. Wir gedenken unserer Gefallenen mit größtem Respekt: von Arîn Mîrkan bis Anna Campbell, von Ivana Hoffman bis Avesta Xabûr.
Im revolutionären Prozess ein eigenes System geschaffen
Es steht außer Zweifel, dass die führende Rolle, die Frauen in revolutionären Kämpfen gespielt haben, eine besondere Bedeutung hat. Aber seit 1789 hat sich keine andere Revolution mehr als eine Frauenrevolution erwiesen, die über allem anderen steht. Was ist also das Besondere an der Revolution in Rojava? Was hat sie in den letzten zehn Jahren für die Frauen in Kurdistan, im Nahen Osten und in der ganzen Welt erreicht?
Vor allem waren die Frauen in der Revolution immer autonom und selbstorganisiert, was ihre Beziehung zur Revolution verändert. So wurde sie zu einer Frauenrevolution, in der dialektischen Mischung aus Autonomie, Organisation und Freiheit selbst. Weil die Frauen nicht mehr allein kämpfen, sondern sich in neuen Formen organisierter Autonomie zusammengefunden haben, waren sie in der Lage, Gegenstand radikaler Veränderungen zu sein. Die Frauen haben im revolutionären Prozess ihre eigenen Systeme geschaffen. Die konkrete Realität der Revolution hat uns gezeigt, dass der Konföderalismus der Frauen und seine Mechanismen die Grundlage für ein System für alle sein können, das auf Demokratie, Ökologie und der Freiheit der Frauen beruht.
Beteiligung und autonome Organisierung spielen Schlüsselrolle
Das bedeutet, dass innerhalb der gemischtgeschlechtlichen Organisierung die unabhängige Organisierung von Frauen ein strategisches Kernthema ist. Im gegenwärtigen politischen Klima spielt die Beteiligung und autonome Organisierung von Frauen eine Schlüsselrolle bei der Entscheidungsfindung, in der Politik, bei der Selbstverteidigung und in sozialen Fragen. Unsere Frauenrevolution hat konkrete Organisationsprinzipien der Gleichheit und Freiheit in die Praxis umgesetzt.
Die Revolution hat sich nicht nur auf politische Fragen und Selbstverwaltung konzentriert. Die Rojava-Revolution hat nicht nur ein völlig neues demokratisches System geschaffen, sondern auch den sozialen Wandel und die Transformation vorangetrieben. Die kollektive organisierte Macht der Frauen ist ein Zeichen für diesen Wandel. Auf diese Weise bringt die Revolution die angeborene Macht und das Potenzial der Frauen zum Ausdruck. Wir haben gesehen, welch immensen Einfluss das Handeln der Frauen auf die Lösung sozialer Probleme und die Entwicklung eines demokratischen Systems hat.
Die Revolution vom 19. Juli war die Hebamme des soziologischen Umbruchs und eine treibende Kraft für Veränderung und Wandel. In der Revolution in Nord- und Ostsyrien haben sich die Frauen von konservativen und rückständigen Bräuchen befreit, die Agenda für den sozialen Wandel festgelegt und eine zentrale Rolle in Gesellschaft und Politik übernommen. Das System der Ko-Vorsitzenden garantiert eine gleichberechtigte Vertretung. Dieses System bedeutet nicht nur eine Umverteilung der Dominanz zwischen zwei Geschlechtern, sondern hat eine völlig neue politische Kultur hervorgebracht. Auf diese Weise setzen organisierte Frauen ein Zeichen in Politik und Demokratie.
Selbstverteidigung als Lebensweise
Der politische Moment ist gekommen. Die Frauen brachten ihre eigene Art des Verständnisses und des Kampfes mit und verbreiteten sie im politischen Umfeld. Mit der YPJ als Vorhut, die den Widerstand organisiert, haben die Frauen allen, die sich gegen Unterdrückung wehren, die Notwendigkeit der Selbstverteidigung vor Augen geführt. Sie haben gezeigt, dass Selbstverteidigung nicht nur etwas ist, das wir organisieren sollten, wenn wir angegriffen werden oder uns im Krieg befinden, sondern dass sie eine ganze Lebensweise ist und als solche organisiert werden sollte. Wie bei allen Lebewesen geschieht etwas Bemerkenswertes, wenn Menschen, insbesondere Frauen, ihre wahre Natur und ihre angeborenen Schutzfähigkeiten entfesseln, um das Leben zu befreien. Die Rojava-Revolution vom 19. Juli hat das erreicht, was sie mit den Frauen an der Spitze erreicht hat, sie ist mit der Zeit zur Revolution aller Frauen, des Nahen Ostens und später der Welt geworden. Der Ruf ,Jin, Jiyan, Azadi!' (Frauen, Leben, Freiheit!) ist von Rojava in die ganze Welt hinaus geschallt. Was in Nord- und Ostsyrien begann, wurde von Frauen auf der ganzen Welt aufgegriffen. Die Revolution ist zu einer Inspirationsquelle für Frauenbewegungen überall geworden.
Revolution als fortlaufender Prozess
Das Bestreben, ein Netzwerk zu schaffen, in dem es möglich ist, Methoden und Praxis des globalen Frauenkampfes in einem theoretischen und praktischen Rahmen auszutauschen, hat eine neue Mentalität und ein neues Verständnis der Welt geschaffen. Dies muss vor Ort, in der Bevölkerung, in die Praxis umgesetzt werden. Die Revolution ist kein einmaliges Ereignis, sie ist ein fortlaufender Prozess. Der revolutionäre Prozess, den wir erleben, begann lange vor seiner Ankündigung mit der Erklärung der Selbstverwaltung in Kobanê am 19. Juli 2012. Bereits 30 Jahre zuvor legte die kurdische Freiheitsbewegung den Grundstein für die Selbstverteidigung in sozialer und politischer Hinsicht. Dank der Arbeit von Abdullah Öcalan wurde die Gesellschaft von Rojava, insbesondere die Frauen von Rojava, organisiert und bereit, die treibende Kraft der Revolution zu sein. Die Revolution ist nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde mit Blut, Schweiß, Tränen und jahrelangen Bemühungen aufgebaut.
Die Revolution ist noch nicht abgeschlossen. Existenzielle Fragen und Probleme der Befreiung liegen noch vor uns. Einerseits schickt der faschistische türkische Staat immer noch seine barbarischen Kräfte, um die Revolution zu okkupieren und ihr das Leben zu rauben. Auf der anderen Seite sind wir immer noch mit schweren Angriffen auf die Gesellschaft selbst konfrontiert.
Befreiung ist in jedem Moment ein Kampf
Die Revolution ist ein Schaffensprozess, und wir stehen noch am Anfang dieses Prozesses. Um unsere demokratischen Systeme von Unterdrückung reinzuwaschen, ist jeder Moment ein Kampf. Jeden Tag und jede Stunde intensivieren wir unsere Bemühungen, einen demokratischen Prozess in unserer Gesellschaft zu schaffen, in dem jede:r Einzelne:r Verantwortung übernehmen und die Revolution mitgestalten kann. Wir müssen die Mentalität der dominanten Männer und die Unterdrückung der Geschlechter in der Gesellschaft überwinden!
Als Frauen haben wir einen großen Sieg im Prozess der Schaffung der Revolution in Rojava errungen. Jetzt müssen wir noch härter gegen männliche Vorherrschaft und Sexismus kämpfen, um die Errungenschaften der letzten zehn Jahre zu schützen und auszubauen. Gegenwärtig erleben wir überall auf der Welt einen massiven Rückschlag gegen die Fortschritte, die Frauen gemacht haben. Die Situation in Kurdistan ist nicht anders. Frauenmorde gab es nicht nur durch die ISIS – sie finden täglich in den Städten Nord- und Ostsyriens unter dem Joch der türkischen Besatzung statt. Darüber hinaus müssen wir den Kampf gegen sexistische Haltungen gegenüber der Frauenrevolution in der Gesellschaft von Rojava fortsetzen. Am zehnten Jahrestag der Revolution ist es an der Zeit, unsere Anstrengungen zu verdoppeln, um allen Angriffen zu widerstehen, ob militärisch, politisch, ideologisch oder wirtschaftlich.
21. Jahrhundert als Zeitalter der Revolutionen von Frauen
Als Kongra Star sind wir sowohl Teil eines lokalen als auch eines globalen Kampfes. Wir schöpfen unsere Kraft aus dem Freiheitskampf und der Solidarität von Frauen aus der ganzen Welt. Unsere Experimente und Erfolge wiederum sind zu einer Quelle der Inspiration geworden.
Wir wollen den Jahrestag der Revolution zum Anlass nehmen, um die Verbindung, die in universellen dialektischen Prozessen entsteht, tiefer zu erforschen. Unser Ziel ist es, das 21. Jahrhundert zum Zeitalter der Revolution der Frauen zu machen. Das bedeutet, dass wir dringend alle Kämpfe, alle Bemühungen für die Menschen und die Gesellschaft auf lokaler und globaler Ebene zusammenführen müssen, um die Kräfte zu bündeln und eine Phase der gemeinsamen Organisierung zu schaffen.
Weltfrauenkonföderalismus als Weg
Die Frauenbewegung aus Kurdistan hat den weltweiten Frauenkonföderalismus als systematischen Weg vorgeschlagen, um der Notwendigkeit eines vereinten Kampfes zu entsprechen. In einem solchen konföderalen System können die lokalen Zweige der Frauenbewegung gestärkt werden, während gleichzeitig eine globale Zusammenarbeit entwickelt wird. Wir glauben, dass wir bei der Schaffung eines solchen Systems an vorderster Front stehen können!
Während wir den zehnten Jahrestag der Revolution begrüßen, sind die Region Nord- und Ostsyrien und ihre Völker erneut mit der Bedrohung durch den türkischen Staat konfrontiert. Die internationalen Mächte winken sie durch, ob offen oder hinter verschlossenen Türen. Als Kongra Star wissen wir, dass die größte Waffe gegen jeden Angriff die angeborene Kraft, der Wille und die Selbstverteidigung der Menschen ist. Im Refrain des Slogans der chilenischen Revolution ,Das Volk, vereint, wird niemals besiegt werden' sagen wir, dass es keine Kraft gibt, die die für einen revolutionären Volkskrieg organisierte Bevölkerung besiegen kann. Mit den Frauen an der Spitze werden wir uns immer besser organisieren, den revolutionären Kampf intensivieren, die Besatzung stoppen und unsere Orte befreien!
„Dies ist die Revolution aller!“
Wir rufen alle Frauen auf der ganzen Welt auf, ihre Herzen und Seelen in die Solidarität zu stecken. Verteidigt diese Revolution, die zu einer Quelle des Feuers und der Inspiration für die gesamte Menschheit geworden ist, insbesondere für die Frauen! Dies ist die Revolution aller. Wir stehen zusammen gegen alle Angriffe. Am zehnten Jahrestag der Frauenrevolution werden wir unsere Errungenschaften verteidigen, und wir werden sie vermehren. Wir werden das Feuer schüren, das in Kobanê entzündet wurde. Dieses Jahrhundert wird die Ära der Frauenrevolution sein. Zerstört den Faschismus und reißt die Mauern der Isolation und Folter in Imrali für Abdullah Öcalan ein! Lang lebe die Revolution von Rojava! Jin Jiyan Azadî!“[1]