In Deutschland sind an vielen Orten Menschen im Gedenken an den #IS-Genozid# an der ezidischen Bevölkerung auf die Straße gegangen. Sie forderten Rechenschaft von den Verantwortlichen und die Anerkennung der Autonomie der #Şengal#-Region.
Am 3. August 2014 begann der IS-Genozid an der ezidischen Bevölkerung in der südkurdischen Şengal-Region. Zum 8. Jahrestag des Massenmordes versammelten sich am 3. August in vielen deutschen Städten Aktivist:innen zu Protest und Gedenken.
Berlin
In Berlin hatten der ezidische Frauenrat, der Frauenrat Dest-Dan und der kurdische Verband Nav-Berlin zu einer Kundgebung am Brandenburger Tor aufgerufen. Nach einer Schweigeminute für die im Genozid Ermordeten erklärte Nure Alkış im Namen des ezidischen Frauenrats: „Wie bekannt, hat der IS am 3. August vor acht Jahren Şengal angegriffen. Tausende von ezidischen Frauen wurden entführt und Tausende von Ezidinnen und Eziden wurden massakriert. Der Völkermord ist zwar schon acht Jahre her, aber er kann auch 100 Jahre später nicht vergessen werden. Die HPG und YJA Star befreiten Schulter an Schulter Şengal. Für uns, die Frauen von Şengal, bedeutet das den Sieg.“
Susanne Rössling vom Frauenrat Dest-Dan erinnerte an die unzähligen Verschleppten und Ermordeten und forderte: „Das Massaker von Şengal muss weltweit als ‚Völkermord an den Ezid:innen‘ und als ‚Tag des Massenmords an Frauen‘ anerkannt werden. Der Status von Şengal und die Autonomie der Region müssen anerkannt und gefördert werden, um zu verhindern, dass die ezidische Gesellschaft, die bereits Dutzende von Massakern erlebt hat, neuen Völkermorden ausgesetzt wird.“
An der Kundgebung nahm auch die Initiative der „Trostfrauen aus Korea“ teil, die den traditionellen Salpuri-Taz aufführten. Die Frauen trugen ein Transparent mit der Aufschrift: „Stoppt sexuelle Gewalt in Kriegen und bewaffneten Konflikten weltweit! Solidarität mit der MeToo-Bewegung nach dem asiatisch-pazifischen Krieg!“ Bei den euphemistisch als „Trostfrauen“ bezeichneten Frauen handelt es sich um schätzungsweise 200.000 bis 300.000 Mädchen und junge Frauen vor allem aus Korea, die das japanische Militär während des Asien-Pazifik-Krieges (1937-1945) verschleppt hatte, um sie ihren Soldaten und Offizieren sexuell zur Verfügung zu stellen.
Mehtap Erol vom Wiederaufbaukomitee Dersim wies auf die deutsche Mitverantwortung für die aktuellen Angriffe auf die kurdischen Gebiete und die Şengal-Region hin. Sie bezog sich damit auf die Unterstützung der Türkei durch die Bundesregierung.
Die Aktivist:innen verurteilten das Abkommen zwischen der PDK und der irakischen Regierung über die Aufteilung der Region Şengal als „weiteren Verrat“. Das Abkommen war im Oktober 2020 unter Regie der Türkei zustande gekommen und soll der Zerschlagung der Selbstverwaltung und Selbstverteidigung der Region dienen.
Saarbrücken
Auch in Saarbrücken hatten Fraueninstitutionen zu einer Protestkundgebung aufgerufen. Die Aktivist:innen verteilten Flugblätter. In Redebeiträgen wurde unter anderem der „Verrat der PDK“ verurteilt. Rund 20.000 PDK-Peschmerga hatten sich am 3. August 2014 fluchtartig aus der Şengal-Region zurückgezogen und die Menschen schutzlos dem IS überlassen.
Frankfurt am Main
In Frankfurt am Main hatten der Frauenrat Amara, der Frauenrat Sara (Offenbach), der Frauenrat Nûjin (Hanau) und Women Defend Rojava zur Kundgebung eingeladen. In einem Redebeitrag hieß es: „Der Völkermord an den Ezid:innen muss international anerkannt und der türkische Staat und sein Werkzeug, der IS, müssen bekämpft werden. Die Verantwortlichen für den Völkermord an den Ezid:innen müssen vor internationale Gerichte gestellt und zur Rechenschaft gezogen werden. Der Status und die Autonomie von Şengal müssen anerkannt und geschützt werden.“
Bonn
In Bonn begann die Kundgebung mit einer Schweigeminute für die Opfer des von der Terrormiliz IS begangenen Genozids und Femizids. Anschließend machten die 50 Teilnehmenden mit Plakaten, Bannern und Parolen lautstark ihre Forderung deutlich, das Schweigen zum Völkermord, einschließlich der andauernden türkischen Angriffe, zu beenden. In Reden und Flugblättern wurde insbesondere die Vernichtungsstrategie an der ezidischen Gesellschaft durch Verbrechen an Frauen thematisiert. Der Widerstand gegen den IS sei aber ebenfalls vor allem von Frauen getragen worden.
Die Aktivist:innen forderten die Sperrung des Luftraums über Şengal und Rojava, so dass türkische Drohnen nicht weiter Anschläge auf die Bevölkerung verüben könnten. Gleichzeitig unterstrichen die Teilnehmenden, die Verantwortlichen für den Genozid müssten endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Außerdem seien für den Wiederaufbau von Şengal humanitäre Unterstützung sowie die Anerkennung der demokratischen Selbstverwaltung und des autonomen Status der Region erforderlich.
Im Vorfeld zum Jahrestag des Völkermordes hatten die Initiativen verschiedene deutsche Islamverbände, unter anderen DITIB, dazu aufgefordert, in den Freitagspredigten den Völkermord an den Ezid:innen zu thematisieren. Die Aktivist:innen erklären: „Kein einziger der Verbände ist darauf eingegangen. DITIB-Funktionäre unterstehen dem türkischen Staat. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Türkei kein Interesse an einer Aufklärung des Völkermordes hat. Zu einer umfassenden Aufklärung gehört es auch, die Rolle der Türkei nach 2014 zu untersuchen.“
München
Auch in der Innenstadt von München fand eine Gedenkveranstaltung statt, zu der das Demokratische Kurdische Gesellschaftszentrum aufgerufen hatte. Die Aktivist:innen forderten unter Fahnen der Widerstandseinheiten Şengals (YBŞ) auch hier die Anerkennung des Autonomiestatus von Şengal. Immer wieder riefen die Teilnehmenden: „Es lebe der Widerstand von Şengal“ und „Es lebe der Widerstand der Guerilla“. Während sich die südkurdische PDK damals zurückgezogen hatte, hielt eine zwölfköpfige Guerillagruppe, bis Verstärkung der HPG und YJA Star sowie der YPG und YPJ eintraf, den Berg Şengal allein und rettete so Hunderttausenden Ezid:innen das Leben. Heute wird die Guerilla massiv von der türkischen Armee in Südkurdistan angegriffen, leistet jedoch erbittert Widerstand.[1]