Sie zeigte auf einer Demonstration die Fahne der verbotenen #PKK#. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen sie. Im marx21-Interview erklärt Nicole Gohlke, warum und wie sie das Verbot der kurdischen Organisation kippen möchte
Am 18. Oktober hast du auf einer Kundgebung zur Solidarität mit der kurdischen Stadt Kobane die in Deutschland verbotene Fahne der PKK, der Arbeiterinnen- und Arbeiterpartei Kurdistans, hochgehalten. Der Bundestag hat daraufhin deine Immunität als Abgeordnete aufgehoben. Die staatlichen Behörden können nun gegen dich ermitteln. Warum ist es dir wichtig, mit den Kurdinnen und Kurden solidarisch zu sein?
Die rund dreißig Millionen Kurdinnen und Kurden in der Türkei, in #Syrien#, im Iran und Irak sind weltweit das größte Volk ohne eigenen Staat. In ihren Siedlungsgebieten werden sie seit langer Zeit angefeindet, unterdrückt und verfolgt. Das reichte vom Entzug der Staatsangehörigkeit in Syrien bis hin zu Angriffen mit Chemiewaffen durch das irakische Saddam-Regime. Auch im Iran erging es der kurdischen Bevölkerung nicht viel besser – unabhängig davon, wer dort gerade herrschte.
Die türkische Regierung betrieb die vielleicht gründlichste Unterdrückungspolitik. Dort wurden beispielsweise die Worte Kurde und Kurdistan aus allen Schulbüchern, Lexika und Landkarten getilgt. Die öffentliche Verwendung der Sprache war verboten, ebenso kurdische Kulturvereine und politische Parteien. Auch kurdische Schulen wurden nicht zugelassen, Zeitungen und Bücher immer wieder beschlagnahmt oder verboten. Laut türkischen Presseangaben wurden alleine in den 1990er Jahren 6153 Siedlungen und 1779 Dörfer zwangsgeräumt und eine Million Menschen zwangsumgesiedelt. Im Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden ermordete die türkische Regierung Tausende politisch aktive Menschen. Bis heute schließt die Türkei etwa zwölf Millionen Personen von jeglichen verfassungsrechtlichen Garantien aus. Die Solidarität mit der Befreiungsbewegung der Kurdinnen und Kurden ist deswegen seit langem eine wichtige Haltung innerhalb der Linken.
Auch die Bundesregierung behauptet, an der Seite der Kurdinnen und Kurden zu stehen. Die dramatische Flucht der Jesidinnen und Jesiden vor dem »Islamischen Staat« diente ihr als Rechtfertigung für Waffenlieferungen an die kurdische Regionalregierung im Nordirak. Das neue Bundeswehrmagazin »Y« titelt »Kampf der Kurden – von der verfolgten Minderheit zum Bündnispartner« …
Einspruch! Wenn die Bundesregierung es ernst meinen würde mit der Unterstützung der Unterdrückten in der Region, dann würde sie ihnen großzügig Asyl gewähren und das Verbot der PKK aufheben. Doch genau das passiert nicht. Worum es der Bundesregierung tatsächlich ging, verdeutlichte Verteidigungsministerin von der Leyen in einem Interview mit der »Zeit«. Sie sagte: »Wichtiger als die Frage, ob und welche Waffe wir am Ende liefern, ist die Bereitschaft, Tabus beiseite zu legen und offen zu diskutieren.«
Das Tabu, das von der Leyen meint, heißt: offene Intervention Deutschlands in einen laufenden Krieg mittels Waffenlieferungen. Leider bekommt man den Eindruck, dass der Bundesregierung das Schicksal der Kurdinnen und Kurden herzlich egal ist. Die aktuelle Notsituation wird von vielen Seiten missbraucht und für eigene Interessen instrumentalisiert. Die Regierungen in der Türkei und Syrien sind an einer Schwächung der kurdischen Bevölkerung interessiert, da diese Staaten durch die föderal organisierten kurdischen Autonomiegebiete in Frage gestellt werden. Die USA verfolgen vor allem das Ziel, Einfluss auf das strategisch und wirtschaftlich bedeutende Gebiet im Krieg gegen Syrien zu gewinnen. So geschieht die angebliche Unterstützung der Kurdinnen und Kurden parallel zu Waffenlieferungen an Katar und Saudi-Arabien – also an zwei Staaten, von denen gemutmaßt wird, sie versorgten den IS mit Waffen.
Warum hält die Bundesregierung am PKK-Verbot fest?
Die Bundesregierung steht offensichtlich fest an der Seite ihres NATO-Partners Türkei. Ohne die politische und militärische Unterstützung durch westliche Staaten wie Deutschland, Frankreich und die USA wäre die jahrelange Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung überhaupt nicht möglich gewesen. Die Bundesregierung unterstützt die Türkei militärisch, indem sie eine Raketenstaffel der Bundeswehr (die Patriots) im Land unterhält und im großen Stil Waffen exportiert. Zudem unterstützt sie die türkische Regierung politisch, indem sie weiterhin am Verbot der PKK festhält und so die in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden stigmatisiert und kriminalisiert. Das PKK-Verbot ist nichts anderes als ein Instrument der Repression und der Versuch, eine große Minderheit in Deutschland einzuschüchtern. Mit meiner Aktion wollte ich insbesondere die laufende Debatte über eine mögliche Aufhebung des PKK-Verbots bestärken. Selbst in konservativen Medien wird gelegentlich das Verbot hinterfragt. Unions-Fraktionschef Volker Kauder hat ja sogar erwägt, Waffen an die PKK zu liefern. Nicht dass das meine Position wäre, aber dafür wäre ja wohl die Aufhebung des PKK-Verbots und die Streichung der Organisation von der Terrorliste der EU nötig. Auch aus den Reihen der SPD und den Grünen haben sich einzelne Politikerinnen und Politiker kritisch zum Verbot geäußert. Einerseits freue ich mich, weil nun immer mehr Personen erkennen, dass das Verbot falsch ist. Andererseits macht es mich nachdenklich, welch eine entsetzliche Notlage für dieses Umdenken notwendig war.
Durch deine solidarische Aktion bist du unmittelbar selbst vom PKK-Verbot betroffen. Welchen Repressionen sind politisch und sozial engagierte Kurdinnen und Kurden in der Bundesrepublik ausgesetzt?
Das PKK-Verbot bedeutet für einen Großteil der hier lebenden kurdischen Bevölkerung, von elementaren Grundrechten wie der Presse- und Meinungsfreiheit oder von dem Recht auf Versammlung und Vereinigung ausgeschlossen zu werden. In letzter Zeit gab es Tausende Ermittlungen gegen politisch aktive Kurdinnen und Kurden in Deutschland. Die meisten Anzeigen betreffen Verstöße gegen Paragraf 20 des Vereinsgesetzes. Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Oktober 2010 wurden kurdische Personen auch strafrechtlich nach Paragraf 128b StGB, also als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung im Ausland, verfolgt und zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Immer wieder wird nach der Teilnahme an legalen Demonstrationen oder an Veranstaltungen in kurdischen Vereinen eine Einbürgerung verweigert – oder die Behörden versuchen sogar, die entsprechenden Personen für Spitzeldienste anzuwerben. Das PKK-Verbot führt dazu, dass die in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden sich nicht mehr politisch betätigen können. Daher würde ich durchaus von einer Gesinnungsjustiz sprechen. Gleichzeitig wirken solche Repressionen und die anhaltende Hetzkampagne massiv integrationshemmend.
Befürworterinnen und Befürworter des PKK-Verbots argumentieren immer wieder mit den in der Vergangenheit verübten Anschlägen, den politischen Verfolgungen auch in den eigenen Reihen, sowie dem Vorwurf des Drogenhandels. Was sagst du dazu?
Ich möchte zwei Dinge zu bedenken geben. Zum einen muss jeder Vorwurf genauer betrachtet werden. Viele werden gezielt gestreut, etwa durch die türkische Regierung. Das gilt beispielsweise für den ebenso prominenten wie absurden Vorwurf, alle Kurdinnen und Kurden würden mit Drogen handeln. Das ist ein Versuch, die PKK zu diskreditieren. Wenn man sich den Konflikt mit der Türkei oder überhaupt mit den Staaten, in denen Kurdinnen und Kurden leben, anschaut, wird deutlich, wer unterdrückt und wer von den Repressionen betroffen ist.Sicherlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass die PKK auch viele Fehler gemacht hat und über Jahrzehnte eine Partei stalinistischer Prägung war. Ich finde es zweitens jedoch zwingend, den Kontext in die Bewertung mit einzubeziehen: Das türkische Militär hat vergewaltigt, gefoltert und gemordet. Einem derartigen Staatsterror ausgesetzt zu sein und in der Illegalität agieren zu müssen, sind Rahmenbedingungen, die in einer Beurteilung nicht ausgeblendet werden dürfen. Mein Eindruck vor Ort war, dass die PKK in den letzten Jahren einen deutlichen Wandel vollzogen hat. Diese Einschätzung teilen auch viele Personen, die der PKK nahestehen. Von einigen alten Methoden wurde Abstand genommen und die Strukturen für eine bessere Anbindung an die Basis aufgebrochen. Es ist spürbar, das eine stärkere Verankerung in der Bevölkerung besteht. Für eine Partei, die sich in der Illegalität befindet und massiven Repressionen ausgesetzt ist, ist das zweilsfrei eine große Leistung. Und die Frage, die sich jetzt stellt, ist doch, ob Kriminalisierung und politische Verfolgung zu rechtfertigen sind. Egal wie man zur PKK im Einzelnen steht, meine ich: Das sind sie nicht.
Also geht es um kritische Solidarität?
Die Linke sollte auch nicht den Fehler machen und den kurdischen Befreiungskampf romantisieren. Ich denke auch, dass wir beispielsweise eine offene und kritische Diskussion innerhalb der Linken über die Gefahren der gegenwärtigen westlichen Intervention brauchen, die viele Kurdinnen und Kurden verständlicherweise zurzeit als ein kleineres Übel ansehen.
Wie würdest du die innerparteiliche Stimmung in der LINKEN zur Forderung der Aufhebung des PKK-Verbots beschreiben?
Mich freut, dass es hierzu eine sehr einstimmige Position gibt. Die Fraktion unter Federführung von Ulla Jelpke wird einen Antrag zur Aufhebung des PKK-Verbots in den Bundestag einbringen. Der Parteivorstand hat sich dafür ausgesprochen, die Aufhebung des PKK-Verbots voran zu treiben, und hat sich auch mit meiner Aktion solidarisiert. Die Parteivorsitzende Katja Kipping hat ihren Protest gegen die Aufhebung meiner Immunität auf ihrer Homepage formuliert, andere Abgeordnete wie beispielsweise Andrej Hunko, Dieter Dehm oder Pia Zimmermann sind meinem Vorbild gefolgt und haben die PKK-Fahne öffentlich gezeigt. Ich habe das Gefühl, dass die Partei an dieser Stelle sehr geschlossen agiert und eine große Solidarität vorherrscht.
Wie können Linke in Deutschland den Kampf der Kurdinnen und Kurden deiner Meinung nach am besten unterstützen?
Wir sollten versuchen, die kurdische, die türkische und die radikale Linke dafür zu gewinnen, das aktuelle Zeitfenster und die mediale Aufmerksamkeit zu nutzen, um konzentriert gegen das PKK-Verbot vorzugehen – mit Aktionen, Demonstrationen oder Kundgebungen. Ich halte das auch deshalb für wichtig, weil ich das Gefühl hatte, dass viele erstmal erschüttert von der Brutalität des IS waren und nicht wussten, wie nun weiter vorgegangen werden kann. Zunächst einmal ist es völlig richtig und wichtig zu betonen, dass die Menschen in Kobane ein Recht auf Selbstverteidigung haben. Es stellt sich nur die Frage, wie die Unterstützung aus Deutschland aussehen soll: Wie können wir den Verteidigungskampf der Kurdinnen und Kurden nicht nur mit leeren Worthülsen der Solidarität gutheißen, sondern tatsächlich Hilfe leisten? Geld für Waffen zu sammeln sehe ich eher skeptisch.
Die paar Tausend Euro, die wir zusammen bekommen, sind für die Menschen in Kobane nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Hierzulande nutzt die Kampagne aber jenen Kräften, die die Lockerung von Waffenexporten und Auslandseinsätze voranbringen wollen. Was wir wirklich tun können, ist unsere eigene Bundesregierung unter Druck zu setzen und eine breite politische Debatte über die Frage des PKK-Verbots und der Legitimität der kurdischen Befreiungsbewegung anzustoßen. Ich glaube, es ist Zeit, dass Politikerinnen und Politiker, Prominente, Intellektuelle, Personen aus Kunst und Kultur und die gesamte Linke ein Zeichen setzen gegen diese Kriminalisierung und gegen die unerträgliche Heuchelei der Bundesregierung. Wer es ernst meint mit der Unterstützung des kurdischen Widerstands, muss jetzt vor allem zwei Dinge tun: erstens das PKK-Verbot abschaffen und zweitens Druck auf die Türkei ausüben, die Grenze nach Syrien zu öffnen für Flüchtende, humanitäre Hilfe und den Nachschub für die kämpfenden Kurdinnen und Kurden und sie zu schließen für den IS.
Autoreninfo: Nicole Gohlke ist Bundestagsabgeordnete der LINKEN. In den Jahren 2011 und 2013 bereiste sie verschiedene kurdische Gebiete. Die dort gesammelten Erfahrungen bestärkten die Abgeordnete in ihrer solidarischen Haltung mit der kurdischen Befreiungsbewegung.
Interview: Christina Müller
Foto: linksfraktion .[1]