Die Türkei will vorrangig die Beziehungen zum Assad-Regime ausbauen, um die Kurd:innen ohne Status zu lassen. Dafür wäre sie ohne weiteres bereit, die von ihr unterstützten Gruppierungen in Syrien im Stich zu lassen.
Ebru Günay hat sich als Sprecherin der Demokratischen Partei der Völker (HDP) auf einer Pressekonferenz in Amed (tr. Diyarbakir) zu den fortgesetzten Angriffen der Türkei auf Nordsyrien und den Spekulationen über eine Annäherung zwischen dem türkischen Staatsoberhaupt Tayyip Erdogan und seinem syrischen Amtskollegen Baschar al-Assad geäußert:
„Die Angriffe der Regierung auf Nordostsyrien gehen weiter und wir verfolgen die Entwicklungen in Syrien sehr genau. Zum ersten Mal seit 2011 spricht die Regierung, die den Krieg in Syrien ununterbrochen unterstützt und sogar angeheizt hat, über Gespräche und einen Dialog mit Assad.
Als Partei sind wir natürlich dafür, dass alle Probleme im Dialog und auf dem Verhandlungsweg gelöst werden. Wir sind uns aber auch bewusst, dass das Ziel der Regierung nicht wirklich Verhandlungen und Dialog sind. Abgesehen von der Rechtfertigung dieses Dialogvorschlags bedeutet die Wiederaufnahme von Assad als Gesprächspartner in der gegenwärtigen Phase, dass der Palast und seine Banden den Krieg in Syrien verloren haben.
Mit anderen Worten: Das Finale des vom Palast aus gedrehten Horror-/Abenteuerfilms ,Sturz von Assad' ist nun zu einer absurden Komödie geworden. In dem Prozess, der mit dem Versprechen begann, in der Umayyaden-Moschee in Damaskus zu beten, hat die Regierung, die sich insbesondere vor jeder Wahl mit Militäroperationen zu stärken versucht und die systemimmanente Opposition hinter sich bringt, Millionen geflüchteter Menschen in die Türkei geholt. Mit dieser Situation ist die Türkei heute konfrontiert.
Millionen Menschen haben für dieses Abenteurertum und die Versuche, dem Ihvan-Regime [Muslimbruderschaft] die Vorherrschaft in Syrien zu verschaffen, einen hohen Preis gezahlt und tun es noch immer. Das Palastregime hat jedoch offenbar aus dieser Verwüstung, die weite Teile des Nahen Ostens betrifft, nichts gelernt. Es besteht auf einer unlösbaren Politik, denn ein Dialog mit Assad wird nur auf Kosten der Kurdinnen und Kurden stattfinden. Das Palastregime sucht nach Wegen, um die Operation zur Liquidierung der Kurden, die es zunächst erfolglos über den IS durchführen wollte und dann durch das Eindringen in syrisches Territorium, dieses Mal durch eine Partnerschaft mit dem Assad-Regime unter dem Namen Dialog und Verhandlungen oder durch die Übergabe an Assad zu verwirklichen.
Politik des Feilschens und der Erpressung
Die Türkei hat keine Perspektive für eine Lösung in Syrien. Ihr einziges Ziel ist es, die Kurdinnen und Kurden zu bekämpfen und sie ohne Status zu lassen. Das Wichtigste, was sie als Bedingung für ihren Rückzug aus allen Gebieten, die sie besetzt und in denen sie loyale Truppen stationiert hat, vorbringen wird, ist der Entzug der Rechte der Kurden. Dies ist keine Politik der Lösung, sondern eine Politik des Feilschens und der Erpressung. Zunächst einmal ist die Türkei aus Sicht des syrischen Regimes ein Land, das in vielen Teilen Syriens Besatzungstruppen hat. Nach Ansicht des Regimes sind alle bewaffneten Gruppen, die von der Türkei unterstützt werden, Terroristen. Trotzdem spricht Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu von einer Aussöhnung der Regierung in Damaskus mit diesen Gruppen, die er als Opposition betrachtet, die aber in den von ihnen kontrollierten Gebieten zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Das tut er ohne zu erklären, ob sie sich aus den Regionen, in denen sie sich aufhalten, zurückziehen werden oder nicht, und ohne eine Einschätzung zu dieser Frage abzugeben.
Die Türkei will vorrangig die Beziehungen zum Assad-Regime ausbauen, um die Kurden ohne Status zu lassen. Dafür wäre sie ohne weiteres bereit, die von ihr unterstützten Gruppierungen im Stich zu lassen. Das würde jedoch zu Problemen führen. Sie versucht, das Terrain zu sondieren. Ein weiteres Ziel ist es, im Einvernehmen mit dem syrischen Regime eine Pufferzone einzurichten und Geflüchtete dort anzusiedeln. Wie sehr die Türkei auch von Frieden spricht, ihre Hauptpolitik besteht darin, Syrien und Rojava zu destabilisieren und den Boden für eine Invasion und neue Angriffe zu bereiten. Alle ihre Maßnahmen und Pläne sind darauf ausgerichtet.
Die Türkei muss sich aus Syrien zurückziehen
Die beste Politik ist es, die Lösung in Syrien dem syrischen Volk zu überlassen. Wenn sich die Türkei eine solche Position einnehmen würde, würde es einer Lösung dienen. Feilschen, Erpressung und eine kurdenfeindliche Politik sind nicht lösungsorientiert. Wenn die Türkei an einer Lösung und am Frieden in Syrien interessiert ist, muss sie sich lediglich aus dem syrischen Hoheitsgebiet zurückziehen und ihre Unterstützung für die mit ihr verbundenen Gruppierungen aufgeben. Das Streben nach Dialog und Verhandlungen durch eine Regierung, die dafür verantwortlich ist, dass täglich tödliche Drohnenangriffe und Massaker an der Zivilbevölkerung stattfinden, dass geplündert und die demografische Struktur verändert wird, kann nur zur Verschärfung dieser Verbrechen führen.
Eine politische Lösung ist möglich
Als HDP haben wir uns für direkte Verhandlungen für eine politische und dauerhafte Lösung in Syrien ohne Einmischung ausländischer Mächte eingesetzt und werden dies auch weiterhin tun. Es ist möglich, eine Lösung für alle aus Syrien geflüchteten Menschen zu finden, mit Ausnahme derer, die Kriegsverbrechen begangen haben. Sie sollen in Sicherheit in ihr Heimatland zurückkehren können. Kriegsverbrecher sollten unverzüglich in ihren Herkunftsländern vor Gericht gestellt werden, und ihre Organisationen sollten aufgelöst werden, um den Weg für eine regionale Abrüstung zu ebnen. So wie wir als HDP die kurdische Frage in der Türkei auf der Grundlage einer politischen Lösung angehen, sind wir für eine politische und dauerhafte Lösung in Syrien durch Verhandlungen. Diese prinzipielle Haltung werden wir auch weiterhin jederzeit und überall vertreten.“[1]