Der Guerillaarzt Dr. Dersim erklärt, es liegen konkrete Beweise für den Einsatz von #Chemiewaffen# durch die türkische Armee vor: „Die türkische Armee setzt eindeutig Gase mit Erstickungswirkung ein, vor allem Chlorgas.“
Die türkische Armee hat nach Angaben der Volksverteidigungskräfte (#HPG#) allein in diesem Jahr weit über 2.000 Mal Giftgas und unkonventionelle Bomben gegen die Guerilla in den Medya-Verteidigungsgebieten eingesetzt. Die Aufnahmen von mutmaßlich an Nervengas sterbenden Guerillakämpfer:innen gingen um die Welt. Immer wieder wird auch vom Einsatz von gelblich-grünlicher Gase berichtet und Bilder von gelbgrünen Rückständen wurden von der Guerilla veröffentlicht. Dies deutet auch auf den Einsatz des hochgiftigen Gases Chlor hin. Im ANF-Interview äußert sich Dr. Serbilind Dersim zu seinen Eindrücken vom Einsatz chemischer Waffen durch die türkische Armee. Dr. Serbilind Dersim ist einer der Ärzte der Guerilla.
Warum werden von der türkischen Armee seit zwei Jahren derart intensiv chemische Kampfstoffe eingesetzt?
Zunächst möchte ich meine Ausführungen mit dem Gedenken an unsere Freundinnen und Freunde, die in der aktuellen Phase des Krieges ihr Leben verloren haben, einleiten. Ich möchte mit Respekt aller Gefallenen gedenken, insbesondere Baz Mordem und Helbest Koçerîn, die durch die zuletzt von der türkischen Armee eingesetzten chemischen Waffen ums Leben gekommen sind. Gleichzeitig grüße ich voller Respekt die Freund:innen, die erfüllt von apoistischer Opferbereitschaft gegen die grausamen Angriffe der türkischen Armee in den Kriegstunneln Widerstand leisten.
Wie bekannt ist, befinden wir uns seit 40 Jahren in einem intensiven Krieg mit der türkischen Armee. Vor allem in den letzten sieben Jahren hat ein sehr intensiver, ununterbrochener Krieg stattgefunden. Insbesondere in den letzten zwei Jahren dieses Krieges war die Verteidigung gegen die chemischen Waffen, welche die türkische Armee gegen uns einsetzt, zentral. Wir können sagen, dass die türkische Armee in diesem Krieg auf allen Ebenen feststeckt. Sie erlebt eine Niederlage gegenüber der Guerilla und greift deswegen zu chemischen Waffen. Sie tut es, weil ihr sonst nichts mehr übrigbleibt.
Die türkische Armee zögert nicht, diese chemischen Waffen gegen unsere Kräfte, gegen unsere Freund:innen, einzusetzen. Dabei missachtet sie internationale Abkommen und alle humanistischen Werte. In den letzten Jahren haben sie ihre viel gepriesenen bewaffneten Drohnen rund um die Uhr über unseren Kräften kreisen lassen, sie haben uns aus ihren Kampfflugzeugen und Hubschraubern mit Raketen und Bomben beschossen. Gleichzeitig beschießen sie jeden Tag, zu jeder Stunde die Region aus ihren Panzern, Artilleriegeschützen und Haubitzen. Als ob das nicht schon genug wäre, greifen sie unsere Kräfte auch noch mit Bodentruppen und sogar mit ihren „Bordeaux-Berets“ (Spezialeinheiten) an und setzen aus Syrien rekrutierte Söldner von al-Nusra und dem IS ein. Aber nichts davon nützt ihnen gegen die Freund:innen, die aufopferungsvoll Widerstand leisten, ja nicht nur Widerstand leisten, sondern dem Feind in mobilen Einheiten mit hochmodernen und professionellen Guerillataktiken einen Schlag nach dem anderen versetzen. Deshalb greifen sie zu chemischen Waffen.
Trotz unzähligen Aufnahmen behauptet der türkische Staat, keine chemischen Waffen einzusetzen. Was sagen Sie dazu?
Leider sind zuletzt 17 unserer Freund:innen durch den Einsatz von Chemiewaffen ums Leben gekommen. Als dies auf die Tagesordnung kam, gerieten der türkische Staat und die Medien in Panik und beeilten sich, die Einsätze zu leugnen. Sie versuchten sogar, dies in ihren eigenen Fernsehkanälen durch einige so genannte Experten zu dementieren. Es wurden Diskurse wie „Die ehrenwerte türkische Armee verwendet keine chemischen Waffen“ vorangetrieben. Um es ganz offen zu sagen: Für uns ist es nicht der Punkt, über irgendjemandes „Ehre“ zu sprechen, aber in diesem Krieg gibt es weder eine Armee noch eine Ehre. Es wird wohl auch nicht als richtig betrachtet, dass eine Armee, die die Leichen ihrer Soldaten verbrennt oder von Klippen wirft, damit sie nicht in die Hände der Guerilla fallen, und diese Leichen sogar mit ihren eigenen Flugzeugen in Stücke sprengt, damit es keine Spuren oder Beweise über die getöteten Soldaten gibt, solche Worte überhaupt in den Mund nimmt.
Gleichzeitig werden Aussagen wie „wenn die türkische Armee chemische Waffen eingesetzt hätte, hätte sie Schutzanzüge getragen“ verbreitet. Es muss doch klar sein, dass auch Soldaten, die Sprengstoff mit sich führen, sei es eine Granate, eine Artilleriegranate oder eine Mörsergranate, heute nicht wie Bombenentschärfer gekleidet sein müssen. Warum? Dieser Sprengstoff wurde eingeschlossen und zu Munition verarbeitet. Er explodiert nur, wenn er durch eine Sprengkapsel oder einen Auslösemechanismus aktiviert wird. Ebenso hat die türkische Armee Chemiewaffen verpackt, zu Mörsergranaten, in Form von Zylindern zum Einsatz vorbereitet oder zu Munition verarbeitet. Solange diese nicht mit einer Sprengkapsel zur Detonation gebracht werden, brauchen die Träger keine Schutzkleidung zu tragen. Das geht schon deutlich aus den veröffentlichten Bildern hervor. Sie füllen die Kriegstunnel mit Giftgas, indem sie die Munition an den Eingängen unserer Tunnel fernzünden.
Welche Chemiewaffen werden Ihrer Erfahrung nach eingesetzt? Welche Erfahrungen haben Sie bei den Guerillakämpfer:innen gemacht, die Sie behandelt haben?
Nach den Informationen, die wir aus den Kampfgebieten erhalten haben, und nach den Untersuchungen, die wir bei den Freund:innen, die von dort kamen, durchgeführt haben, setzt die türkische Armee eindeutig Erstickungsgase ein. Das wichtigste davon ist Chlorgas. Die türkische Armee stellt auf dem Schlachtfeld selbst Chlorgas her. Chlorgas wird einfach aus Salzsäure hergestellt, die in vielen Haushalten als Reinigungsmittel verwendet wird. In Bleichmitteln ist Natriumhypochlorit (Chlorbleiche) enthalten. Wenn diese beiden Stoffe zusammenkommen, wird das erstickende, reizende, augen- und atemwegsschädigende Chlorgas freigesetzt, das bereits in geringer Dosierung zu Erstickung und zum Tod führt.
In der Türkei gibt es Tausende Fälle von Vergiftungen, weil Menschen bei der Reinigung ihrer Wohnungen Chlorbleiche und Salzsäure verwendet haben. Das wissen alle ganz genau. Warum? Es handelt sich um Materialien des täglichen Lebens. Die türkische Armee sagt, dass sich in ihrer Munition, in ihrem Inventar, keine chemischen Waffen befänden. Aber sie produziert selbst Chlorgas im Kriegsgebiet mit Hilfe dieser Chemikalien. Sie verlegt sogar Rohre bis zur Mündung der Tunnel und pumpt die Chemikalien in die Stollen. Das sind Dinge, die auf Videos deutlich zu sehen und sehr klar belegt sind.
Offensichtlich handelt es sich bei dem Gas, dem Şehîd Baz Mordem ausgesetzt war, um ein solches Gas. Die Reizung der Lungen unseres Freundes zeigt, dass er dieser Art von erstickendem Gas ausgesetzt war. Aufgrund des starken Ödems in der Lunge, das durch die Risse in den Kapillaren entstanden ist, trat aus dem Mund unseres Freundes eine rote, rosafarbene und braune Flüssigkeit aus. Das ist deutlich zu erkennen. Es hat sich bestätigt, dass diese Flüssigkeit nicht aus dem Magen, sondern aus der Lunge kam. Das können wir klar sagen.
Gleichzeitig möchte ich Ihnen einige Informationen über das Gas mitteilen, das gegen Şehîd Helbest Koçerîn eingesetzt wurde. Das dort eingesetzte Gas gehört zu den Narkosegasen aus der Klasse der kapazitätsreduzierenden Gase. Es gibt ein Gas namens „Buzz 15“ mit dem Code BZ. Gleichzeitig geht es um die Droge LSD. (…) Die Umwandlung von LSD in ein Gas hat jedoch sehr tödliche Folgen. Dies ist eines der Gase, die gegen uns eingesetzt werden. Natürlich gibt es verschiedene Arten von Anästhesiegas, wie beispielsweise Fentanyl-Derivate. Ich möchte nicht zu sehr ins technische Detail gehen, aber was bewirken diese Gase? Sie machen die Person bewusstlos und kampfunfähig. Bei unserer Freundin Helbest war zu erkennen, dass sie einer solchen Chemikalie ausgesetzt war. Die Freundin scheint unter dem Einfluss der Chemikalie ohnmächtig geworden zu sein und halluziniert zu haben. Sie reagiert auf eine vollkommen ungewöhnliche Art und Weise und erlebt emotionale Störungen wie extreme Freude oder extreme Traurigkeit. Dies ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass unsere Freundin dieser Art von Narkosegas ausgesetzt war.
Welche Maßnahmen können gegen die Chemiewaffeneinsätze getroffen werden?
Wie bereits gesagt, versucht die türkische Armee der Entschlossenheit der Guerilla mit chemischen Waffen etwas entgegenzusetzen. Sie glaubt, dass sie nur mit Chemiewaffen Ergebnisse erzielen könne. Natürlich haben unsere Freund:innen nur sehr begrenzte Mittel dagegen. Wir hatten an einigen wenigen Stellen Probleme mit den Vorkehrungen. Leider führte diese Situation zu einigen Gefallenen. Doch trotz der Chemiewaffenangriffe setzen unsere Freund:innen ihren Kampf fort, indem sie gegen die türkische Armee Widerstand leisten und sogar Aktionen vorantreiben, um die Angriffe zu brechen und dem Feind schwere Verluste zuzufügen. Die türkische Armee steht vor ihrer endgültigen Niederlage. Natürlich produziert die türkische Armee diese Chemiewaffen nicht allein. Sie bezieht einige dieser Chemikalien aus #NATO#-Ländern. Sie setzt zum Beispiel Tränengas ein. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Tränengas um ein in Großbritannien hergestelltes Gas mit dem Code CS. Das Gas wird von dort an die Türkei geliefert. Die türkische Armee hat natürlich die volle Unterstützung der NATO. Deshalb kann der türkische Staat uns so intensiv angreifen.
Welche Forderungen haben Sie an internationale Organisationen, die sich mit dem Einsatz von chemischen Waffen befassen?
Abschließend möchte ich anmerken, dass in einigen Veröffentlichungen oder in den Erklärungen einiger Personen, die sich gegen den Einsatz von Chemiewaffen durch die türkische Armee aussprechen, Worte wie „wenn“ oder „ich frage mich“ verwendet werden. Es gibt kein „wenn“ und keine Ungewissheit; die Situation ist klar. Der Einsatz von Chemiewaffen durch die türkische Armee ist eindeutig und konkret durch Beweise belegt. Schon aus diesem Grund laden wir unabhängige Institutionen und internationale Organisationen in unsere Gebiete ein, um vor Ort Inspektionen durchzuführen und Berichte zu erstellen. Die HPG werden alle erforderliche Unterstützung und Einrichtungen bereitstellen. Deshalb laden wir sie erneut ein. Lasst sie kommen; lasst sie Untersuchungen auf den Schlachtfeldern, in den Kriegstunneln und in den Kampfgebieten durchführen und ihre Ergebnisse der gesamten Öffentlichkeit zugänglich machen.[1]