In der kurdischen Stadt #Mahabad# im Nordwesten des Iran ist es Augenzeugen zufolge bei Protesten zu ausufernder Gewalt gekommen. Demnach sollen Polizei- und Sicherheitskräfte am Samstagabend mit Panzern in die Stadt einmarschiert sein und wahllos auf Demonstranten geschossen haben. Auch der Strom in der Stadt sei kurzfristig abgeschaltet worden. Die Situation sei eskaliert – zahlreiche Einwohner wurden verletzt, wie Augenzeugen berichteten.
Unklar blieb, ob es auch Tote gegeben hat. Die Schilderungen ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die regierungsnahe Nachrichtenagentur Tasnim stellte die Situation anders dar: In der Nacht zum Sonntag hätten „bewaffnete Terroristen“ Privathäuser und öffentliche Einrichtungen in Brand gesetzt und die ganze Stadt und deren Einwohner in Panik versetzt. Mehrere Anführer der „Terrorgruppen“ hätten jedoch überführt und inhaftiert werden können, so der Tasnim-Bericht unter Berufung auf örtliche Sicherheitsbehörden.
Tausendfach in den sozialen Netzwerken geteilte Videos zeigten Militärkonvois, die durch die Straßen fuhren. Die in Oslo ansässige Menschenrechtsorganisation Hengaw berichtete von Helikoptern, die über dem Himmel der kurdischen Stadt kreisten. Ort und Zeit der Aufnahmen ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Medienberichten zufolge gab es am Samstagabend auch in anderen Teilen des Landes erneut Proteste gegen den repressiven Kurs der islamischen Führung.
Die ebenfalls in Norwegen ansässige Organisation Iran Human Rights (IHR) veröffentlichte in der Nacht zum Sonntag Aufnahmen, in denen ihren Angaben zufolge Schüsse und Schreie in der Stadt zu hören sind. Der IHR-Vorsitzende Mahmood Amiry-Moghaddam erklärte, die Behörden hätten in Mahabad den Strom abgestellt. Zudem seien „Maschinengewehrschüsse zu hören“, und es gebe „unbestätigte Berichte über getötete oder verletzte Demonstranten“.
Streiks gegen Polizeigewalt
In zuvor von Aktivisten veröffentlichten Aufnahmen sind Protestierende in Mahabad zu sehen, die auf der Straße sitzen und Barrikaden errichten – unter anderem nach den Beerdigungen von getöteten Demonstranten. Geschäftsbesitzer in der gesamten Region würden am Sonntag streiken, um gegen die Gewalt der Polizei zu protestieren, berichtete Hengaw weiter. Die Organisation veröffentlichte zudem Aufnahmen aus der Stadt Sanandadsch in der Nachbarprovinz #Kurdistan#. Darauf ist zu sehen, wie eine Frau von Sicherheitskräften beschossen wird.
Hengaw hatte am Samstag bereits vor einer „kritischen“ Lage in der Stadt Diwandarreh in der Provinz Kurdistan gewarnt, wo Regierungstruppen mindestens drei Zivilisten erschossen hätten. Am Sonntag äußerte sich die Organisation auch besorgt über die Lage in anderen mehrheitlich von Kurden bewohnten Städten, darunter Bukan und Sakes. Dort hatten die Proteste zuletzt zugenommen.
Sakes ist der Heimatort von Mahsa Amini. Am Tod der jungen Kurdin hatten sich die seit zwei Monaten andauernde Proteste im Iran entzündet. Die 22-Jährige war Mitte September in Teheran im Krankenhaus gestorben, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen eines angeblich nicht vorschriftsgemäß getragenen Kopftuchs festgenommen worden war. Aktivisten werfen der Polizei vor, Amini misshandelt zu haben.
Zwei Schauspielerinnen verhaftet
Unterdessen wurden zwei bekannte Schauspielerinnen wegen der Unterstützung der regierungskritischen Proteste festgenommen. Hengameh Ghasiani und Katajun Riahi wurden in Gewahrsam genommen, nachdem sie in der Öffentlichkeit ihr Kopftuch abgenommen hatten, wie iranische Staatsmedien am Sonntag berichteten. Die 52-jährige Ghasiani, eine vehemente Kritikerin des harten Vorgehens der Behörden gegen die Demonstrierenden, hatte am Samstagabend auf Instagram ein Video veröffentlicht, in dem sie ihr Kopftuch ablegt. „Vielleicht ist das mein letzter Beitrag“, schrieb sie.
Auch sieben weitere Prominente aus Film, Sport und Politik wurden nach Angaben der iranischen Justizbehörde von der Staatsanwaltschaft vorgeladen. Falls die Ermittlungen zu einer Anklage gegen die acht führen sollten, droht ihnen ein längerfristiges Arbeitsverbot. Alleine die Unterstützung für die systemkritischen Proteste, insbesondere von Prominenten in sozialen Netzwerken, wird von der Justiz als Gefährdung der nationalen Sicherheit bewertet.
Sechstes Todesurteil im Zusammenhang mit den Demos
Am Sonntag wurde zudem erneut ein Angeklagter im Zusammenhang mit den Protesten zum Tode verurteilt. Das Revolutionsgericht in Teheran befand ihn für schuldig, „während der jüngsten Unruhen ein Messer gezogen“ zu haben, „mit der Absicht zu töten, Terror zu verbreiten und die Gesellschaft zu verunsichern“, wie die iranische Justizbehörde auf ihrer Internetsite Misan Online am Sonntag bekanntgab. Es ist bereits das sechste Todesurteil im Zusammenhang mit den Demonstrationen.[1]