29. Januar 2020 Elke Dangeleit
Damit könnte der Weg für einen neuen Friedensprozess in der Kurdenfrage offen sein - wenn sich auch andere europäische Regierungen dem Urteil anschließen
Die kurdische Arbeiterpartei #PKK# ist keine terroristische Organisation, sondern eine Partei in einem bewaffneten Konflikt. Zu diesem endgültigen Urteil kam am Dienstag der Kassationshof in Brüssel und bestätigte damit das Urteil des Revisionsgerichts vom März 2019. Der Kassationshof ist das oberste Gericht Belgiens und damit die letzte Instanz in Zivil- und Strafverfahren.
Der Generalstaatsanwalt beim Brüsseler Kassationshof hatte bereits vor zwei Wochen eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen. Während die erste oder zweite Entscheidung des Kassationshofs rechtlich nicht bindend ist, ist das jetzige dritte Urteil unumstößlich und für alle Parteien verbindlich. Schon im September 2017 urteilte das Brüsseler Berufungsgericht, wie der europa.blog schreibt, dass es in der Türkei einen bewaffneten Konflikt gibt und dass die PKK Konfliktpartei in diesem innertürkischen bewaffneten Konflikt ist. Die Entscheidung hält fest, dass die PKK keine Bürger*innen terrorisiert, sondern für die Rechte der Kurden kämpft. Bürger und Bürgerinnen sind, so das Berufungsgericht, nicht Ziel der PKK, selbst wenn es bei Angriffen auf militärische Ziele auch zivile Opfer gibt. Folglich, so das Berufungsgericht, könne die PKK nicht als Terrororganisation eingestuft und vermutliche Mitglieder der PKK auch nicht als Terroristen verklagt werden.
Zudem hätte die PKK die Genfer Konventionen anerkannt. Damit verpflichtet sich die PKK, die Regelungen des humanitären Völkerrechts anzuerkennen. Das beinhaltet unter anderem den menschlichen Umgang mit Gefangenen. Das Gleiche gilt übrigens auch für die türkische Regierung, die ebenfalls die Genfer Konventionen anerkannt haben… Im November 2018 kam das EU-Gericht zu dem Schluss, dass die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zwischen 2014 und 2017 zu Unrecht auf der EU-Terrorliste geführt worden sei. Das EU-Gericht erklärte, so die Tagesschau, die zugrundeliegenden Beschlüsse der EU-Staaten wegen Verfahrensfehlern für nichtig. Nach Ansicht des Gerichts hat der Rat der Mitgliedstaaten in notwendigen Verordnungen und Beschlüssen nicht hinreichend begründet, warum er die PKK auf der Liste führt. Es bekräftigte zudem, die Listung der PKK als Terrororganisation sei geopolitischen Interessen geschuldet.
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Eine neue Chance für den Friedensprozess im Nahen Osten
Nun besteht mit diesem Urteil zumindest die Hoffnung, dass dieses Urteil in den anderen europäischen Ländern zu einem Umdenken führt. In der Schweiz ist beispielsweise die PKK nicht als terroristische Organisation gelistet, weil die PKK nicht auf der Liste der Terrororganisationen der Vereinten Nationen steht. Würden sich die Regierungen dieses juristische Urteil zu Eigen machen, bestünde die Chance, die Kurdenfrage und damit den Krieg der Türkei gegen die Kurden auf politischer Ebene zu lösen.
Wenn man den seit Jahrzehnten andauernden Konflikt zwischen den verschiedenen türkischen Regierungen und der PKK genauer betrachtet, ist das kein Konflikt, auf dem türkische Soldaten auf der einen und PKK-Kämpfer auf der anderen Seite bei Kämpfen ums Leben kommen. Von Anfang an wurde die kurdische Bevölkerung, vor allem im ländlichen Raum im Südosten der Türkei, in Sippenhaft genommen. Zahlreiche Massaker durch die türkische Armee, Vertreibungen durch das Niederbrennen tausender kurdischer Dörfer in den 90er Jahren haben dies dokumentiert.
Ein Spiegelartikel aus dem Jahr 1995 schildert die historischen Zusammenhänge und die Frage nach der Anerkennung der Kurden als ethnische Minderheit detailliert und treffend. Auch die Doppelmoral der damaligen deutschen Regierungen wird aufgezeigt und sagt uns, dass sich daran bis heute nichts geändert hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel lieferte letzten Freitag in Ankara den Beweis dafür, indem sie eine Unterstützung der Siedlungspolitik Erdogans in Nordsyrien und damit die Vertreibung der ansässigen kurdischen und christlichen Bevölkerung in Aussicht stellte.
Letztendlich ist jeder Mensch, ob türkischer Soldat, PKK-Kämpfer oder kurdischer Bauer, der in diesem unnötigen Krieg ums Leben kommt und eine trauernde Familie hinterlässt, einer zu viel. Unnötig deshalb, weil eine Anerkennung der kurdischen Bevölkerung als ethnischer Minderheit und die Gewährung von Minderheitenrechten sowie einen gewissen Autonomiestatus für die kurdischen Regionen wie z.B. in Südtirol zum sofortigen Frieden führen würden. Es ist vor allem dem türkischen Nationalismus fast aller im Parlament vertretenen Parteien - die kemalistische CHP eingeschlossen - geschuldet, dass dieser Weg bis heute versperrt ist.
Eine friedliche Lösung der Kurdenfrage hätte viele Vorteile
Würde Deutschland dem belgischen Urteil folgen, würde das das Ende der Kriminalisierung der kurdischen linken Bewegung in Deutschland bedeuten. Dann hätten die ständigen Hausdurchsuchungen, die letztlich nur der Einschüchterung und Demütigung dienen, ein Ende.
Dann würden unwürdige Prozesse wie der gegen eine kurdische Mutter von 5 Kindern in Oberhausen, wo aufgrund einer Meldung des Düsseldorfer Staatschutzes die Behörde ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung einleitete, weil eine der Töchter mehrere kurdische Demonstrationen besuchte, der Vergangenheit angehören. Denn obwohl das Jugendamt der Mutter eine gute Erziehung bescheinigte, versuchte das Gericht wegen des Engagements in der kurdischen Bewegung ihr das Sorgerecht zu entziehen - was letztlich nicht gelungen ist. Man stelle sich vor, deutschen Müttern oder Vätern würde das Sorgerecht entzogen, weil ihre Söhne oder Töchter sich an den Fridays for Future-Demonstrationen beteiligen.
Ungeheuerlichkeiten wie das Verbot und die Beschlagnahmung des Mezopotamienverlages - das erste Mal geschehen in der deutschen Nachkriegsgeschichte - könnten sich nicht mehr wiederholen, wäre das PKK-Verbot aufgehoben. Ganz zu schweigen von den vielen unsinnigen Prozessen wegen diverser Fahnen, die willkürlich einen Zusammenhang zwischen der PKK und der kurdischen Solidaritätsbewegung für die HDP in der Türkei oder die Selbstverwaltung in Nordsyrien konstruieren.
Eine Abkehr des Terrorvorwurfs würde auch zur Entspannung im innerkurdischen Dialog beitragen. In einer entkriminalisierten Atmosphäre könnten etwa die eher konservativ ausgerichtete Kurdische Gemeinde und die linksorientierten kurdischen Organisationen auf Augenhöhe über politische Lösungen diskutieren, ohne sich abgrenzen zu müssen, damit man nicht in die Nähe von Unterstützern terroristischer Organisationen gerät. Dies war und ist ein beliebtes Argument in der kurdischen Community, um eine inhaltliche Diskussion zu umgehen. Das trifft übrigens auch für die deutschen Parteien im Bundestag und diverse Think-Tanks zu. Man müsste sich endlich mal inhaltlich mit der Frage des Demokratischen Konföderalismus auseinandersetzen, den die PKK seit Jahren als Modell für einen Frieden im Nahen Osten favorisiert - und keinen Kurdenstaat, was ihr immer wieder unterstellt wird. Die deutsche Politik könnte dann auch eine konstruktive Rolle zur Lösung des Konflikts in der Türkei spielen und sich nicht länger von Erdogan am Nasenring durch die Manege ziehen lassen. Sie könnte die türkische Regierung an den Verhandlungstisch mit der PKK bringen - die PKK hat das mehrfach angeboten. Denn eines haben die letzten Jahrzehnte gezeigt, militärisch lässt sich dieser Konflikt nicht lösen.
Türkei
Würde sich die türkische Regierung auf einen Dialog mit der PKK einlassen und ihre Kurdenphobie überwinden, könnte die Türkei wieder in demokratisches Fahrwasser geraten. Davon ist die Türkei unter Erdogans neoosmanischem Kurs zwar Lichtjahre entfernt, aber es lohnt sich, sich ein solches Szenario mal vorzustellen.
Viele tausend inhaftierte Journalisten, Menschenrechtler, HDP-Politiker und Zivilisten, die wegen Terrorpropaganda oder Unterstützung einer terroristischen Organisation (in diesem Fall die PKK) in türkischen Gefängnissen unter menschenunwürdigen Bedingungen schmoren, würden freikommen. Auch die vielen deutschen Inhaftierten oder mit Ausreisesperre belegten Deutschen würden freikommen. Kritiker der AKP-Regierung könnten wieder in dieses schöne, kulturell interessante Land reisen, ohne Angst haben zu müssen, wegen Äußerungen in den sozialen Medien inhaftiert zu werden.
Die Medien könnten wieder kontrovers und kritisch berichten, die Politiker in den Landes- und Kommunalparlamenten könnten sich wieder mit politischen Inhalten auseinandersetzen und ohne Repressionen um Zustimmung in der Bevölkerung werben.
Die korrupten Seilschaften der AKP und die Mafia könnten sich nicht mehr dauerhaft auf Kosten der Bevölkerung bereichern. Denn die Allmacht der AKP hätte dann ein Ende. Menschenrechte, Minderheitenrechte, Frauenrechte, Ökologie - diese Themen ständen dann wie bei uns auf der politischen Agenda, wo um Mehrheiten geworben werden muss.
Außenpolitisch hätte die Türkei kein Argument mehr, sich fremdes Territorium wie in Nordsyrien anzueignen und müsste sich zurückziehen. Damit würde die Türkei keine weiteren Flüchtlinge mehr produzieren und für Entspannung in den Nachbarländern sorgen. Die Gleichsetzung der kurdischen Arbeiterpartei PKK und der kurdischen Partei PYD bzw. dem bewaffneten Arm der PKK und den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG/YPJ bzw. den Syrian Democratic Forces (SDF), dem auch arabische und christliche Einheiten angehören, als Terrororganisationen wäre obsolet.
Syrien
In Syrien hieße das, dass die Flüchtlinge aus Afrin, das die Türkei 2018 annektiert hatte, und aus Sere Kaniye und Gire Spi, welches im Oktober 2019 annektiert wurde, in ihre Dörfer und Wohnungen zurückkehren könnten. Umgekehrt müsste die türkische Regierung den völkerrechtswidrig angesiedelten Dschihadistenfamilien in Afrin etc. Wohnungen in der Türkei anbieten. Damit könnten sie das Wohnungsbauunternehmen TOKI statt in Syrien in der Türkei beauftragen.
In Syrien hieße das auch, die Unterstützung der Dschihadisten in Idlib und anderswo aufzugeben und sich aus diesen Regionen zurückzuziehen. Das würde auch den Weg frei machen für Verhandlungen mit dem Assad-Regime über Verfassungsänderungen und der Einführung von Minderheitenrechten. Da wäre auch die internationale Gemeinschaft gefragt, das Embargo gegen Syrien aufzuheben und in einen konstruktiven Dialog mit der syrischen Regierung zur Demokratisierung zu treten.
Aber diese Diskussion hier weiter auszubreiten, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Wir wollen uns auf das belgische Urteil zur Bewertung der PKK und das bestmögliche Szenario für diese Region konzentrieren.
Irak
Die Türkei hätte dann auch keine Rechtfertigung mehr für ihre Stützpunkte und Angriffe im Nordirak. Die Bombardements der Dörfer in der Region Kandil wurden immer mit der Präsenz der PKK begründet. Wenn die PKK nicht mehr als Terrororganisation gelistet ist, fiele diese Argumentation weg.
Dies wiederrum könnte im Nordirak zu einer innerkurdischen Diskussion von allen Fraktionen führen, weil sich die führende Partei des Barzani-Clans KDP keine Sorgen mehr machen müsste, dass die Türkei ihnen den Wasser- und Lebensmittelhahn zudrehen würde, weil sie die PKK als eine kurdische Partei in irakisch Kurdistan anerkennt. Denn faktisch spielt die PKK vor allem im Kampf gegen den IS und dem Schutz der Eziden im Shengal im Norden des Irak eine große Rolle.
Iran
Letztendlich hätte dies auch Auswirkungen auf das Mullah-Regime im Iran. Der Iran müsste dann ebenfalls seine kurdische Minderheit anerkennen und sich politisch arrangieren. Das wiederum könnte ebenfalls zu einer Demokratisierung in dem Land führen und im besten Fall zur Überwindung des Mullah-Regimes. Das nur am Rande bemerkt.
Fazit
Eine Streichung der PKK von den Terrorlisten in Europa und ein Friedensdialog hätte weitreichende Auswirkungen im Nahen Osten, die, wenn auf Augenhöhe verhandelt würde, das den Menschen bringen würde, was sie sich seit Jahren wünschen: Frieden - und vielleicht auch Demokratie.
Bei der Abschaffung der Apartheid in Afrika hat es auch lange gedauert, bis die übrige Welt das Anliegen der afrikanischen Bevölkerung auf Selbstbestimmung akzeptieren konnte. Lange stand der ANC auf der Terrorliste und Nelson Mandela galt als Terrorist, weil die weiße Apartheit-Regierung das so wollte. Jahre später wurde Nelson Mandela Präsident von Südafrika und wurde als Peacemaker gefeiert…
Um den türkischen Nationalisten und Forentrollen zuvorzukommen: Es geht in diesem Beitrag nicht darum, die kurdische Arbeiterpartei zu bejubeln. Über die politischen Ziele der PKK und der Umsetzbarkeit des Demokratischen Konföderalismus kann man sich streiten. Aber dazu sollte man sich zuerst einmal mit dieser Theorie auseinandersetzen und sie auf Umsetzbarkeit überprüfen. Das belgische Urteil könnte dafür den Boden bereiten - wenn die europäischen Regierungen es schaffen, aus ihrem Glashaus herauszutreten und die Realitäten wahrnehmen.[1]