Autor: Desmond Fernandes Ronald Ofteringer
Erscheinungsort: D-60314 Frankfurt am Main
Verleger: medico international e.V. Obermainanlage 7
Veröffentlichungsdatum:Mai 2001.
Der Krieg der Türkei gegen die Kurden
»Die Geschichte muß aufgearbeitet werden«
Das ist der Satz der Unruhe in der heutigen Kultur. Ein verbrieftes Recht soll daraus werden. Die planvoll ermordeten Juden verlangen das. Die »Lesenden Arbeiter« (Brecht) machen das erforderlich. Die Frauen. Die Kolonisierten und Unterdrückten. Alle die an den Rand getriebenen Marginalisierten. Auch die Kurdinnen und Kurden. Die Thematisierung der Wiederkehr des Verdrängten ist zu einer allgemeinen kulturellen Beschäftigung geworden. Keine UN-Konferenz, kein Symposion, keine einzige Menschenrechtsorganisation, Film und Schule, Politik und Netzwerke, der Papst und die
Bundeswehrführung, es gibt keinen, der nicht vollauf damit beschäftigt wäre, an irgendeiner Stelle der ganzen langen Leidensgeschichte der Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen anzuknüpfen, um dem Jargon der »Aufarbeitung« zu genügen. Bei der Tätigkeit der vorwurfsvollen Durchleuchtung der Geschichte erwächst aus der Bemühung der Beteiligten die Form der Ritualisierung und in ihrer Konkurrenz die der Hierarchisierung. Kaum ein dunkles Ereignis der früheren oder auch der jüngsten Geschichte, das nicht mit dem der Vernichtung der Juden verglichen und möglichst in eine gleichrangige »Qualität« mit jenem bisher singulären Trauma gerückt werden soll. Wem es dabei gelingt, mittels einigermaßen geschickter Anwendung von Analogien und Vergleichen in die Nähe der Megaverbrechen der Geschichte zu gelangen, der hat auch Aussicht auf Gehör: in den Medien, in der Politik, vor internationalen Gerichten, die zunehmend auch darüber entscheiden, ob Reparationen und Entschädigungen zu gewähren sind.
Die beliebige Übertragung des Völkermordbegriffs an die moralischen Patentämter macht das, worum es geht, nicht nur zur »Mode« oder zum »Kampfbegriff«, sondern vernichtet durch solche Oberflächlichkeit zugleich alle feineren und triftigeren Analysen, die der Ernsthaftigkeit und der »Schwere des rechtlichen und historischen Gehalts« entsprechen würden.[1]