In unserer Reihe „Jung, Jesidisch, Erfolgreich“ stellt die Stelle für Jesidische Angelegenheiten junge JesidInnen vor, die in Deutschland und Europa nicht nur eine neue Heimat gefunden haben, sondern mit besonders gutem Beispiel in unserer Gesellschaft vorangehen und uns zeigen, wie Integration und das Erfüllen individueller Träume Hand in Hand gehen.
In der irakischen Hauptstadt Bagdad entsteht ein Museum, das den Jesiden die Anerkennung zuspricht, politisch, sozialgesellschaftlich und historisch ein unbestreitbarer Teil des Landes zu sein. Der Entwurf des bedeutenden Monuments entstammt aus der Feder der jungen Jesidin Dersim Namo, die auf der Flucht vor dem Krieg im Irak im iranischen Exil auf die Welt gekommen ist, erst mit 19 Jahren nach Deutschland geflüchtet ist und nun als Architektin ihrem Traum nachgeht. SJA hat mit ihr über ihre Kindheit, ihren harten Weg und ihr unermüdliches Durchhaltevermögen auf dem Weg zu ihrem Traum gesprochen.
Das Interview wurde geführt von Gohdar Alkaidy
Spricht man mit der 31-jährigen Dersim Namo, so spürt man ihren Ehrgeiz, aber auch ihre Bescheidenheit. Die junge Jesidin macht einen ganz normalen Eindruck auf ihren Gegenüber: gute Elternstube, behütete Kindheit, Schule, Abitur, Studium. Spätestens aber wenn sie von ihrem Werdegang erzählt, fällt dem Zuhörer die Kinnlade herunter.
Die Eltern der jungen Jesidin fliehen 1991 während des Ersten Golfkriegs aus dem Irak in den Iran. Dort in der Fremde erblickt sie unter schwersten Bedingungen das Licht der Welt. Erst mit zwei Jahren kommt das Kind mit seinen Eltern zurück in die zerstörte Heimat. Die Wirtschaft liegt am Boden, die medizinische Versorgung können sich nur noch Wohlhabende leisten und die schulische Bildung ist mangelhaft. Dennoch bleiben sie in der Heimat. „Niemand verlässt gerne sein Land“, sagt Dersim. Sie bleibt mit ihrer Familie im Irak und wächst dort zu einer jungen Frau heran. Dann kommt noch ein Krieg. Die „Koalition der Willigen“ marschiert 2003 unter US-amerikanischer Führung ins Land ein, Langzeitherrscher Saddam Hussein wird gestürzt, ein besseres Leben wird versprochen, Demokratie soll Einzug ins Land halten. Dann kommt alles ganz anders. Jesiden und Christen werden auf offener Straße verfolgt und ermordet, Bombenanschläge gehören zum Alltag. Als es ausweglos scheint, beschließen die Eltern der jungen Jesidin, die inzwischen 19-jährige und ihre zwei Brüder in Sicherheit zu bringen.
Zu diesem Zeitpunkt hat Dersim bereits ein Jahr Bauingenieurwesen studiert. „Ich habe sehr schöne Erinnerungen an die Heimat. Ich bin immerhin dort aufgewachsen und zur Schule gegangen“, sagt sie. „Außerdem wusste ich, es würde nicht einfach werden, so spät in einem anderen Land von null anfangen zu müssen, ganz zu schweigen eine neue, fremde Sprache zu erlernen.“
Von ihren Träumen lässt sich die junge Irakerin aber nicht abbringen. „Ich wusste, dass der Weg zu meinen Träumen steinig werden wird, aber dass das auch eine große Chance sein kann“, erzählt sie mit Begeisterung. Sie hätte sich immer schon für Design und Malerei interessiert. Deswegen wollte ich beides so gut es geht verbinden und habe mich für Architektur entschieden.
Im März 2018 beendet sie ihr Masterstudium. Das Thema ihrer Abschlussarbeit – „Ein Ort der Begegnung für Jesiden in Hannover“ – zeigt, wie verbunden sie ihrer Religion ist. Darin beschäftigt sie sich ausführlich mit der Architektur jesidischer Sakralbauten.
Dersim hatte ihren Kindheitstraum erfüllt. „Aber ich wollte unbedingt etwas für mein Volk tun“, sagt sie. Kurz nach dem Studium beginnt sie mit den Entwürfen für das Museum in Bagdad. „Von Anfang an schien es unmöglich, aber ich wollte es versuchen“, erzählt Dersim von den Schwierigkeiten. Sie setzt alle Hebel in Bewegung, um den Entwurf in Bagdad einzureichen. Mit viel Mühe und Schweiß kommt der Entwurf bei den zuständigen Behörden an. Dann folgt eine lange Zeit der Stille. Am 22. Dezember 2020 schließlich kommt die erlösende Nachricht: das Büro des Präsidenten der Republik Irak und das Generalsekretariat des Ministerrates haben den Entwurf und den Bau des Museums mit dem Namen „Museum of Remembrance“ genehmigt.
Das Museum der Erinnerung soll eine Stätte der Begegnung werden, die Jesiden alle Anerkennung zusprechen und den Toten des Genozids durch den Islamischen Staat im Jahr 2014 gedenken.
Und wie hast du dich nach der Genehmigung gefühlt?
„Ich war stolz darauf. Nicht auf mich selbst, aber darauf, dass ich das Gefühl verspürt habe, mit diesem Erfolg den zahllosen stimmlosen Menschen damit eine Stimme gegeben zu haben und dass das Projekt das Miteinander der Völker fördern wird. Außerdem muss die Realität von allen Seiten akzeptiert werden, dass die Jesiden seit Jahrtausenden in diesem Land beheimatet sind und sie fester und gleichwertiger Bestandteil von Gesellschaft und Politik sind.“
Möchtest du unseren Lesern noch etwas ans Herz legen?
„Ich möchte allen ans Herz legen, sich für ihre Träume einzusetzen und dafür zu kämpfen. Besonders unseren Mädchen möchte ich sagen, dass sie die Chance ergreifen sollten, ihre Träume zu verwirklichen, ohne unsere jesidischen Traditionen zu brechen. Sie sollten sich im Klaren darüber sein, dass unsere Religion Frauen und Männer gleich betrachtet und behandelt. Und wer in Europa lebt, ist in Frieden und Freiheit, hier zählen keine Ausreden mehr.“
Dann kommt nebenbei ein i-Tüpfelchen ihres Tuns: sie erzählt beiläufig – als wäre es selbstverständlich – von dem Buch über Tradition, Kultur und Religion der Jesiden, an dem sie aktuell arbeitet und auf deutsch und englisch erscheinen wird.
Liebe Dersim, wir von SJA sind stolz auf dich als bescheidene junge Frau und Architektin erster Klasse! Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg und Glück auf deinem weiteren Weg und begleiten dich auch bei zukünftigen Projekten.[1]