Lisa Genzken
„Komm, wir machen türkische Runde!“ Das war eine gängige Floskel damals, als ich fünfzehn war. Man stelle sich sechs Halbwüchsige in einem verrauchten Zimmer mit Postern an den Wänden vor, ein paar Eistee-Tetra-Paks und Milchbrötchen von Aldi vor ihnen, und ein Joint geht herum.
Türkische Runde machen, das heißt, dass alle sich im Kreis hinsetzen und reihum an der Tüte ziehen. Dabei muss der Rauch so lange im Mund behalten werden, bis der Joint wieder bei der betreffenden Person ankommt.
Erst dann darf er oder sie ausatmen, laut husten, sich mit der Faust auf die Brust schlagen (immer cool, die Geste!) und sowas sagen wie: „Ballert richtig, Brudi.“
Ich musste vor Kurzem wieder an den Ausdruck „türkische Runde“ denken. Warum assoziierten meine SOJA-Bandshirts und Jogginghosen tragenden Vorstadtfreunde und ich das Grasrauchen mit der Türkei? Über die Herkunft der Redewendung kann ich leider wenig Zuverlässiges sagen, da ich weder gutefrage.net noch eine Website namens salvia-community unbedingt als gesicherte Quellen bezeichnen würde. Dafür habe ich herausgefunden, dass der Konsum von Cannabis in der Türkei weit zurück reicht und die türkische Kultur geprägt hat.
Die Bronzezeit: Stoned Age?
Der weltweit älteste Fund von Hanffasern stammt aus Gordion, der Hauptstadt der Phryger. Diese antike Stätte liegt ca. achtzig Kilometer von Ankara entfernt und ist seit dem zwölften Jahrhundert vor Christus bewohnt. Nur weil dort Hanf gefunden wurde, heißt das allerdings noch nicht zwingend, dass die Phryger regelmäßig einen durchgezogen haben. An dieser Stelle: Sorry an alle, die sich gerade schon mit einem „Ich hab‘s ja schon immer gesagt“-Grinsen nach ihrer Bong ausgestreckt haben. Hanf wurde in der Bronzezeit kultiviert, um Kleidung daraus herzustellen. Was die Phryger damals sonst noch damit angestellt haben, wissen wir nicht.
Kiffen und beten
La fumeuse de Haschisch – Émile Bernard, 1900, via Wikimedia Commons
Les fumeurs de kiff – Gabriel Ferrier, 1887, via Wikimedia Commons
Im Mittelalter war Cannabis ein wichtiges Arzneimittel in der Türkei. Und während der Zeit des Osmanischen Reiches, also von Anfang des 14. Jahrhunderts bis 1922, war der Genuss von Cannabis sogar durchaus verbreitet. Obwohl laut Koran alle Rauschmittel als „haram“ gelten, wurden Gras und Haschisch in Kaffeehäusern aus der Wasserpfeife geraucht. Die Anhänger der islamischen Mystik, die Sufisten, sahen das strikte Drogenverbot nicht so eng. Sie kifften nicht nur, sondern konsumierten auch Opium. Für die Sufis war der Rausch ein Mittel, um näher an Allah zu sein.
Das Highsein war ein spirituelles Ritual.
Tanzende Derwische bei einer Sufi-Zeremonie. Foto: Tomas Maltby.
Um 1400 schrieb der Sufi al-Yanbu’i: „Nahme ich Haschisch, wird mein Raum zur Moschee.“ Es gibt übrigens auch heute noch Sufis, die Rituale ausüben, bei denen Gras eine nicht unbedeutende Rolle spielt.
„Der übermäßige Genuss führt zu Wahnsinn“
Seit 1890 sind Cannabis und Haschisch in der Türkei jedoch illegal – das hindert jedoch, wie wir alle wissen, nur manche am Konsum. In einem deutschen Reisebuch über die „Balkanstaaten und Konstantinopel“ aus dem Jahr 1914 heißt es:
„Als narkotische Berauschungsmittel dienen der indische Hanf (türk. Esrar, eigentlich „Geheimnisse“) und das Opium (türk. Afiun). […] Der Genuss des Esrar und Haschisch soll zu anhaltender Arbeit befähigen, Schmerz tilgen und mancherlei Krankheiten heilen; er erzeugt eine angenehme Berauschung, belebt die Einbildungskraft, steigert die Esslust und den Geschlechtstrieb. Der übermäßige Genuss führt zu Wahnsinn.“
By Sandstein [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], from Wikimedia Commons
Da scheint jemand fasziniert gewesen zu sein. Später gab es eine sehr aktive türkische 68-er Bewegung, deren Anhänger neben ihrem politischen Engagement mit Sicherheit auch den ein oder anderen Joint genossen. Der berühmt-berüchtigte Hippie-Trail führte durch Istanbul, der „Pudding Shop“ im Stadtteil Sultanahmet wurde zum kultigen Treffpunkt für langhaarige Reisende.
Kurdistan und Cannabis
Durch die Türkei laufen Routen für Heroin- und Haschischschmuggel, die in Afghanistan oder Pakistan beginnen und meist in Westeuropa oder Nordamerika enden. Es wird aber auch in der Türkei selbst Cannabis angebaut. Vor allem in der Provinz Diyarbakır gedeihen die Pflanzen gut. Bis zu zwei Drittel der gesamten Ernte der Türkei stammt traditionell aus dieser Region. Diyarbakır wird zum Großteil von türkischen Kurden bewohnt, und viele Familien, gerade im Distrikt Lice, verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem illegalen Anbau von Cannabis.
Die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK – übrigens in Lice gegründet – wird von der türkischen Regierung und zahlreichen Medienvertretern beschuldigt, mit Drogenanbau und -handel ihre politischen Aktivitäten zu finanzieren. In den letzten Jahren hat die Polizei zu immer härteren Mitteln gegriffen, um den Cannabisanbau einzudämmen. So wurden zahlreiche Felder verbrannt und Vorräte beschlagnahmt. 2014 entschlossen sich die Bewohner eines betroffenen Dorfes zu einer Sitzblockade, weil durch die Beschlagnahmung der Pflanzen ihre Existenzgrundlage gefährdet wurde.
Ein erster Schritt zur Legalisierung
Seit 2016 ist der Hanfanbau unter sehr strikten Reglementierungen in neunzehn Provinzen der Türkei legal. Natürlich geht es hierbei nur um den Anbau zu medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken. Der Cannabisbesitz, -konsum und -kauf aus anderen Gründen ist illegal und wird mit bis zu zehn Jahren Gefängnisstrafe geahndet.[1]