Hendrik Pau lDer Redaktion
Die Verschleppung #Abullah Öcalan# s, des Generalsekretärs der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), ist ein Angriff auf die kurdischen Massen, der von allen arbeitenden Menschen und von allen Verfechtern demokratischer Rechte mit Nachdruck verurteilt werden muß.
Scheinheilig und verabscheuungswürdig war die Hetzjagd auf Öcalan, an der sich praktisch sämtliche europäischen Regierungen auf Geheiß der USA sowie der von ihnen abhängigen reaktionären Regierung in Ankara beteiligt haben. Wer über die Umstände der Entführung Öcalans in Kenia liest, kann sich schwerlich des Zorns über den Zynismus und die Niedertracht all der Regierungen erwehren, die den türkischen Henkern der Kurden als Komplizen dienten.
Öcalan ist kein Terrorist. Er ist der Führer einer Massenbewegung, die im Kampf gegen eines der schlimmsten Unterdrückerregime der Welt steht. Der Name der Türkei ist seit langem gleichbedeutend mit der Unterdrückung demokratischer Rechte. Seit Jahrzehnten führt sie einen mörderischen Vernichtungskrieg gegen das kurdische Volk, das innerhalb ihrer Staatsgrenzen lebt, und drang dabei wiederholt auch in die kurdischen Siedlungsgebiete im Nordirak vor. Öcalan ist der Führer einer bürgerlichen nationalistischen Bewegung, die sich im Bürgerkrieg befindet.
Der Versuch, das türkische Regime als demokratisches Opfer eines dämonischen Terroristen darzustellen, ist hirnverbrannt. Selbst die politisch voreingenommene westliche Presse hat immer wieder über die Verhandlungsangebote Öcalans an die türkische Regierung berichtet, die allesamt vom Tisch gewischt wurden. Die gegenwärtige Regierung unter Bülent Ecevit ist das Produkt systematischer politischer Unterdrückung. Im vergangenen Jahr verbot Ankara die größte Partei des Landes, die islamistische Wohlfahrtspartei, und erst vor drei Wochen verlangte der Staatsanwalt des höchsten Gerichts im Vorfeld der Wahlen im April das Verbot der pro-kurdischen Demokratiepartei. Verhandlungen mit der PKK zu befürworten gilt schon als kriminelles Vergehen.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale, die trotzkistische Weltbewegung, tritt seit langem öffentlich gegen die Politik der PKK auf. Unsere Bewegung lehnt die nationalistische Perspektive der PKK ebenso ab wie ihre darauf basierende falsche Taktik. Doch diese Haltung bedeutet in keiner Weise auch nur die geringste Unterstützung für die Unterdrücker des kurdischen Volkes. Sie hindert uns nicht an der uneingeschränkten Verteidigung der demokratischen Rechte seiner Massenorganisationen und seiner politischen Führer.
Verwerfung des Asylrechts
Mit der Verfolgung und Verschleppung Öcalans haben Regierungen in aller Welt, allen voran die Vereinigten Staaten, das demokratische Grundrecht auf politisches Asyl verworfen. Eine Regierung nach der anderen - von der angeblich radikalen nationalistischen Regierung unter Hafez El Assad in Syrien bis hin zu den demokratischen Regierungen Europas - hat einem politischen Führer, dem in den Händen des stark vom Militär beeinflußten Regimes der Türkei Folter und Tod droht, die Aufnahme in ihr Land verweigert.
Ein einst gewissenhaft gepflegtes und geachtetes Recht - das Recht auf Asyl - existiert praktisch nicht mehr. Unter dem heuchlerischen Banner der Terrorismusbekämpfung wird jede oppositionelle Tätigkeit gegen politische und wirtschaftliche Unterdrückung kriminalisiert.
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde anerkannt, daß Volksmassen politische Kämpfe gegen Unterdrückerregime führten. Man unterschied sehr zu Recht zwischen solchen politischen Kämpfen und kriminellen Machenschaften. Entsprechend ging man allgemein davon aus, daß Führern von Massenbewegungen das Recht auf einen sicheren Zufluchtsort vor ihren Verfolgern zustand.
Während der amerikanischen Revolution konnten Franklin und Jefferson in Frankreich leben, ohne eine Auslieferung nach England zu befürchten. Im 19. Jahrhundert konnten sich revolutionäre Führer wie Garibaldi und Marx frei in Europa bewegen und als Politiker im Exil leben. Aber im zwanzigsten Jahrhundert ist dieses Recht immer stärker unterhöhlt worden.
Die Wut- und Verzweiflungsausbrüche von Kurden in ganz Europa zeigen, daß Öcalan eine Massenbewegung führt, und widerlegen die selbstgerechte und billige Ausrede der US-Regierung für die Ergreifung Öcalans: Wir sind natürlich sehr zufrieden über die Festnahme dieses Terroristenführers, hatte der Pressesprecher des Weißen Hauses Joe Lockhardt erklärt.
Die Rolle der Vereinigten Staaten
Die Rolle der Vereinigten Staaten bei der Entführung Öcalans muß untersucht und aufgedeckt werden. Die Presse zitiert vereinzelt bereits türkische Beamte, die bestätigen, daß amerikanische FBI-Agenten, die sich seit der Bombardierung der amerikanischen Botschaft im vergangenen August in Nairobi aufhalten, die türkische Regierung über Öcalans Anwesenheit informiert hätten.
Zwei Dinge kann man bereits vorab über die Rolle der US-Regierung festhalten. Ihre Unterstützung für die Verschleppung Öcalans entspricht ihrer langjährigen Gepflogenheit, alle Personen, politischen Bewegungen und sogar Länder, die aus dem einen oder anderen Grund den geopolitischen und ökonomischen Bestrebungen der amerikanischen Bourgeoisie in die Quere geraten, als terroristisch abzustempeln. Auf diese Weise sollen alle solchen Hindernisse für die globalen Gelüste des US-Imperialismus in den Augen der Öffentlichkeit heruntergemacht werden, um die Voraussetzungen für ihre Beseitigung zu schaffen. Nicht selten sind dabei die heutigen Terroristen - ein Beispiel ist Saddam Hussein - die gestrigen Verbündeten und Freunde der freien Welt.
Die Tatsache, daß ein Führer wie Öcalan, angeblich nichts weiter als ein bombenwütiger Killer, die Gefolgschaft breiter Schichten eines unterdrückten Volkes gewinnen kann, wird niemals hinterfragt, geschweige denn diskutiert. Man erfährt nichts über die furchtbaren Umstände, unter denen die Kurden zu leben gezwungen sind, und erst recht nichts über die Verantwortlichen für diese Umstände. Es wird nicht unterschieden zwischen einer Bewegung, die von den Unterdrückten unterstützt wird, und den wirtschaftlichen und politischen Eliten, die diese Unterdrückung betreiben.
Hinter dem offiziellen Kreuzzug gegen den Terrorismus stehen stets weniger edle Motive, wie etwa der Kampf der USA und anderer Großmächte um die Kontrolle über das Öl am Persischen Golf und am Kaspischen Meer. Es gibt einen direkten, wenn auch nicht öffentlich genannten Zusammenhang zwischen der erbarmungslosen Menschenjagd auf Öcalan und den Plänen von USA und Türkei, eine Pipeline, die durch den kurdisch besiedelten Südosten der Türkei führen muß, von der ölreichen Region am Kaspischen Meer zum Mittelmeer zu bauen.
Washingtons Geschichte in Sachen internationaler Terrorismus
Zweitens, und das ist grundlegender, ist die Regierung der Vereinigten Staaten die letzte, die das Recht hätte, anderen Predigten über die Übel des Terrorismus zu halten. Die USA haben eine lange und blutige Geschichte, wenn es darum geht, professionelle Killer zu finanzieren, auszubilden und anzuleiten, die rund um die Welt die Bevölkerung terrorisieren. Washington trägt die Verantwortung für den Massenmord seitens Söldnerarmeen und Todesschwadronen in jedem Land Mittelamerikas. Präsidenten der USA empfingen Führer von Todesschwadronen aus El Salvador, Honduras und Guatemala. Allgemein bekannt ist die Rolle der USA im Krieg der Contras gegen das nicaraguanische Volk.
Jahrelang haben die Marionetten der CIA in der Führung der berüchtigten Renamo-Truppen in Mosambik Zivilisten abgeschlachtet. Ein weiterer Mann der CIA, der Führer der Unita Jonas Savimbi, verbreitete Jahrzehnte lang Tod und Vernichtung in Angola. Das sind nur einige der dutzenden Beispiele, die man für von den USA geförderten Terrorismus anführen könnte.
Besonders bedeutsam - und besonders nichtswürdig - bei der Hetzjagd auf Öcalan war die politische Zusammenarbeit der übrigen maßgeblich beteiligten Regierungen. Hier haben wir eine Galerie sozialdemokratischer und linker Tagediebe, die man als Einheitsfront der Repression bezeichnen könnte.
Assad in Syrien, der einstige Anführer der arabischen Verweigerungsfront, hat unter dem Druck der USA und der Türkei Öcalan im vergangenen Oktober des Landes verwiesen. Der PKK-Führer hatte zuvor seit 1980 in Damaskus gelebt.
Öcalan floh nach Rußland, wo angeblich gerade die Demokratie eingeführt wird. Dort wurde ihm politisches Asyl verweigert. Im November fand er in Rom Unterschlupf und stellte erneut einen Antrag auf Asyl. Die italienische Regierung unter Massimo D'Alema, dem früheren Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, lehnte zwar die Forderung der Türkei nach seiner Auslieferung ab, verweigerte ihm jedoch das Asyl. D'Alema betrieb hinter den Kulissen Öcalans Ausweisung, und Mitte Januar war er zur Ausreise gezwungen.
Mehrere Wochen lang wurde heftig über Öcalans Aufenthalt spekuliert. Eine Regierung nach der anderen weigerte sich ihn aufzunehmen. Deutschland, unter seinem neuen sozialdemokratischen Kanzler, mit dem führenden Grünen als Außenminister, und überdies mit der größten kurdischen Minderheit unter allen europäischen Ländern, gewährte Öcalan keinen Einlaß.
Auch die Niederlande und Griechenland verschlossen ihre Grenzen; Italien und Dänemark ließen durchblicken, daß sie ihn nicht auf ihrem Boden haben wollten. Am 1. Februar durfte Öcalans Flugzeug auf der griechischen Insel Korfu zwischenlanden, nachdem es zuvor die neutrale und demokratische Schweiz hatte verlassen müssen.
Am nächsten Tag versuchte Öcalan im niederländischen Rotterdam zu landen, um sich dem Internationalen Gerichtshof zu stellen und dort die kurdische Sache zu vertreten. Doch daran hinderte ihn die holländische Regierung, die ihn zum unerwünschten Ausländer erklärte.
Als danach gemeldet wurde, Öcalans Maschine befinde sich auf dem Weg nach Griechenland, erklärte ein Sprecher der sozialistischen PASOK-Regierung in Athen: Unsere Politik ist kristallklar. Öcalans Anwesenheit ist in Griechenland nicht erwünscht.
Also riet die griechische Regierung Öcalan zum Flug nach Nairobi, der Hauptstadt Kenias, wo er sich auf dem Gelände der griechischen Botschaft verbergen konnte. Es war kein Geheimnis, daß Nairobi seit der Bombardierung der US-Botschaft von Agenten der amerikanischen CIA und des FBI sowie des israelischen Mossad geradezu wimmelte.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich verschiedene Geheimdienste mit den kenianischen und griechischen Behörden sowie mit türkischen Einsatzkommandos abstimmten, um den Kurdenführer aus der Botschaft zu zerren und ihn in ein Flugzeug in Richtung Türkei zu verfrachten. Der türkische Regierungschef, unter dessen Verantwortung diese Entführung stattfand, Bülent Ecevit, ist ein langjähriger sozialdemokratischer Politiker.
Diese Kette schmutziger Machenschaften ergibt ein deutliches Bild: Die beteiligten bürgerlich-nationalistischen Regierungen, ex-stalinistischen und sozialdemokratischer Parteien und Parteiführer haben sich nahtlos in den politischen und geheimdienstlichen Apparat der USA und des Weltimperialismus integriert. Dieser himmelschreiende Verstoß gegen ein demokratisches Grundrecht, das Recht auf politisches Asyl, muß der internationalen Arbeiterklasse als Warnung dienen.
Das World Socialist Web Site verurteilt Öcalans Festnahme mit Nachdruck und fordert seine sofortige Freilassung. Jeden, der demokratische Rechte verteidigen will, rufen wir auf, sich dieser Forderung anzuschließen.[1]