Der Anwaltskammerpräsident Nahit Eren und seine Familie in Amed erhalten via Twitter Morddrohungen. Der Verband der Anwaltskammern der Türkei weist auf den Ernst der Lage hin und fordert die Behörden zum Handeln auf.
Der kurdische Jurist Nahit Eren und seine Familie erhalten Morddrohungen. Eren ist Präsident der Anwaltskammer von Amed (tr. Diyarbakir) und wird seit geraumer Zeit in digitalen Netzwerken bedroht und beleidigt. Wie die Kammer am Dienstag mitteilte, wurden in den vergangenen Tagen erneut bedrohliche und beleidigende Beiträge auf Twitter veröffentlicht. Besonders brisant ist diesmal, dass auch persönliche Daten und Fotos von seiner Ehefrau und seinen Kindern verbreitet wurden.
„JITEM und ähnliche dunkle Strukturen“
Die Anwaltskammer weist darauf hin, dass die Tätigkeiten von Nahit Eren in den genannten Beiträgen auf manipulative und kriminalisierte Weise dargestellt werden. Wie bereits nach früheren Anfeindungen hat die Kammer Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakir gestellt und die Justiz zur einer sofortigen und wirksamen Ermittlung der Täter aufgefordert. Von den türkischen Innen- und Justizministerien forderte die Kammer die notwendigen Präventivmaßnahmen.
„In den Social-Media-Accounts, die Gegenstand der Beschwerde sind, werden insbesondere die Namen von JİTEM und ähnlichen dunklen Strukturen aus den 1990er Jahren sowie die Namen derjenigen, die an diesen Strukturen beteiligt waren, verwendet“, erklärt die Kammer. Der Einsatz der Anwaltskammer für Menschenrechte habe in der Vergangenheit „in einigen Kreisen Unbehagen ausgelöst“:
„Das Unbehagen, das wir angesichts der Drohungen aus diesen Kreisen empfinden, rührt nicht daher, dass wir Angst haben, einen Preis zu zahlen, sondern aus unserem Wunsch heraus, ein faires und sicheres Umfeld für die freie Meinungsäußerung aller zu schaffen. Aus diesem Grund hat sich kein Mitglied der Anwaltskammer Diyarbakir jemals Drohungen gebeugt und wird dies auch in Zukunft nicht tun. Wir möchten noch einmal daran erinnern, dass die Anwaltskammer von Diyarbakir eine Bastion des gesunden Menschenverstands ist und niemals von ihrem Kampf für Menschenrechte, Demokratie und Frieden ablassen wird.“
TTB: „Bevor es zu spät ist“
Der Verband der Anwaltskammern der Türkei (TBB) und die örtlichen Anwaltskammern der 81 Provinzen haben sich heute in einer gemeinsamen Erklärung mit Nahit Eren und seiner Familie solidarisiert und auf den Ernst der Lage hingewiesen. In der Erklärung wird der Staat mit seinen Ordnungskräften und Justizbehörden aufgefordert, „den Vorfall ernst zu nehmen, ihn sensibel zu behandeln und die Täter sofort zu finden und zu bestrafen. Wenn neue Leiden und Tragödien nicht erwünscht sind, fordern wir die Betroffenen auf, ihre Aufgaben zu erfüllen, bevor es zu spät ist.“
Mord an Anwaltskammerpräsident #Tahir Elçi#
Nahit Erens Vorgänger, der Menschenrechtsanwalt Tahir Elçi, ist im November 2015 bei einer Pressekonferenz auf offener Straße in Amed von einem Polizisten erschossen worden. Unmittelbar vor seinem Tod warb Elçi vor Journalist:innen für Frieden in der Region: „In diesem Gebiet, das Heimat so vieler Zivilisationen war, wollen wir keine Schüsse, keine Gewalt und keine Operationen“, sagte er, dann fielen Schüsse. Er wurde von einem Geschoss in den Kopf getroffen und verstarb vor Ort. Zu der Zeit galten in etlichen kurdischen Städten im Zuge der Militärbelagerung Ausgangssperren. Viele Orte wurden in der Folge regelrecht dem Erdboden gleichgemacht. Einen Monat zuvor war Elçi festgenommen worden, weil er gegenüber CNN die Feststellung machte: „Auch wenn manche Aktionen der PKK Terrorcharakter haben, ist die PKK keine Terrororganisation, sondern eine bewaffnete politische Bewegung, deren politische Forderungen eine große Unterstützung in der Bevölkerung genießen.“[1]