Am 28.10.1937 wurde in der Tageszeitung „Ulus“ die gesamte Anklageschrift des Staatsanwaltes Hatemi Sahanoglu gegen #Seyit Riza# veröffentlicht. Übersetzt wurden die vorliegenden Auszüge von Özgür Inan Boztas, welche er in seiner Dissertation „Völkerstrafrechtliche Aufarbeitung der Handlungen der türkischen Republik an den Zaza-Aleviten in Dersim in den Jahren 1937 und 1938“ vorgestellt und analysiert hat:
„Die Dersimer sind seit jeher Türken gewesen. Man muss sich nur die unzähligen türkischen Ortsnamen und die Namen der Stämme anschauen, um zu sehen, dass es sich um pure Türken handelt.
Die als „Seyitlik“ bezeichnete religiöse Führerschaft in Dersim wurde von einigen betrügerischen Lügnern erfunden, um das naive und gutgläubige Volk auszunutzen und zu unterjochen. Diese sogenannten religiösen Führer sind meist nicht mal in der Lage, ihre Herkunft bis auf ihre Urgroßväter nachzuweisen. Diese verstandslosen Betrüger, die Unheil und Tod versprühen, sind wie die Heuschrecken als Unglück aus fremden Ländern zu uns gekommen und haben die Dunkelheit über diese Region gebracht. Sie haben dafür gesorgt, dass die Menschen von Tunceli ihre türkischen Wurzeln vergessen und sich für andersartig halten. Dabei gibt es unzählige Beweise dafür, dass es sich bei den Dersimern um reine Türken handelt. Sie wurden jedoch hinters Licht geführt und von ihrem Türkentum entfremdet durch diese Stammesführer und religiösen Führer, die zu ihrem eigenen Vorteil das einfache und naive Volk betrogen haben.
Aber keine Sorge! Die Bevölkerung Tuncelis ist nicht von Geburt an schlecht und böse. Sie verfügt wegen ihrer türkischen Herkunft über die überlegenen genetischen Anlagen der türkischen Rasse. Haben wir erst einmal diese auf Lügen und Betrug aufgebauten Strukturen zerstört und ihre Urheber, die Stammesführer und religiösen Führer, beseitigt, wird der Mensch aus Tunceli merken, dass es nicht in seinem Naturell liegt, sich von Agas und Dedes unterjochen zu lassen, sondern es ihm vielmher ein Bedürfnis ist, sein Leben nach der türkischen Lebenskultur und Gesetzen zu führen.“
(…)
„Es ist daher nicht möglich, die Vorfälle in Dersim als unausweichliche Folge des Naturells der dort lebenden Bevölkerung anzusehen. Es wäre ebenso falsch, das alte Dersim mit dem neuen Tunceli gleichzusetzen. Während Dersim für Marodeure, Waffen und Widerspenstigkeit steht, steht Tunceli für Arbeit, Anstrengung und Glückseligkeit. Während Dersim für Unterjochung und tiefste Rückständigkeit steht, steht Tunceli dafür, dass das Volk seine wahre Herkunft anerkennt und sein Leben hiernach richtet. Dersim bedeutet das Leben in Höhlen und Zelten. Tunceli dahingegen hat Straßen, auf denen Autos mit 50 km/h fahren, und Schulen, in denen die Kinder hervorragende Vorraussetzungen zum Lernen finden. Dersim bedeutet Hass, Angst und Rache, während Tunceli für ein Leben in Brüderlichkeit und Freundschaft im Privaten wie im Öffentlichen steht. Die Bevölkerung Tuncelis wird nach der erfolgreichen Durchführung des Zivilisierungs- und Umerziehungsprogramms ein hoffnungsvoller Teil von uns sein. Jeder, der dies leugnet, verkennt die Möglichkeit, dass Menschen sich ändern können und eine Zivilisierung möglich ist.
Es bedarf aber absolut einer Umerziehung und Zivilisierung. Über die Jahrhunderte der Unterjochung durch Stammesführer und religiöse Führer hat sich Dersim zu einem Sündenpfuhl entwickelt. Wenn die Dersimer sich unwohl fühlen oder einen Wunsch haben, dann küssen sie das Kruzifix und gehen in die Kirche. Sie küssen das Kruzifix voll Wonne und Wohlbefinden, wenn sie sich Hilfe erhoffen, und die Schwangeren gehen zu einem christlichen Priester, um für eine leichte Geburt zu beten. Die religiösen Führer haben der Dersimer Bevölkerung derart hinters Licht geführt, dass sie nun das Kruzifix anbeten.
Daher sage ich hochachtungsvoll, sehr geehrte Vorsitzender: Diese Anklage, die wir dem hohen Gericht vortragen, ist die Anklage des jungen Tunceli gegen das mörderische und rückständige Dersim! In dem Urteil, dass Sie fällen werden, müssen Sie daher feststellen, dass es in Tunceli keinen Platz mehr für diese Banditen und Betrüger gibt und dass diese Mikroben, die das Volk so lange zersetzt haben, nicht mehr überleben können. Sie werden feststellen, dass es die mittelalterliche Stammesgesellschaft nicht mehr geben wird in Tunceli und dass alle mit dieser rückständigen Gesellschaft verbundenen Auswüchse nun zu Grabe getragen wurden und Vergangenheit sind. Anstelle dieser rückständigen Gesellschaft Dersims wird hier in Mittelanatolien ein neues Zentrum des Türkentums entstehen, das Tunceli heißt.“
Tja, wenn die „wohltätigen Zivilisatoren“ am Werk sind, dann kann es schon mal passieren, dass die Vernichtung einer Gruppe in ihrer sozialen Existenz als Befreiung bzw. Rückführung zu ihrer wahren Identität dargestellt wird. Was für ein Abschaum! Und wer hätte es gedacht, der türkischen Regierung nach waren die Stammesführer und die religiösen Führer Dersims in Wirklichkeit ausländische Scharlatane, die das einfache Volk ausgebeutet haben. (lach)
Autor: Van Dersim.[1]