Autor: Seufert Günter
Erscheinungsort: Berlin. Deutschland
Verleger: Social Science Open Access Repository
Veröffentlichungsdatum: 2015
Der Nahe Osten erlebt einen nicht gekannten Aufschwung kurdischer Politik. Gleichzeitig stehen wichtige Weichenstellungen an. Im Irak hoffen die Kurdinnen und Kurden auf die Gelegenheit, ihre Unabhängigkeit zu erklären, was die Auflösung des Irak beschleunigen würde. In der Türkei sind der Ausgang der Verhandlungen zwischen der PKK und der Regierung und die Zukunft des Waffenstillstands offen. In Syrien werden die Kurdinnen und Kurden ohne Unterstützung des Westens ihre für autonom erklärten Siedlungsgebiete nicht halten können. Ein Rückzug der PYD würde dort mit der Gefahr einer weiteren Welle ethnischer Säuberungen einhergehen. Humanitäre Krisen um die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, die Notwendigkeit zur Reetablierung einer regionalen Ordnung und die eigene energiepolitische Abhängigkeit zwingen Europa, sich über eine neue Kurdenpolitik Gedanken zu machen. Dabei kann sich europäische Kurdenpolitik nicht länger darauf fokussieren, das Vorgehen autoritärer Regime gegen ihre kurdischen Minderheiten zu unterstützen. Eine solche Politik hat längst ihr Potential zur Herstellung von Stabilität eingebüßt. Europäische Kurdenpolitik kann aber auch nicht allein darin bestehen, sich vorbehaltlos mit den jeweiligen politischen Forderungen der Kurdinnen und Kurden zu solidarisieren. Denn radikale Lösungen in der einen oder anderen Richtung bergen das größte Gewaltpotential in sich. Europäische Kurdenpolitik muss auf Ausgleich, Vermittlung und Deeskalation gerichtet sein. Sie kann indes nur funktionieren, wenn ihre Protagonistinnen und Protagonisten einerseits mehrere alternative Entwicklungsverläufe in ihre Überlegungen einbeziehen und wenn sie andererseits Kanäle für die Kommunikation mit allen Akteurinnen und Akteuren eröffnen – auch auf Seiten der Kurdinnen und Kurden. [1]