Monika Morres kann nach 25-jähriger Tätigkeit bei AZADÎ e.V. auf viele Erfolge zurückblicken. Doch bitter ist für sie, dass ein Ende des PKK-Betätigungsverbots und damit der Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden nicht erreicht wurde.
Der nach dem PKK-Verbot in Deutschland gegründete Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. unterstützt seit 1996 von politischer Verfolgung betroffene Kurdinnen und Kurden. Zu den Arbeitsbereichen des Vereins gehört die Betreuung Gefangener sowie Beratung und finanzielle Hilfen bei strafrechtlichen Problemen. Der Verein leistet wertvolle Antirepressionsarbeit, ist bestens vernetzt mit Jurist:innen, gibt regelmäßig den AZADÎ-Infodienst heraus und organisiert Konferenzen für Aufklärung und Austausch. Verantwortliche Leiterin war für sehr lange Zeit Monika Morres, die nach 25 Jahren unermüdlichen Einsatzes aus der Arbeit ausgeschieden ist:
„Dieser Termin musste kommen. Trotz meines Sturzes und der Operationen vor drei Jahren habe ich das Ende meiner Arbeiten bei AZADÎ noch mal verschoben. Nun aber ist es soweit – ein zugegeben durchaus ambivalentes Gefühl. Aber nach intensiven, aufreibenden, enervierenden, belastenden, gleichwohl äußerst interessanten, lehr- und erkenntnisreichen, in positivem Sinne aufregenden Zeiten ist es der richtige Moment, mich nach 25 Jahren zu verabschieden“, teilte die 1947 geborene Rheinländerin am Dienstag mit.
Monika Morres hat in ihrer Zeit bei AZADÎ sorgfältig recherchierte Publikationen herausgegeben und zuletzt zusammen mit Kerem Schamberger und Alexander Glasner-Hummel das im Oktober 2023 im Westend-Verlag erschienene Buch „Geflohen. Verboten. Ausgeschlossen. Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird“ verfasst. Darin wird erstmals die bisher wenig beachtete staatliche Repression gegen Kurd:innen in Deutschland in all ihren Facetten dargestellt.
Einstieg nach der Verschleppung von Abdullah Öcalan
Ihren Einstieg bei AZADÎ schilderte Monika Morres im Rückblick so: „Als ich im Februar 1999 meine Aktivitäten bei AZADÎ aufgenommen habe, blieb aufgrund der politischen Ereignisse keine Zeit für eine ruhige Einarbeitungsphase. Für Kurdinnen und Kurden und all jene, die ihnen nahestanden, war dieser Monat dramatisch und folgenschwer. Nachdem der PKK-Gründer Abdullah Öcalan im Oktober 1998 Syrien verlassen musste, hatte er in einer beispiellosen Odyssee versucht, in einem europäischen Land aufgenommen zu werden. Weil er jedoch aus Furcht vor politischen Konflikten überall abgewiesen wurde, verließ er Europa nach Kenia. In einer Geheimdienstoperation ist er von Nairobi in die Türkei verschleppt, vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt worden, was später in lebenslange Haft umgewandelt wurde. Seit nunmehr 25 Jahren befindet sich Abdullah Öcalan mit wenigen weiteren Inhaftierten auf der Gefängnisinsel Imralı. Nur schwer zu beschreiben sind die Verzweiflung, Ohnmacht, die Schmerzen und Wut, von denen Kurd:innen damals erfasst wurden. Weltweit kam es zu Demonstrationen, Protesten, Besetzungsaktionen, natürlich auch in Deutschland. Die Folge waren massenweise Verhaftungen, Anklagen, Inhaftierungen, hunderte von Ermittlungsverfahren und die weitere Verschärfung der ohnehin exorbitanten Kriminalisierungspraxis gegen die kurdische Bewegung. Antirepressionsarbeit – hier musste sie sich in der Praxis bewähren.“
Für den Fortbestand von AZADÎ gekämpft
Die Ereignisse hatten aber noch andere Seiten, schreibt Monika Morres weiter: „Mit Abdullah Öcalans Abwesenheit kam es zu ernsten Zerwürfnissen, Spaltungen und Auseinandersetzungen um die künftige Führung der PKK. Viele glaubten, sie im Streich übernehmen zu können. Andere, auch einstige Unterstützer:innen der Bewegung inner- und außerhalb, entzogen ihr die Solidarität und bekämpften sie nun auf unterschiedlichen Ebenen. Das bekam auch AZADÎ zu spüren und musste für den Fortbestand kämpfen. Um es kurz zu machen: Den kurdischen Freund:innen und auch AZADÎ ist es letztlich gelungen, durch Überzeugung, Beharrlichkeit und unendlich viel Energie zu ,überleben'.
Selbstverständlich hat auch der Staatsapparat in Deutschland versucht, die Gelegenheit zu nutzen, um die Bewegung zu zerschlagen, was nicht gelungen ist. Aber in den nachfolgenden Jahren wurde sie durch ständig neue rechtliche Verschärfungen und politische Zumutungen herausgefordert.“
Markante Ereignisse und Atempausen
„In den vielen Jahren meiner Tätigkeit bei AZADÎ hat es zahlreiche markante Ereignisse gegeben, die Zuversicht versprachen, positive Entwicklungen in der Türkei aufzeigten, die Wege für eine politische Lösung der ,Kurdenfrage' bereiteten, revolutionäre Prozesse möglich machten und die konfrontative Kriminalisierungspolitik deutscher Bundesregierungen in Frage stellten. Die Repression machte in solchen Phasen kleine ,Atempausen'.“
Politische Kursänderungen machten Fortschritte zunichte
„Doch politische Kursänderungen, Abbruch von Friedensverhandlungen und Wiederaufnahme des Krieges gegen die kurdische Bewegung und Zivilbevölkerung in der Türkei, machten Fortschritte zunichte und führten in Deutschland prompt wieder zu einem Anstieg von Verhaftungen und ,Terrorismus'-Verfahren. Die bitteren Folgen der gemeinsamen politischen, militärischen und ökonomischen Interessen der beiden NATO-Staaten haben die Kurdinnen und Kurden zu tragen. Auf Staatsbesuchen in beide Richtungen fordert das türkische Regime stets eine (noch) stärkere Bekämpfung der PKK bzw. der politischen Aktivist:innen. Mit Erfolg in Deutschland. Und die Ereignisse rund um den NATO-Beitritt Schwedens hat deutlich gemacht, wie hoch das Erpressungspotenzial des Autokraten Recep T. Erdoḡan ist. Nun müssen auch die in Schweden lebenden Kurd:innen die gravierenden Konsequenzen einer schmutzigen Kollaborationspolitik erfahren.
Die deutschen Strafverfolgungsbehörden, die auf Geheiß der politisch Verantwortlichen handeln, verfolgen kurdische Aktivist:innen per Europäischem Haftbefehl über Deutschlands Grenzen hinaus. In letzter Zeit wurden Kurden von Frankreich, Italien und Zypern ausgeliefert, die hier nach §§129a/b StGB angeklagt und verurteilt wurden/werden. Ein Aktivist befindet sich derzeit in Auslieferungshaft in Schweden.
Die Öffentlichkeit aufklären
Es war mir in all den Jahren wichtig, die Öffentlichkeit aufzuklären über die Hintergründe und Folgen des PKK-Betätigungsverbots, das Ausmaß der Repression in ihren Ausprägungen, die Lebensumstände der politisch aktiven Kurd:innen oder die Situation der politischen Gefangenen, die dem Staatsapparat in besonderer Weise ausgesetzt sind. All dies ist dokumentiert in dem monatlich erscheinenden AZADÎ-Infodienst, in Pressemitteilungen, mehreren Broschüren oder wurde in bundesweiten Veranstaltungen vorgetragen. Um diese Themen auch auf die internationale Ebene zu bringen, hat AZADÎ gemeinsam mit kurdischen und befreundeten Organisationen eine Reihe von juristischen Fachtagungen und Konferenzen durchgeführt. Vernetzung musste wichtiger werden angesichts der intensiver werdenden europäischen Zusammenarbeit mit der Türkei gegen die kurdische Befreiungsbewegung.“
Mutig und beharrlich weitermachen
„In den 25 Jahren konnte sicher einiges erfolgreich umgesetzt werden. Doch bitter ist, dass sich das angestrebte Ziel, ein Ende des PKK-Betätigungsverbots und damit der Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden zu erreichen, nicht erfüllt hat. Doch habe ich von ihnen auch gelernt, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern mutig und beharrlich weiterzumachen. Und davon überzeugt zu sein, dass die Zeit dynamisch ist und sich Prozesse verändern können. Das haben aktuell die Kommunalwahlen in der Türkei - insbesondere der große Erfolg der HDP-Nachfolgerin DEM in Nordkurdistan/Bakur – gezeigt.“
Abschied von AZADÎ
„Die Arbeit von AZADÎ wird in diesem Sinne mit meinem Abschied nicht enden, sondern von einem Aktiven-Kreis kollektiv weitergeführt werden. Den Freund:innen wünsche ich viel Energie und Erfolg. Ich möchte an dieser Stelle allen kurdischen Genoss:innen und Freund:innen für ihre Unterstützung, Empathie und Solidarität ebenso von Herzen danken wie den Menschen, Initiativen und Organisationen, die mit AZADÎ dafür kämpfen, dass Kurdinnen und Kurden eine gleichberechtigte Partizipation und repressionsfreie Lebensperspektive zugesichert wird.“[1]