SARYA TARO
Wer mit der#PKK# in Berührung kommt, erlebt, wie ernsthaft, diszipliniert und entschlossen Ziele verfolgt werden. Geht nicht, gibt es nicht. Egal, wie aussichtslos ein Vorhaben erscheint, gemeinsam und kreativ wird nach einer Lösung gesucht.
Wer Ende der 1970er Jahre unterwegs war in dem Teil Kurdistans, der dem türkischen Staatsgebiet zugesprochen wurde, spürte diese beklemmende Stille einer ausgebeuteten und gedemütigten Bevölkerung, kurz davor, ihre Identität zu verlieren. Kollektive Resignation vor den Besatzern, die in nationaler Trunkenheit die Hegemonie ihres völkisch-faschistischen Gedankenguts beanspruchten.
In dieser Zeit verkündete die noch junge PKK: Wir akzeptieren die Erniedrigung und Unterdrückung des kurdischen Volkes nicht mehr. Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und seine Weggefährt:innen wiesen den Ausweg aus Verzweiflung und Selbstaufgabe. Sie riefen das kurdische Volk auf, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Nur durch entschlossenen Widerstand gegen die türkischen Besatzer und die falschen Versprechen der kapitalistischen Moderne könne ein freies Leben erkämpft werden. Vor allem bei den Ärmsten fiel dies auf fruchtbaren Boden. Dennoch blieb Skepsis. Zu viele solcher Reden hatte man schon gehört, zu viele Aufstände wurden niedergeschlagen, zu viel Blut vergossen.
Die Zweifel schwanden mit jenem ersten Schuss am 15. August 1984 auf türkische Polizeistationen. Bald sprach sich herum: Die Apocî [Gruppe um Abdullah Öcalan], das sind Leute, die nicht nur großspurig daher reden. Die Bevölkerung hat sehr gut verstanden, dass ein Leben in Freiheit und Würde niemandem freiwillig zugestanden wird. Damals wie heute muss es erkämpft, dann geschützt und – notfalls mit Waffen – verteidigt werden. Das ist die Aufgabe der Guerilla. Mit der Einsicht, dass die PKK es ernst meint, wuchsen Respekt und Vertrauen. Eine Volksbewegung nahm ihren Anfang, die mittlerweile weltweite Beachtung und Unterstützung findet.
Dass die Freiheitsguerilla Kurdistans heute auf eine vierzigjährige erfolgreiche Geschichte blickt, hat viele Gründe. Einer davon knüpft an den Beginn an: Überzeugen kann man nur, wenn Worte und Taten übereinstimmen. Noch immer gilt beim Pressezentrum der Volksverteidigungskräfte HPG und YJA Star: Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf die Wahrheit. Wir tun, was wir sagen und wir sagen, was wir tun. Keine leeren Worte, keine billige Propaganda.
Gesellschaftliche Transformation geht nur einher mit Veränderung aller Einzelnen. Lasst uns einfach frei zu leben beginnen, sagten sie. Taten statt Worte! So probierten die Partei und vor allem die Guerilla neue Formen eines genossenschaftlichen Zusammenlebens aus: Gemeinschaft statt Vereinzelung, Zusammenhalt statt Konkurrenz. Heute wartet auf die, die „in die Berge gehen“, vor dem Kampf gegen den Feind ein anderer Kampf: Gegen die Relikte feudaler oder neoliberaler Rollen- und Persönlichkeitsmuster, in die jedem und jeder schlummern. Angeleitet und begleitet beginnt die Suche nach den eigenen Wurzeln. Identitätsfindung, „Xwebûn“ (Selbstsein). Ein langer, oft schmerzhafter Weg.
Auf dieser Suche nach sich selbst entdecken Frauen ihre Stärken und definieren ihre Rolle in einer männlich dominierten Welt. Männer setzen sich mit patriarchalem Denken und Handeln auseinander, lernen sich zurückzunehmen und erledigen den Abwasch. „Hevaltî“ (Freundschaft) ist das Zauberwort für das kommunale Leben. Alles wird geteilt – der letzte Schluck Wasser, die Ängste und Momente des Glücks. Immer zuerst an die anderen denken! Das Leben in den Bergen Kurdistans lässt die Guerilla mehr und mehr eins werden mit der Natur. Man lernt jedes Lebewesen zu achten, pflegt verletzte Tiere und erkennt die essbaren Kräuter auf der Wiese. Tränen der Wut werden vergossen beim Anblick in Brand gesteckter Wälder oder verseuchter Flüsse und man schwört, den Frevel zu rächen.
So wächst die tiefe Verbundenheit zum Land. Das spürt auch die Bevölkerung. In den Dörfern sind die Hevals willkommen. Man weiß, dass ihre Existenz der Garant zum Überleben ist. Ihnen vertraut man die Söhne und Töchter an. Die nächste Generation wird die alten Geschichten und Mythen erfahren, die der türkische Staat durch Assimilation und kulturellen Genozid zu eliminieren versucht. Kunst und Kultur bedeuten Leben, Moral und Würde. Neue Lieder über das Leben in den Bergen verbreiten sich. Trillernd tanzt die Guerilla die Freiheit.
„Wer keine Geschichte hat, hat keine Zukunft“, sagte Rêber Apo. Und so reicht der Guerilla-Unterricht über den weltweiten Widerstand gegen Gewalt und Unterdrückung vom Neolithikum bis zur Gegenwart. Voneinander lernen, Kämpfe verbinden, Internationalismus denken. Dabei immer das eigene Leben analysieren, reflektieren. Eine Didaktik, die man sich auch andernorts wünscht…
Wer mit der PKK in Berührung kommt, erlebt, wie ernsthaft, diszipliniert und entschlossen Ziele verfolgt werden. Geht nicht, gibt es nicht. Egal, wie aussichtslos ein Vorhaben erscheint, gemeinsam und kreativ wird nach einer Lösung gesucht. Das gilt im Alltag bei der Reparatur einer Schere ebenso wie bei umfassenden Transformationen der Organisation nach Rückschlägen. Aus Niederlagen lernen, sich weiterentwickeln, niemals den Kopf beugen oder aufgeben. Dass sich die Guerilla immer wieder erneuert und durch Kreativität und Entschlossenheit seit vierzig Jahren der technischen Überlegenheit der zweitgrößten Armee der NATO trotzt, ist ein Ergebnis dieser Haltung.
Zu wissen, wofür man kämpft, verschafft moralische Überlegenheit. Das unterscheidet die kurdische Freiheitsguerilla von all den Soldaten und Söldnern, die sich gegen Geld als Instrument für den Machterhalt von Staaten missbrauchen lassen. Der Sold der Freiheitsguerilla ist die Gewissheit, für eine gerechte Sache unterwegs zu sein. Die Hingabe an die gemeinsame Aufgabe umfasst auch die Bereitschaft, für den Freiheitskampf zu sterben. Die Angst, nicht frei leben zu können, ist größer als die Angst vor dem Tod.
Stellvertretend für viele der Helden und Heldinnen in den Bergen sei Bişeng Brûsk erwähnt – eine junge Frau, Mitglied des PKK-Jugendkomitees und verantwortlich für die Koordination der Gemeinschaft junger Frauen. Sie liebte das Leben, war in allen vier Teilen Kurdistans aktiv. Mit ihrem warmen Lächeln, den strahlenden Augen und einem unerschütterlichen Glauben an eine Zukunft in Freiheit war sie Vorbild und eine Quelle der Kraft und Moral.
Am 28. Juli 2023 wurde Bişeng zusammen mit ihrer Weggefährtin Sara Hogir durch einen Hinterhalt der türkischen Armee getötet. Kurz vorher noch schrieb sie in einem Brief: „Egal wie massiv sie angreifen, sie können unsere Hoffnung und unsere Liebe für die Heimat nicht zerstören. Wir werden im Land der Sonne leben. Freie und schöne Tage sind nahe. Auch wenn die harten Tage noch lange andauern, Reisende auf diesem Weg zu sein und ein ehrenvolles Leben zu führen ist wertvoller als alles andere auf der Welt.“
Bişeng Brûsk ist als Freiheitskämpferin gefallen. Nie wieder wird sie mit den Sonnenstrahlen tanzen… Auf ihrer Trauerfeier formulierte ein Redner die Haltung der Bewegung: „Die Rache für unsere Gefallenen bedeutet, ihren Weg fortzusetzen. Das Leben, nach dem sie sich sehnen, entsteht durch Stricken, Masche für Masche. Wir sind entschlossen und versichern, dass wir dieses Leben weiter stricken werden.“
Hunderte junger Frauen versprachen, die Nachfolge von Şehîd Bişeng anzutreten – von Bakur bis Başûr, von Rojava bis Rojhilat. Sie setzen den Weg der Gefallenen fort und garantieren die Kontinuität der PKK-Guerilla.
Bijî Berxwedana Gerîla. Es lebe der Widerstand der Guerilla.[1]