Seit Jahren sind im Zusammenhang mit dem #PKK# -Verbot in Deutschland immer zwischen zehn und fünfzehn kurdische Aktivist:innen in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Sie werden nach §129a/b StGB wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt und zu jahrelangen Freiheitsstrafen verurteilt. Unterstützung erhalten sie vom Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. und von ihren Freund:innen, aber auch von gänzlich unbekannten Menschen.
Wie erleben die kurdischen politischen Gefangenen ihre Haftsituation? Wie gehen sie damit um? Was fühlen sie? Woraus schöpfen sie Kraft? ANF hat ihre Stimmen gesammelt und veröffentlicht Zitate in deutscher Übersetzung:
Die ersten Tage der Haft
„Anfangs war am schlimmsten, dass es nichts zu lesen gab, nichts, womit man sich beschäftigen konnte. Es gab zwar einen Fernseher, aber ich hatte nicht wirklich Lust, mir etwas anzusehen. Ich lief ständig in der Zelle herum und sang Lieder, rezitierte alle Gedichte, die ich kannte. Manchmal habe ich auch gepfiffen. Wenn ich eine Pause machte, schaute ich aus dem Fenster und betrachtete die Bäume und Vögel hinter den hohen Gefängnismauern. Ich beobachtete die Blumen, die im Innengarten blühten, und die Geschäftigkeit der Bienen, die auf ihnen landeten. Diese Lebendigkeit da draußen machte mich ein wenig glücklich. Dann fing ich wieder an, in der Zelle auf und ab zu gehen und auszurechnen, wie lang und breit sie war und wie viele Quadratmeter sie hatte. Wenn ich müde vom Laufen oder gelangweilt war, legte ich mich auf das Bett. Ich starrte an die Decke und versank in Gedanken …“
Sprachlosigkeit
„Nach zwei Wochen begann ich mich unwohl zu fühlen, weil ich sehr wenig sprach und mein Mund verschlossen blieb. Ich öffne und schließe meinen Mund, bewege meinen Kiefer nach links und rechts, und nach einer kurzen Entspannung tritt der alte Zustand wieder ein. Um eine Lösung für diese Sprachlosigkeit zu finden, versuche ich, mit Personen im Fernsehen oder mit den Figuren in den Büchern, die ich lese, laut zu sprechen und sie zu kommentieren. Das half mir auch gegen meine Einsamkeit, es war keine schlechte Methode. Aber ich fand es doch sehr komisch. Ich musste einen anderen Weg finden, mich zu entspannen. So kam ich auf die Idee, einen imaginären Freund zu erfinden. Wie sollte ich vorgehen? Ich habe tagelang darüber nachgedacht und diese Idee auch einer Freundin geschildert. Von dem Tag an, an dem ich verhaftet wurde, begann sie mir regelmäßig zu schreiben. So fragte ich mich, warum ich einem imaginären Freund hinterher lief. Hätte mir niemand Briefe geschrieben, mich besucht oder nach mir gefragt, wäre diese Idee vielleicht gar nicht so schlecht gewesen. Es wäre jedenfalls besser gewesen als Selbstgespräche zu führen, mich über mich lustig zu machen und alles für mich zu behalten. Ich gab den imaginären Freund auf und entschied mich für eine reale Genossin. Das linderte nicht nur meine Einsamkeit hier, sie war vor allem wie mein Fenster nach draußen, in meine Freiheit. Am wichtigsten war jedoch, dass sie mich ermutigte, meine Gefühle und Gedanken selbstbewusst aufzuschreiben. Ich interpretierte also die Nachrichten, die ich sah, die Bücher und Texte, die ich las, und verwandelte sie in Geschichten, die meine Gefühlswelt widerspiegelten. In gewisser Weise habe ich mich selbst ein wenig entdeckt.“
Besuche, Briefe und Telefonate
„Meine ersten Besucher im Gefängnis waren mein Anwalt zusammen mit dem Dolmetscher. Obwohl es ein Anwaltsbesuch war, fand unser Treffen in einem mit dickem Glas abgetrennten Raum über ein Telefon statt. Meine Stimme bebte vor Freude und Aufregung. Ich wusste, dass meine Festnahme bei einigen Menschen Panik und Angst ausgelöst hatte. Und genau das wollte der Staat erreichen. Da die meisten jedoch die Realität dieses Kampfes kannten und wussten, dass ständig Repressionsmaßnahmen wie Verhaftungen stattfanden, zögerten sie nicht, ihre Arbeit weiterzuführen. Noch am Tag meiner Verhaftung organisierten Kurden und viele solidarische Deutsche eine Kundgebung, um dieser Politik der Kriminalisierung endlich ein Ende zu setzen. Sie erklärten, dass sie uns unter allen Umständen unterstützen würden. Ich kehrte in meine Zelle zurück und fühlte mich jetzt stärker.“
„Ich erhielt Briefe und Karten von vielen Menschen, die mich nicht kannten. Einige waren auf Deutsch, andere auf Englisch, Kurdisch oder Türkisch. Ich hatte genug Sprachkenntnisse, um die Briefe auf Englisch zu verstehen. Für die deutschen Briefe gab es einen kurdischen Freund, der mir half. Nach dem Anwaltsgespräch und den ersten Briefen war ich ein ganz anderer Mensch als in den ersten Tagen.“
„Am Anfang beschränkten sich meine Telefonate auf 30 Minuten einmal im Monat. Natürlich wurden sie von der Polizei mitgehört. Über Anrufe und Besuche wurde ich jeweils einen Tag vorher abends informiert. Als ich erfuhr, dass ich mit meinem Bruder telefonieren würde, habe ich bis spät in die Nacht an die Menschen zu Hause gedacht. Ich machte mir vor allem Gedanken darüber, wie ich mich verhalten sollte, damit meine Mutter nicht traurig ist. Nicht nur die Themen, die ich ansprechen würde, sondern auch mein Tonfall sollten ihr das Gefühl geben, dass es mir gut geht. Es ging mir dabei nicht nur darum, meine Familie zu beruhigen. Denen, die mich gefangen genommen hatten, sollte auch demonstriert werden, dass sie ihr Ziel verfehlt hatten.“
„Jetzt vergingen die Tage schneller und waren ausgefüllter. Auch die Zahl der eingegangenen Briefe und Karten nahm erheblich zu. Dieses Interesse gab mir sehr viel Moral. Es motivierte mich zum Nachdenken und Schreiben.“
Jeder Mensch dort hat eine Geschichte
„Die Welt eines Gefängnisses ist ein völlig anderer Ort. Jeder Mensch dort hat eine Geschichte. Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede und ist wirklich schwer, das zu verstehen. Wenn ich mir die Geschichten mancher Gefangener anhöre, bin ich fassungslos. Ich kann nicht verstehen, wie ein Mensch so viel Böses tun kann. Es gab Fälle, die ich miterlebt oder von denen ich gehört hatte, als ich draußen war. Aber keiner davon hatte eine derartige Fassungslosigkeit ausgelöst. Ich meine, schließlich war ich im Gefängnis, man musste sich daran gewöhnen, solche Dinge zu hören. Mit Gewöhnung meine ich nicht, das Vergehen als normal zu betrachten oder zu legitimieren. Ich erwähne das, um die Realität dieser Welt besser erkennen und verstehen zu können. Die Menschen entscheiden selbst darüber, wie sie sich in der Gesellschaft verhalten wollen. Auf jeden Fall sollte man nicht voreingenommen sein. Was ich ausdrücken will, ist die Notwendigkeit, die Augen für alles offen zu halten …“
Eine neue Wut und Hilflosigkeit
„Ich bemerkte ein neue Wut in mir, wenn ich schlimme Nachrichten hörte oder einen Film sah. Das war nichts, was ich nicht schon einmal erlebt hatte. Als ich klein war, habe ich aus Schwäche und Hilflosigkeit geflucht, wenn mich jemand angriff, der älter war als ich.
Mit der Zeit habe ich gelernt, dass man gegen Ungerechtigkeit und Schikanen nicht gewaltsam, sondern mit Verstand vorgehen sollte. Anders ausgedrückt: Je bewusster ich wurde, desto mehr verschwand meine Hilflosigkeit. Aber wenn ich heute von entsetzlichen Ereignissen höre, stelle ich fest, dass diese Wut wieder zugenommen hat. Ich bin hilflos, weil ich nicht in das Geschehen eingreifen kann. Mir sind die Hände gebunden. Ich bin eingeschlossen zwischen vier Wänden. In diesen Momenten der Wut möchte ich am liebsten die Fernbedienung in meiner Hand auf den Fernseher werfen. Manchmal fluche ich auch. Ich wechsle den Kanal, laufe in der Zelle herum und beruhige mich wieder ein wenig. Dann frage ich mich: Die Leute, die diese schlimmen Dinge tun, sind hier, du siehst sie jeden Tag, warum reagierst du nicht genauso auf sie? Hast du Angst vor Ärger oder dass sie dir etwas antun? Schweigst du, weil du in den Augen des Staates zum gleichen ‚Straftäter‘ geworden bist wie sie? Meine Antwort auf diese Fragen ist natürlich nein. Ich habe weder vor der Verwaltung noch vor sonst jemandem Angst. Aber ich habe auch keine klare Antwort darauf. Je mehr ich über die Straftäter nachdenke, sowohl im Fernsehen als auch hier, desto mehr versuche ich, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Meine ohnehin schon distanzierte Haltung führt dazu, dass ich meine sozialen Aktivitäten mit den anderen einschränke. Ich weiß nicht, ob sich das in Zukunft ändern wird.“
Haftbedingungen in Deutschland und in der Heimat
„Ich war das erste Mal in einem Gefängnis. Ich war schon viele Male festgenommen worden, sowohl in Kurdistan als auch in der Türkei und in Europa. So war ich vertraut mit diesen Hafträumen. Ich kannte die Abläufe danach. Aber das Strafvollzugssystem war doch ein wenig anders. Es ist sogar von Land zu Land und von Stadt zu Stadt unterschiedlich.“
In Kurdistan und der Türkei: Gefängnisse werden zu „Akademien“
„In den Gefängnissen in Kurdistan und der Türkei sind die Bereiche, in denen die normalen und die politischen Gefangenen untergebracht sind, voneinander getrennt. Das ist vor allem in den achtziger Jahren von politischen Gefangenen für einen hohen Preis erkämpft worden. Auf diese Weise konnten sie als Kollektiv zusammenbleiben und gegen die repressiven Zwangsmaßnahmen im Gefängnis gemeinsam Widerstand leisten. In den Abteilungen führten sie ein gemeinschaftliches System ein und unterstützten sich gegenseitig. Natürlich war dieses Teilen nicht nur auf materielle Dinge beschränkt. Es ging auch um den Austausch von Ideen, Gedanken und Gefühlen. Insbesondere die im Rahmen eines festgelegten Programms zu bestimmten Themen abgehaltenen Seminare zeigten, dass das Strafvollzugssystem komplett ins Leere gelaufen ist. Es war fast so, als ob die politischen Gefangenen nicht im Gefängnis, sondern in einer Akademie waren.“
In Europa: Alle sind auf sich allein gestellt
„In den europäischen Gefängnissen ist es schwierig, von einem vergleichbaren System zu sprechen. Aufgrund der geringen Anzahl politischer Gefangener konnte ein solches Konzept nicht eingeführt werden. Alle sind auf sich allein gestellt. Als ich gerade in Europa angekommen war, erfuhr ich von der Inhaftierung von Freunden, denen es genauso erging. Mir wurde klar, dass die Haftbedingungen hier schwerer waren und der Widerstand daher größer sein musste. Ich dachte intensiv darüber nach, was ich tun würde, wenn ich im Gefängnis landen sollte, vor allem, wenn es in Deutschland wäre. War es ein Gefühl der Angst? Nein, ich hatte nie solche Gedanken. Schließlich ist der Weg in die Freiheit nicht ohne Herausforderungen.“
Die Isolation überwinden
„Hier wie auch in der Türkei will der Staat die politischen Gefangenen abschotten und isolieren. Es werden alle möglichen Methoden angewandt, um zu verhindern, dass die Gefangenen untereinander und mit der Außenwelt Kontakt haben. Man wollte nachweisen, dass es organisatorische Verbindungen zwischen ihnen gab, um sie zu höheren Strafen zu verurteilen. Soll ich die Verbindung zu meinen Genossen abbrechen, nur weil sie mich noch einige Monate länger ins Gefängnis sperren werden? Hier in der Gefangenschaft ist es ein unbeschreibliches Glück, auch nur ein kleines Hallo von jemandem zu bekommen, den man liebt. Dieses Gefühl ist es, was dich existieren lässt, was dich dazu bringt, Widerstand zu leisten. Ich habe miterlebt, was aus manchen wird, wenn ihnen diese Zuwendung in den Gefängnissen vorenthalten wird. Abgesehen von allem anderen, einschließlich politischer Gründe, ist es eine humanitäre Verantwortung. Unsere Haltung in den Gefängnissen sollte nicht Individualismus ausdrücken. Wir müssen die Gefängnisse verändern, wie die in der Türkei und Kurdistan. Ich schickte also einen kurzen Brief mit Grüßen an meine Freunde. Ich fand es sehr wichtig, dass diese Briefe nicht nur meine Gefühle transportierten, sondern auch die vom System beabsichtigte Politik der Isolation vereitelten.“
Unterstützung im Gerichtssaal
„Als ich zum ersten Mal den Gerichtssaal betrat, war er voller Menschen, die mir Moral gaben. Draußen bemerkte ich eine große Gruppe mit Transparenten und Plakaten, die vor dem Gerichtsgebäude ein Zelt aufgebaut hatten. Weil ich durch den Hintereingang hereingebracht wurde, konnte ich sie nicht genau sehen. Ich war sehr glücklich. Es war unmöglich, nicht stolz auf die Stärke dieses Kampfes zu sein, als ich im Gerichtssaal sah, wie sie mich unterstützten … Mehr als die Hälfte der Menschen im Saal waren aus der deutschen Linken. Bis auf einige wenige kannte ich sie nicht und sie kannten mich nicht. Ich setzte mich hin und fragte sie, wie es ihnen geht. Alsbald griff die Polizei ein und erklärte, es sei verboten zu sprechen. So blickte ich alle einzeln an und begrüßte sie mit Hand- und Kopfbewegungen.“
„Am Tag meiner Verteidigung vor Gericht waren wieder viele Menschen sowohl vor dem Justizgebäude als auch im Saal. Ich war aufgeregt und sie waren neugierig, was ich sagen würde. Der Vortrag meiner Verteidigung erstreckte sich über den kompletten Verhandlungstag. Als ich fertig war, war ich erleichtert und fühlte mich wie von einer Last befreit. Ich beendete meine Ausführungen, indem ich Parolen über Kurdistan und den internationalen Kampf rief. Die Leute im Gerichtssaal skandierten ebenfalls Parolen und applaudierten. Der Richter reagierte sehr ungehalten. Er brachte alle zum Schweigen und erklärte, dies sei kein Theater. Als ich so viele Menschen sah, die hinter mir standen, waren der Richter und sein Urteil nicht mehr wichtig.“
„Die Polizeibeamten, die mich von der Arrestzelle im Gericht in den Verhandlungssaal brachten, waren sehr beeindruckt von dem öffentlichen Interesse. Jedes Mal sprach ich mit ihnen über meinen Fall. Als sie diese Unterstützung durch die Öffentlichkeit sahen in Verbindung mit dem, was ich bei der Verteidigung gesagt hatte, behandelten sie mich mit mehr Respekt. Vor allem als sie in Zeitungen Berichte über mich lasen, wurde ihr Interesse an mir noch größer.“
Das Urteil war nicht mehr wichtig
„Letztlich ist es egal, welches Urteil sie fällen, wir haben unser Ziel schon erreicht. Im Gerichtssaal habe ich Freude gespürt, über die aufrechte Haltung und das Gefühl, eine wichtige Arbeit geleistet zu haben. Schon beim ersten Prozesstermin habe ich angekündigt: Auch wenn wir hinter vier Mauern eingesperrt sind, werden nicht wir verurteilt, sondern ihre verachtenswerte Politik. Und das ist uns gelungen ...“
„Vielleicht denkt der Richter, ich würde nach der Verkündung des Urteils am Boden zerstört und niedergeschlagen sein, ich würde mich beugen. Ich weiß es nicht, aber wenn er nach so vielen Verhandlungstagen, nach all meinen Briefen und meinen Tagebuchaufzeichnungen erkannt hätte, wen er für diesen Kampf verurteilt, dann wüsste er, dass so etwas für mich nicht in Frage kommt. Ich will euch sagen, was ich in diesem Moment gedacht und gefühlt habe: Ich war stolz darauf, ein Gefangener für eine ehrenhafte und gerechte Sache zu sein. Ich wollte die verbleibende Zeit meiner Gefangenschaft nicht so verbringen, wie sie es von mir erwarteten: als jemand, der sich unterwirft, sich einschüchtern lässt und seinen Kampf aufgibt. Ich würde meinen Widerstand fortsetzen. Es gab nur eine einzige Bitterkeit in mir. Es war das Bedauern darüber, dass ich vom Augenblick meiner Festnahme an für eine Weile von meiner Arbeit und von großartigen Menschen getrennt sein würde. Die Sehnsucht, die ich nach dieser Trennung empfand, trug auch dazu bei, dass ich im Gefängnis stärker wurde. Das habe ich in diesem Moment mit meinem ganzen Wesen und von Kopf bis Fuß gespürt.“[1]