#Amed Sherwan# wuchs im Nordirak auf, als strenggläubiger Muslim. Mit 14 zündete er als Mutprobe einen Koran an. Für seine öffentliche Abkehr vom Glauben wurde er gefoltert. In Deutschland fand er Asyl, doch auch hier wird er bedroht, seit er per T-Shirt verkündete: „Allah ist schwul“.
Zwischen all den bunt, schrill und knapp bekleideten Menschen auf dem Christopher Street Day in Berlin wirkt Amed Sherwan eher unscheinbar. Schmächtig, schwarze dichte Haare, kurzer Bart.
Provokant ist, was auf seinem T-Shirt steht: „Allah is gay“, Allah ist schwul. Amed hält zwei regenbogenfarbene Schilder in den Himmel. Auf einem steht: „Ex-Muslime für Diversität“, auf dem anderen „Solidarität für Homosexuelle und Transgender“.
Morddrohungen aus der muslimischen Community
„Ich freue mich, dass ich in einem freien Land leben kann und sowas hochhalten kann und so ein T-Shirt mit „Allah is gay“ haben kann“, sagt der 19-jährige Blogger und Aktivist, der seine Botschaften schon vorher auf seiner Facebook-Seite gepostet hatte. Weil er kurze Zeit später Morddrohungen aus der muslimischen Community erhält, wird er beim CSD nicht nur von Freunden begleitet, sondern auch von der Polizei.
Am nächsten Tag treffen wir uns zum Interview. Amed ist aufgelöst. Gerade eben hat ein Auto neben ihm gehalten. Der Fahrer sagte auf Arabisch, dass sie Amed beobachten und umbringen wollen, sollte er weiter so öffentlich auftreten. Schon wieder.
Amed ruft sofort die Polizei, die Beamten nehmen uns mit auf die Wache. Es folgt ein stundenlanges Prozedere aus Warten und Aussagen. Amed raucht eine Zigarette nach der anderen. Das alles mache ihm schon Angst, sagt er. Doch er will mir seine Geschichte nach wie vor erzählen.
Nicht schwul, aber für LGBT-Rechte
Es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren, selbst im geschützten Raum. Mit Beschimpfungen und Anfeindungen habe er gerechnet, sagt er, nicht aber mit Morddrohungen auf offener Straße.
Dabei hat er sich nicht mal für die eigenen Rechte engagiert. Amed selbst ist gar nicht schwul: „Ich finde es wichtig, dass man dafür sich einsetzt, für LGBT-Rechte in der muslimischen Community − free speech. Das sind alles Dinge, für die ich gekämpft habe und flüchten musste.“
Der Abfall vom Glauben
Amed wächst als Kind in Erbil im Nordirak auf, als strenggläubiger Muslim. Bis er im Internet auf atheistische Seiten stößt. Was ihm zunächst wie Gotteslästerung erscheint, krempelt innerhalb kürzester Zeit das Weltbild des Teenagers um. Um letzte Zweifel auszuräumen, will er als Mutprobe den Koran anzünden. Dafür wird Gott ihn sofort bestrafen – so hat er es gelernt.
„Dann wollte ich sehen, ob es wirklich stimmt, so bin ich eines Tages auf das Dach gegangen, hab das gemacht. Ich hatte furchtbare Angst, wie nie vorher. Aber es hat gut funktioniert. Zu der Zeit habe ich mich sehr sehr frei gefühlt: Okay, es gibt keinen Allah, es wird auch keine Strafe geben.“
Seine Abkehr vom Glauben postet er damals auf Facebook. „Ich dachte, das muss normal sein, nicht mehr zu glauben und das auch öffentlich sagen zu können.“
Asyl in Flensburg: „Ich bin frei“
Was man als naiven, rebellischen Akt eines Teenagers sehen kann, hat für Amed folgenschwere Konsequenzen. Auf Druck der Nachbarn, lässt sein Vater ihn kurz vor seinem 15. Geburtstag verhaften. Er wird tagelang gefoltert, zunächst in der Polizeistation, dann im Jugendgefängnis.
„Das allerschlimmste für mich war noch im Gefängnis, dass ich jeden Tag mit denen beten musste. Mit Vergewaltigern, Mördern, für die mein Verbrechen noch viel schlimmer war: Ich glaub´ nicht mehr.“
Als er gegen eine Kaution frei kommt, ist er längst landesweit bekannt als „kafir“ – also Ungläubiger – für ihn und seine Familie ein normales Leben nicht mehr möglich. Die Verwandten bezahlen Amed die Flucht nach Deutschland. In Flensburg wird sein Asylantrag bewilligt. Als Atheist könne er in seiner Heimat nicht frei leben, so die Begründung.
Der junge Kurde glaubt sich endlich in Sicherheit. „Ich darf viel. Ich habe Rechte hier. Ich bin frei.“
Die schwierige Situation der Ex-Muslime
Doch auch hier eckt Amed mit seiner offenen Kritik gegenüber dem Islam an. Als er für eine Lokalzeitung einen Artikel über Atheismus als Fluchtgrund schreibt, wird er von einem jemenitischen Mitarbeiter eines Flüchtlingsvereins bedroht.
„Das war der Punkt, wo ich gesagt habe, ich muss weiter und das ist ein sehr wichtiges Thema und es ist wichtig, dass ich darüber spreche. Dass ich die Leute aufmerksam mache, wie schwierig die Situation für Ex-Muslime ist, die nicht mehr glauben. Auch die, die hier in Europa leben, sich nicht sicher fühlen und ja, es für sich behalten, dass sie nicht mehr glauben.“
Mut, Trotz und Angst
Amed sucht die Öffentlichkeit, mit Zeitungsartikeln, Blogeinträgen und auf Podiumsdiskussionen setzt er sich für mehr Toleranz in muslimischen Communities ein. Und provoziert bewusst:
„Wenn ich das T-Shirt nicht gemacht hätte und einfach geschrieben hätte „Allah loves you all“, hätte ich nicht so Aufmerksamkeit gekriegt. Ich finde es wichtig, dass man manchmal provoziert und die Grenzen überschreitet. Ja, nur dadurch ändert man ganz viel.“
Mut, Trotz und Angst − zwischen diesen Extremen bewegt sich Amed, als wir uns verabschieden. Und gesteht, dass er mit einem mulmigen Gefühl zurück nach Flensburg fährt. Doch aufhören scheint für ihn keine Option. Er muss jetzt los. Zu einem Termin mit einem Verlag, der interessiert ist an seiner Geschichte.[1]