Von Berthold SeewaldFreier Autor Geschichte
In einer Kommandoaktion wollte der deutsche Geheimdienst 1943 die britische Erdölförderung im Irak lahmlegen und die Kurden zum Aufstand treiben. Die Akten zeigen ein groteskes Vabanquespiel.
Als die in Stalingrad eingeschlossene deutsche 6. Armee ihrem Untergang entgegenfror, verfiel man in Berlin auf einen neuen Plan, das Fernziel des gescheiterten Vormarschs in den Kaukasus doch noch zu erreichen. Eine Kommandotruppe sollte die Kurden des Irak zum Aufstand anstacheln und damit die britische Erdöl-Förderung im Irak zum Erliegen bringen. Von dort, so die kühnen Visionen, wäre es nur noch ein kleiner Schritt, um die britische Herrschaft über Indien doch noch zum Einsturz zu bringen.
Vom 14. Januar 1943 datiert die Aufstellungsverfügung für das „Sonderunternehmen ,#Mammut# ‘“, die die Abteilung II des Amtes Abwehr ihrem Chef, Admiral Wilhelm Canaris, zur Paraphe vorlegte und deren Original sich im Bundesarchiv findet. Sabotage und Zersetzung waren die Aufgaben dieser Abteilung, deren Aktionen auf dem Papier sich in dem Maße weiteten, wie sich die Möglichkeiten des Dritten Reiches auf dem Schlachtfeld reduzierten. Wie das geschah, hat der Berliner Historiker Pherset Rosbeiani am Beispiel von „Mammut“ in der Zeitschrift „Militärgeschichte“ dargestellt.
Die Idee für ein deutsches Ausgreifen im Mittleren Osten hatte zwei Wurzeln. Da war zum einen eine ganze Reihe von Unternehmungen, mit denen deutsche Militärs während des Ersten Weltkriegs im Orient aktiv gewesen waren, zum anderen die aktuelle Lage im Herbst 1942.
Zwischen 1914 und 1918 hatten nicht nur zahlreiche deutsche Soldaten in Mesopotamien gekämpft. Eine Expedition sprengte englische Ölquellen am Tigris und paktierte mit schiitischen Mullahs. Eine andere Mission versuchte, Afghanistan gegen die Briten zu mobilisieren. 1918 wurde sogar ein Expeditionskorps von mehreren Zehntausend Mann eingesetzt, um zunächst in Georgien Fuß zu fassen und von dort zu den russischen Erdölfeldern um Baku vorzudringen. Fernziel war schon damals das Herz des Britischen Empire gewesen, Indien.
Im Zweiten Weltkrieg wurden derartige Pläne wiederbelebt, doch konnten sich ihre Macher gegen Hitlers Primat eines Rasse- und Vernichtungskrieges gegen den Bolschewismus zunächst nicht durchsetzen. Selbst als ein Putsch deutschfreundlicher Militärs im April 1941 Raschid Ali al-Gailani im Irak an die Macht brachte, zügelte Hitler die Fantasien seiner Satrapen. Gailani verkündete den sofortigen Abzug aller britischen Truppen, was London mit einer militärischen Intervention beantwortete. Auf den Hilferuf an Berlin reagierte Hitler mit einer „heroischen Geste“, indem er einige Staffeln Kampfflugzeuge entsandte, die gegen die drückende Überlegenheit der Briten wenig ausrichten konnten. Ansonsten verlangte der Diktator volle Konzentration auf seinen Krieg gegen die Sowjetunion.
Erst als die deutschen Armeen 1942 in den Kaukasus vorrückten und die Japaner Indien von Birma aus bedrohten, wurden die alten Pläne und Träume wiederbelebt. Vom 5. Dezember datiert die Denkschrift, die Gottfried Johannes Müller aus der Abteilung II der Abwehr bei seinen Vorgesetzten einreichte. Darin schlug der Leutnant vor, Kontakt mit dem kurdischen Scheich Mahmud Barzinji aufzunehmen. Den hatte Müller während einer Orientreise 1935/36 als charismatischen Führer kennengelernt, der wiederholt Anschläge gegen die Briten unternommen hatte. Aus Mahmud wurde „Mammut“, und das Unternehmen hatte seinen Namen.
Kurden als Verbündete gewinnen
Mit ein paar Dutzend Männern wollte sich Müller in den Kurdengebieten des Irak festsetzen, von dort Sabotageakte gegen die Ölindustrie durchführen und damit gegebenenfalls die Kurden als Verbündete gewinnen. Das fügte sich gut in die neuen strategischen Perspektiven ein, die der vermeintliche Siegeszug der Wehrmacht an die Wolga eröffnete. Schon gab Hitler den Befehl, acht Panzerdivisionen für den Krieg in der Steppe auszurüsten und mit Tarnfarbe zu versehen.
Die sowjetische Gegenoffensive im November und die Einkesselung der 6. Armee in Stalingrad entzog diesen Träumen allerdings alle realen Grundlagen. Obwohl die Front Hunderte Kilometer zurückgenommen werden musste und nur mit Mühe gehalten werden konnte, wurden im März 1943 etwa ein Dutzend Mitarbeiter der Abwehr in drei Gruppen nach Bodental im österreichischen Krain in Marsch gesetzt, wo sie in Schnellkursen auf ihre Mission vorbereitet wurden. Parallel dazu wurde auf der Krim eine Funkstation installiert, die die Verbindung in den Irak sicherstellen sollte. Am 14. Juni wurde die „Mammut“-Gruppe I unter der Führung von Leutnant Müller im Berliner Bendlerblock verabschiedet, wobei eine kurdische Fahne aufgezogen wurde
Die folgenden Probleme zeigen, wie dünn die Ressourcen des Dritten Reiches für die Führung eines Weltkrieges in Wirklichkeit waren. So gingen alle Beteiligten von den Zuständen aus, die Müller Mitte der Dreißiger erlebt hatte. Nach ihrem Einmarsch in den Irak 1941 hatten die Briten Scheich Barzinji aber längst in Bagdad unter Hausarrest gestellt. Zwar wusste man in Berlin, dass die kurdischen Fäden im Irak inzwischen bei den Brüdern Barzani zusammenliefen, hatte mit ihnen aber keinerlei Kontakt aufnehmen können.
Mangels einschlägiger Sprach- und Landeskenntnisse hing der Erfolg von Müllers Mission am Engagement eines jungen kurdischen Idealisten, der sich der Abwehr angedient hatte, um ein Zeichen gegen die von den Briten eingesetzte Regierung in Bagdad zu setzen. Zusammen mit den drei Agenten der ersten „Mammut“-Gruppe sprang Ramzi Nafi’ Raschid Agha am 17. Juni 1942 westlich von Mossul mit dem Fallschirm ab – 200 Kilometer vom geplanten Ziel entfernt. Weil Müller die Nerven verlor, übernahm es Ramzi, die Agenten in seinen Heimatort Erbil zu führen. Dort wurden sie von kurdischen Schmugglern verraten und am 28. Juni von den Briten verhaftet.
Einen Monat später erfuhr die Abwehr durch ein dechiffriertes Funktelegramm vom Schicksal ihrer Leute. Erst jetzt wurde Unternehmen „Mammut“ abgeblasen. Sein Scheitern war angesichts der dafür bereitgestellten geringen materiellen und personellen Mittel durchaus nicht überraschend, urteilt Pherset Rosbeiani: „Hier zeigte sich in besonderer Weise die planerische Beliebigkeit und Konzeptionslosigkeit wie auch die Realitätsferne solcher Kommandounternehmen.“[1]