CENGİZ ALTUN / ÇETİN ABABAY
Die vom türkischen Staat gegründete Hizbullah sitzt nun als Hüda Par auf dem Ticket der AKP im Parlament in Ankara. Ein Blick in ihre Geschichte zeigt auf, was das Erdoğan-Regime heute mit der Hüda Par bezweckt.
Der türkische Staat versucht seit seiner Gründung mit allen Mitteln, die kurdische Identität und den kurdischen Widerstand zu vernichten. Als sich ab den 1970er Jahren die kurdische Freiheitsbewegung auf der Grundlage linker und sozialistischer Prinzipien entwickelte, wurden mithilfe von NATO-Strukturen Konterguerillaeinheiten wie Gladio organisiert. Andererseits wurde auch versucht, auf gesellschaftlicher Ebene gegen die Ausbreitung der Freiheitsbewegung zu intervenieren. Diese strategischen Angriffe waren jedoch nicht geeignet, die Freiheitsbewegung aufzuhalten. Während einerseits der Geheimdienst der Militärpolizei (JITEM) systematisch folterte, mordete und unzählige Menschen verschwinden ließ, wurde eine neue Formation unter islamistischer Maske aufgebaut. Das Amt für Spezialkriegsführung schuf die Hizbullah der Türkei, auch bekannt als Hizbulkontra. Die klar islamistisch, antikommunistisch ausgerichtete Hizbullah schien das geeignete Werkzeug zu sein, eine linke Freiheitsbewegung in traditionell konservativen Regionen zu liquidieren und die Gesellschaft mit islamistischem Terror und Morden zu überziehen und einzuschüchtern. Auf dem Ticket der AKP sitzt nun der unter dem Namen Hüda Par agierende politische Flügel der Mörderbande im Parlament.
Nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai 2023 sagte der damalige türkische Innenminister Süleyman Soylu auf Habertürk dazu: „Sie werden sehen, dass der Schritt, den Tayyip Erdoğan mit der Hüda Par unternommen hat, in einer Zeit, in der die Türkei in Bezug auf die konservative Politik im Osten und Südosten in den letzten 20 bis 30 Jahren allein agiert hat, sehr intelligent war. Es ist ein sehr starker soziologischer Schritt und Ausdruck eines großartigen Staatsgeistes.“
Was bedeutet „soziologischer Schritt“ in dieser Aussage? Was erhofft sich der „Staatsgeist“ von diesem Schritt? Warum wurde diese mörderische Struktur, die zuvor auf Eis gelegt worden war, von der Abteilung für Spezialkriegsführung wieder ins Spiel gebracht? Der türkische Staat hat seit seiner Gründung bis heute viele Strategien, Pläne und Projekte entwickelt, um die gesellschaftliche Struktur und Organisierung in Kurdistan zu verändern, zu stören und neue Konfliktfelder zu eröffnen. Die Äußerungen von Soylu können als ein Teil dessen angesehen werden. Um das einordnen zu können, ist ein Blick in die Geschichte dieser islamistischen JITEM-Parallelstruktur, die in den 1990er Jahren ausgebildet und auf die Straße gebracht wurde, für die Ermordung von Tausenden von Kurd:innen verantwortlich ist und deren Name untrennbar mit der sogenannten Schweinefessel, mit Hackbeilen und Erschießungen verbunden ist, notwendig.
Die historischen Ursprünge der Hizbulkontra
Bei der Hizbullah handelt sich um einen Apparat, dessen Kader sich bis in die Jahre 1978/79 zurückverfolgen lassen. Ein weiterer Punkt ist, dass die räumliche Dimension, die topografische Perspektive, bisher in den Untersuchungen weitgehend außer Acht gelassen wurde. Wo ist diese Struktur entstanden, wo hat sie operiert, wo war sie aktiv und was sind die spezifischen Merkmale dieser Orte? Warum ist sie zum Beispiel in Farqîn (tr. Silvan) aktiv, aber nicht in Pasûr (Kulp) und Licê? Warum ist sie in Kercews (Gercüş) und nicht in Hezo (Kozluk) verortet? Auf welche Art und Weise und aus welchen Gründen hat sie ihre spezifische Gewaltpraxis entwickelt, mit der sie sich so tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat? Es ist sehr wichtig zu untersuchen, wie sie ein Klima der Mikrogewalt geschaffen hat, das das tägliche Leben fast lähmte. Diese Punkte müssen genau analysiert werden, anders wird es nicht möglich sein, die Organisation Hizbulkontra zu durchschauen und ihre aktuellen Ziele vollständig zu begreifen.
Im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg arbeiteten Staat und NATO daran, Antikommunismus durch das Amt für Spezialkriegsführung, antikommunistische Vereine und die Nationale Union der türkischen Studenten (MTTB) zu verbreiten. Diese Tendenz bekam insbesondere in 1970er Jahren mit den wachsenden linken Kämpfen in der Türkei und Kurdistan Bedeutung. In Kurdistan wurde sie gegen die aufkommende antikolonialen Bewegung in Anschlag gebracht, um die Unruhe islamisch-konservativer Kreise in Kurdistan angesichts des Aufbruchs konterrevolutionär nutzen zu können.
Ein antikommunistisches NATO-Projekt
Diese Situation verschärfte sich mit der türkisch-islamischen Synthese, die nach dem Staatsstreich vom 12. September 1980 dominant wurde. Diese Synthese bedeutete eine Aufgabe des vorgeblichen Laizismus und eine Verbindung zwischen politischem Islam und rassistischem türkischem Nationalismus/Turanismus. Auf internationaler Ebene, mit der Übersetzung der Bücher der Ideologen der Muslimbruderschaft (wie Hasan al-Banna, Sayyid Qutb, Said Hawwa), der Besetzung Afghanistans durch die UdSSR und die „Mudschaheddin“, die dorthin zogen, und schließlich der „islamischen Revolution“ im Iran im Jahr 1979, sehen wir, dass eine auf dem politischen Islam basierende Vorstellungswelt entstanden ist, die sowohl in der Westtürkei als auch in Kurdistan in Bewegung geraten ist. Wir müssen diese Dynamik im Auge behalten, wenn wir das Entstehen der „Hizbullah“ betrachten.
Gegen die kurdische Freiheitsbewegung gerichtet
Die Hizbullah wurde vom Amt für Spezialkriegsführung gegründet und von Hüseyin Durmaz Velioğlu angeführt. Velioğlu ist ein aus Êlih-Kercews (Batman-Gercüş) stammender Kurde. Er verbrachte seine Kindheit im Dorf und ließ sich nach Abschluss der Grundschule im Zentrum von Êlih nieder. In den frühen 1970er Jahren ging er nach Ankara, um an der Fakultät für Politikwissenschaften zu studieren. In seiner Kindheit und Jugend wurde er an einer Islamschule indoktriniert, trat dann der nationalistischen MTTB bei. Er hatte gleichzeitig Verbindungen zur Akıncılar-Bewegung, der Jugendorganisation der islamistisch-nationalistischen MSP des späteren türkischen Ministerpräsidenten und politischen Ziehvaters Erdoğan, Necmettin Erbakan. Dieses islamistisch-nationalistisch geprägte Umfeld wurde prägend für ihn. Nachdem er die Prüfung für eine Verwaltungsbeamtenlaufbahn nicht bestanden hatte, kehrte er nach Êlih zurück und begann sich islamistisch weiter zu organisieren. Er wurde dabei genau vom Staat beobachtet und war selbst als V-Mann für den Staat tätig. Aufgrund seines Erfolges wurde er vom Amt für Spezialkriegsführung mit der Führung der aufzubauenden Hizbullah beauftragt. Die späten 1970er Jahre, in denen Hüseyin Velioğlu nach Êlih zurückkehrte, waren eine Zeit der wachsenden antikolonialen Politisierung der Kurd:innen. Die NATO organisierte und mobilisierte weltweit die Konterrevolution unter der Maske des Islamismus.
Hüseyin Velioglu, der in der MTTB und den antikommunistischen Vereinigungen geschult und zu einem Agenten gemacht worden war, bekam daher nicht von ungefähr diese Mission in Kurdistan. So wurde die Hizbulkontra aufgebaut, um die kurdische Freiheitsbewegung, die sich nach den 1970er Jahren rasch entwickelte und wuchs, aufzuhalten und ihre gesellschaftliche Basis zu schwächen und zu beseitigen.
Der Staat war aufgrund des Wachstums der Freiheitsbewegung in Êlih in Panik
Hüseyin Velioğlu war in der nationalistischen MTTB sehr aktiv. So kandidierte er 1980 als Kandidat der MTTB bei Wahlen für die Gewertkschaft Petrol-İş in Êlih und unterlag dem Kandidaten der kurdischen Freiheitsbewegung, obwohl er von rechten Organisationen, staatlichen Institutionen und kollaborierenden lokalen Kräften unterstützt wurde. Bei den Kommunalwahlen desselben Jahres gewann Edip Solmaz, der Kandidat der kurdischen Freiheitsbewegung, das Bürgermeisteramt. Der schnell wachsende Einfluss der führenden Kader der kurdischen Freiheitsbewegung in Êlih und die Tatsache, dass sie zwei sehr wichtige Wahlen gewannen, erhöhte die Bedeutung der konterrevolutionären Aufgabe, die Velioğlu vom Amt für Spezialkriegsführung zugewiesen worden war. Der Staat betrachtete die Hizbulkontra als unverzichtbares Mittel, um die wachsende Basis der kurdischen Freiheitsbewegung in Êlih und der umliegenden Ebene zu zerstören.
Die Beziehungen der Hizbullah zum Iran
In der durch den Regimewechsel im Iran 1979 geschaffenen Atmosphäre nahm Hüseyin Velioğlu Beziehungen zu den Islamschulen auf und gründete eine Organisation, deren oberstes Ziel die Errichtung eines islamischen Staates war. Laut der Urteilsbegründung im „Hizbullah-Hauptverfahren Batman“, bei dem es um 32-fachen Mord ging, reisten Hüseyin Velioğlu, Abdulaziz Tunç, Edip Gümüş, Ahmet Seyitoğlu, Ihsan Yeşilırmak, Osman Uslu, İsa Ay, Hamit Yazgan und Nusrettin Güzel, die zu den Gründern der Hizbullah gehörten, illegal in den Iran, wo sie eine Zeit lang eine politische und militärische Ausbildung erhielten, und kamen dann in die Türkei, wo sie begannen, die Grundstruktur der Hizbullah aufzubauen. Der auffälligste Name in diesem Prozess war Enver Kılıçarslan aus Farqîn. Kılıçarslan, der Mitglied des Schura-Rates, also der Führung der Hizbullah war, arbeitete lange Zeit als Iran-Verantwortlicher. Kılıçarslan, der die Verbindungen zum Iran und die Ausbildung der Hizbulkontra-Killer organisierte, lebte vier Jahre lang mit seiner Frau Cahide Kılıçarslan in der iranischen Stadt Qom (Ghom). In ihrer Aussage vor der Istanbuler Anti-Terror-Abteilung gestand Cahide Kılıçarslan, dass sie regelmäßig reisten und in Qom ausgebildet wurden. Cahide Kılıçarslan sagte weiterhin, dass auch Hüseyin Velioğlu regelmäßig in den Iran reiste und dass Enver Kılıçarslan seine Besuche organisierte.
Velioğlu schaltete brutal jede Konkurrenz aus
Menzil war die einflussreichste Gruppe in Amed (Diyarbakir). Hüseyin Velioğlu ging in den frühen 1980er Jahren von Êlih dorthin. Er sah, dass Fidan Güngör eine Menzil-Bücherei eröffnet und sich um ihn herum ein ernsthaftes Organisationsnetzwerk aufgebaut hatte. Insbesondere in den Moscheen gab es sehr professionelle Organisationsstrukturen. Velioğlu eröffnete nach diesem Modell eine Bücherei und Bibliothek namens Ilim als Kern seiner Organisationsstruktur. Ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre begann er, die islamistischen Gruppen, die er als seine Konkurrenten betrachtete, unter seine Kontrolle zu bringen, seiner Struktur einzuverleiben oder diese zu liquidieren. Dies führte zur Vernichtung vieler Organisationen im kurdisch-islamischen Sektor. Die Flügel Menzil und Ilim entstanden daraus. Ab Ende der 1980er Jahre kam es von Seiten der Ilim-Anhänger unter der Führung von Velioğlu zu schweren Angriffen auf alle anderen Gruppen in diesem Bereich. Zunächst erfolgten diese verbal, dann physisch durch Übergriffe und schließlich wurden Morde begangen. Die frühen Islam-Lehrer, zu denen Velioğlu zuerst Beziehungen aufgebaut hatte, verließen die Ilim-Gruppe und gründeten eine Gruppe namens Vahdet. Sie empfanden Velioğlus Stil als „hart“ und zogen sich zurück.
1984: Das erste Mal taucht der Name „Hizbullah“ auf
Die Hizbullah entstand 1978/79 unter dem kurdischen Namen Cemaata Ulemayên İslâmi. Der Name „Hizbullah“ wurde anfangs nicht verwendet. Erst Anfang der 1990er Jahre wurde dieser Name von der Kontrastruktur, über die wir heute sprechen, übernommen. Der Name „Hizbullah“ wurde zum ersten Mal nach dem Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft im Istanbuler Stadtteil Şişli im Oktober 1984 als Fremdbezeichnung der Gruppe verwendet. Ihre Mitglieder wurden bei der Fahndung, die nach dem Überfall stattfand, festgenommen. Unter ihnen befand sich auch İrfan Çağrıcı, der später wegen des Mordes an Çetin Emeç, dem Chefredakteur der Zeitung Hürriyet, und anderen Intellektuellen vor Gericht gestellt wurde.
Konflikt mit Menzil und wachsender kurdischer Freiheitskampf
Zwei Punkte waren für die Gruppe um Velioğlu besonders entscheidend. Einerseits war es die Auseinandersetzung mit dem Menzil-Flügel. Fidan Güngör (Menzil) war zu diesem Zeitpunkt eine viel charismatischere und mächtigere Figur als Velioğlu. Er hatte auch die besseren Beziehungen zum iranischen Regime. Velioğlu entschied sich, diese islamistischen Gruppierungen, die er als seine Rivalen ansah, zu unterwerfen oder sie mit Gewalt zu liquidieren.
Die zweite Bedrohung für das Projekt der Hizbullah war die wachsende Kraft der PKK. Einerseits nahm der bewaffnete Guerillakrieg fast monatlich an Intensität zu, andererseits begannen die erfolgreichen Aktionen der Guerilla die Menschen in den Städten zum Aufstand zu inspirieren.
Tausende von Dörfern und Dutzende von Stadtteilen und Stadtzentren befanden sich nun weitgehend unter der Kontrolle der kurdischen Freiheitsbewegung. Die effektive Aktionskraft und soziale Organisierung der kurdischen Freiheitsbewegung war der konkreteste Ausdruck dafür, dass eine neue Ära für das kurdische Volk begonnen hatte. Zum ersten Mal in seiner Geschichte brachte das kurdische Volk seine Freiheitsziele mit einer nationalen Perspektive zum Ausdruck, und Tausende von kurdischen Jugendlichen zogen in die Berge und schlossen sich dem Freiheitskampf an.[1]