Nach einer Kontroverse um Abdullah Öcalans Botschaft an eine Friedenskonferenz in Istanbul übt dessen langjähriger Mitgefangener #Veysi Aktaş# scharfe Kritik an Teilen der türkischen Linken. Diese verweigere sich Erneuerung und sei ideologisch erstarrt.
Der langjährige politische Gefangene Veysi Aktaş hat die türkische Linke zu grundlegender Selbstkritik und ideologischer Erneuerung aufgerufen. Gegenüber dem Nachrichtenportal Bianet reagierte Aktaş auf öffentliche Kritik an einer Grußbotschaft des kurdischen Repräsentanten #Abdullah Öcalan#, die er auf einer internationalen Konferenz in Istanbul verlesen hatte.
Die von der DEM-Partei organisierte zweitägige „Internationale Konferenz für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ fand am Wochenende in einem Kulturzentrum im Stadtteil Bakırköy statt. Ein zentrales Ereignis war die Verlesung eines schriftlichen Beitrags von Öcalan durch Veysi Aktaş, der selbst zehn Jahre lang mit dem PKK-Begründer auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftiert war.
Kritik aus verschiedenen politischen Lagern
Aktaş ging auf die Kritik ein, die sowohl aus regierungsnahen Kreisen als auch aus Teilen der türkischen Linken und sozialistischen Bewegung laut geworden war. Die gemeinsame Ursache dieser Reaktionen sieht er in ideologischer Engstirnigkeit: „Fanatismus gibt es nicht nur bei den Rechten, auch die Linke in der Türkei leidet darunter. Das ist eines ihrer Grundprobleme.“ Diese ideologische Starrheit verhindere gesellschaftliche Verankerung und politische Wirksamkeit: „Die vorhandenen ideologischen Muster werden nicht hinterfragt oder auf ein politisches Fundament gestellt. Sie werden einfach immer wieder wiederholt“, so Aktaş.
Linke brauche historische Selbstreflexion
Nach Ansicht Aktaş’ ist die Krise der Linken kein rein türkisches Phänomen, sondern Teil einer globalen Entwicklung. Besonders problematisch sei jedoch der Umgang mit der eigenen Geschichte: „Die Linke kennt ihre eigene Vergangenheit nicht. Sie hat es nicht geschafft, die Geschichte der Unterdrückten herauszuarbeiten. Stattdessen dominiert eine von den herrschenden Klassen geprägte Geschichtsschreibung.“ Einseitig dem Staat die Schuld zu geben, greife dabei zu kurz. „Auch die Linke selbst muss Verantwortung übernehmen und sich selbstkritisch hinterfragen“, erklärte er. Dazu gehöre auch die Entwicklung eines neuen historischen Verständnisses aus der Perspektive der Marginalisierten.
Aufruf zu ideologischer Erneuerung
Aktaş sprach sich für eine grundsätzliche Erneuerung linker Theorie und Praxis aus – unter Einschluss neuer wissenschaftlicher Perspektiven: „Die Linke wiederholt ständig dieselben dogmatischen Phrasen. Sie muss neue Denkansätze zulassen. Dazu gehören auch solche, die durch die Quantenphysik und moderne Philosophie beeinflusst sind. Öcalans Denken ist ein Beispiel dafür, aber viele verstehen das nicht.“ Um politisch wirksam zu werden, müsse die Linke über ihre klassische dialektische Methodik hinausdenken: „Sie müssen erkennen, dass Dialektik allein nicht ausreicht, um gesellschaftliche Prozesse vollständig zu erklären.“
Kritik an „sozialem Chauvinismus“
Mit Blick auf die Rezeption von Abdullah Öcalan und die Rolle der kurdischen Bewegung innerhalb der Linken in der Türkei kritisierte Aktaş eine tiefsitzende Voreingenommenheit: „Manche stören sich daran, dass eine kurdische Führungspersönlichkeit wie Öcalan heute im Zentrum linker Diskurse steht. Dabei stellt sich die Frage: Warum sollte ein Kurde keine führende Rolle übernehmen dürfen?“ Viele hätten Mühe, sich vom Geist des 19. Jahrhunderts zu lösen – sowohl was historische Denkmuster als auch den politischen Diskurs betreffe: „Solange die Linke in dieser alten Atmosphäre verharrt, wird sie weder den Sozialchauvinismus überwinden noch Anschluss an die Realität von heute finden.“ [1]