Im neuen Prozess gegen die #IS# -Rückkehrerin Jennifer W. vor dem OLG München hat die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer gehalten – und eine Freiheitsstrafe von mehr als 14 Jahren gefordert. Das Urteil von 2021 lag deutlich niedriger.
Die Bundesanwaltschaft hat eine deutlich höhere Haftstrafe für die IS-Rückkehrerin Jennifer W. gefordert. Der Vertreter des Generalbundesanwaltes sprach sich vor dem Oberlandesgericht (OLG) München für eine Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten aus, berichtete die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am Montag.
Das OLG hatte W., die aus dem niedersächsischen Lohne stammt, im Oktober 2021 zu zehn Jahren Haft verurteilt – wegen ihrer Mitgliedschaft in der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) sowie Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge in einem minderschweren Fall. Die 31-Jährige hatte vor Gericht eingeräumt, dabei zugesehen haben, wie ein von ihr und ihrem Mann versklavtes ezidisches Mädchen angekettet in praller Mittagssonne starb.
In der neuen Verhandlung hatte sie außerdem zugegeben, der ebenfalls versklavten Mutter des Mädchens eine Waffe an den Kopf gehalten zu haben, weil sie wollte, dass sie aufhört, um ihr getötetes Kind zu weinen. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bezweifelte, dass es sich um einen minderschweren Fall handelte und verwies den Fall zu einer neuen Verhandlung über das Strafmaß an einen anderen Senat des OLG zurück.
Erster Prozess gegen IS-Rückkehrerin
Der Prozess gegen Jennifer W. war der bundesweit erste gegen eine IS-Rückkehrerin und nach Angaben der ezidischen Organisation Yazda die weltweit erste Anklage wegen Straftaten von IS-Mitgliedern gegen die religiöse Minderheit der Ezidinnen und Eziden. Die Deutsche konvertierte zum Islam und reiste 2014 im Alter von 23 Jahren nach Syrien. Dort heiratete sie ihren irakischen Mann Taha Al-Jumailly, der kurz zuvor die vom IS aus der Şengal-Region verschleppte Ezidin und deren Tochter als Sklavinnen gekauft hatte.
Weil das fünfjährige Mädchen sich auf einer Matratze eingenässt hatte, wurde es von Al-Jumailly zur Bestrafung im Hof eines Anwesens in der irakischen Stadt Falludscha angekettet. Er fesselte das Kind mit den Händen in Kopfhöhe so an ein Fenstergitter, dass es mit den Füßen in der Luft hing. Bis er das Mädchen wieder losband, hatte es einen tödlichen Hitzschlag erlitten. Das Kind starb an einem Tag im August 2015, als in Falludscha Höchsttemperaturen von mehr als 50 Grad im Schatten erreicht wurden. Die Mutter musste dabei zusehen. Sie war von Al-Jumailly ebenfalls bestraft worden und musste 30 Minuten barfuß im Hof verbringen. Der Boden war so heiß, dass ihre Füße verbrannten.
3. August 2014, der Tag des Beginns des Völkermords an den Ezidinnen und Eziden: Menschen flüchten teils barfuß ins Şengal-Gebirge © Abdurrahman Gök
Die Ermittlungen kamen ins Rollen, weil Jennifer W. einem verdeckten Ermittler in einem verwanzten Auto von der Tat berichtet haben soll, als sie erneut versuchte, in den Irak auszureisen. In Bayern wurde sie dann jedoch festgenommen. Später wurde die Mutter des ezidischen Mädchens ausfindig gemacht. Beim Prozess gegen W. trat sie als Zeugin auf.
Lebenslange Haft für Taha Al-Jumailly
Taha Al-Jumailly selbst wurde im November 2021 wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen Personen, Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft, dem Mord an dem ezidischen Mädchen sowie IS-Mitgliedschaft in Frankfurt zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Im Januar dieses Jahres bestätigte der BGH die gegen ihn verhängte Strafe. Dem IS-Söldner sei zu Recht vorgeworfen worden, dass dieser die religiöse Gruppe der Ezidinnen und Eziden zerstören wollte und ein als Sklavin gehaltenes fünfjähriges Mädchen so misshandelte, dass es starb, entschieden die Karlsruher Richter.
Urteil Grundlage für Genozid-Anerkennung Großbritanniens
Der Fall Taha Al-Jumailly war aus drei Gründen bedeutsam. Zum einen handelte es sich um das weltweit erste Verfahren zum Völkermord an der ezidischen Gemeinschaft. Durch das Frankfurter Urteil erkannte die deutsche Justiz die IS-Verbrechen generell als Genozid an. Zum anderen fand der Prozess auf Grundlage des Weltrechtsprinzips statt. Weder Opfer noch der Verurteilte besitzen bzw. besaßen die deutsche Staatsbürgerschaft und auch die Taten wurden nicht in Deutschland begangen. Anders als in anderen IS-Verfahren hielt sich Al-Jumailly auch nicht im Bundesgebiet auf, sondern wurde in Griechenland verhaftet und dann nach Deutschland ausgeliefert. Auf Grundlage des Frankfurter Urteils gegen Al-Jumailly erkannte Großbritannien Anfang August den IS-Überfall auf Şengal als Genozid an.[1]