Olaf Meyer, Antifaschistische Aktion Lüneburg / Uelzen
Unbedingter Verfolgungswille gegen Antifa-Enternasyonal-Fahne München: Demonstration gegen die dortige Kriegskonferenz, Berlin: Demonstration für die Enteignung von Immobilienkonzernen. Hamburg: feministische Demonstration zum 8. März, Hambacher Forst: Aktionen zur Rettung des Waldes und des Klimas. Dresden: antifaschistische Aktionen gegen einen Naziaufmarsch, Duisburg: Kundgebung gegen Sozialabbau. Die Orte und Veranstaltungen stehen beispielhaft für eine lebendige und aktive linke Bewegung in Deutschland, und sie verbindet, dass dort die Antifa-Enternasyonal-Fahne mitgeführt und gezeigt wurde, ohne dass es dabei zu polizeilichen Maßnahmen wegen der Fahne kam. Anders im beschaulichen Lüneburg, wo seit dem 24. April 2018 die grüne Antifa-Fahne immer wieder beschlagnahmt wurde und es seitdem zu einer andauernden Auseinandersetzung vor den Gerichten kam.
Der staatliche Verfolgungswille
Es ist der 24. März 2018 im niedersächsischen Lüneburg. Rund 500 Menschen sind zu einer Demonstration unter dem Motto »Frieden für Afrin« zusammenkommen. Sie wollen gemeinsam gegen die türkische Militäroffensive gegen Efrîn (Afrin) auf die Straße gehen. Im Januar 2018 begann diese Aggression unter dem Namen »Operation Olivenzweig« auf Befehl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Ziel der Operation war es, die kurdischen Milizen im Norden Syriens zu zerschlagen und insbesondere die Volksverteidigungseinheiten aus dem Grenzgebiet zu vertreiben. Die Invasion endete im März 2018 mit der Einrichtung einer von der Türkei kontrollierten »Sicherheitszone«.
Begleitet wurde die Militäroffensive von einer Welle des Protests gegen das türkische Regime. Die Lüneburger Demonstration am 24. März 2018 wurde überschattet von einem unverhältnismäßigen Polizeieinsatz. Schon vor Beginn der Veranstaltung wurden die Menschen kontrolliert, aufgefordert verschiedene Fahnen einzurollen und mit Strafverfahren bedroht. Die Polizei ging mit einer langen Liste von Symbolen der kurdischen Freiheitsbewegung durch die Veranstaltung und entschied danach, was verboten oder was nicht verboten sei. Dies führte zu solch skurrilen Situationen, dass auch die Nationalfahne Kameruns eingezogen werden sollte, weil diese ebenfalls Grün-Rot-Gelb ist. Nach einiger Zeit konnte die Demonstration starten und zog lautstark durch die Innenstadt. Begleitet von der Polizei, die die Menschen fast die ganze Zeit filmte. Einige Male mussten noch die Flaggen der Volksverteidigungseinheiten YPG eingerollt werden, die trotz alledem immer wieder gezeigt wurden.
Unter den Demonstrationsteilnehmenden befand sich auch ein Antifaschist, der die Antifa-Enternasyonal-Fahne bei sich trug. Er wurde vor und während der Demonstration nicht ein einziges Mal von der Polizei behelligt und auch nicht aufgefordert, die Fahne zu entfernen. Auffällig war, dass er während der Demo immer wieder von der Polizei gefilmt wurde. Sofort nach Beendigung der Veranstaltung traten mehrere Polizeibeamte auf ihn zu und eröffneten ihm, das gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, da er mit der Fahne gegen das Vereinsgesetz (PKK-Verbot) verstoßen habe. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wurde die Fahne beschlagnahmt. Hintergrund für die Maßnahme war ein mittlerweile eingestelltes Ermittlungsverfahren in ähnlicher Angelegenheit. Dabei ging es um das Zeigen des Antifa-Enternasyonal-Symbols auf der Internetseite der Antifaschistischen Aktion Lüneburg / Uelzen.
Das Ermittlungsverfahren und die spätere Anklage gegen den Fahnenträger wurden damit begründet, dass die Antifa-Enternasyonal-Fahne ein abgewandeltes Symbol der Arbeiterpartei #Kurdistan#s (PKK) bzw. der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) darstelle. Beide Organisationen sind in der BRD mit einem Betätigungsverbot belegt. Die inkriminierte Fahne zeigt auf grünem Grund ein Antifa-Logo mit der deutsch-türkischen Beschriftung »Antifa Enternasyonal«, welches durch gelbe Sonnenstrahlen eingefasst ist.
Die Fahne und das PKK-Verbot
Die Staatsanwaltschaft Lüneburg begründet ihren Alleingang in dieser Sache damit, dass die Antifa-Enternasyonal-Fahne in Farbe und Symbolik der Fahne der verbotenen KCK gleich bzw. ähnlich sei. Außerdem behauptet sie, dass mit der Fahne »offenkundig Solidarität zu der verbotenen kurdischen Vereinigung zum Ausdruck gebracht werden soll«. Entgegenwirken will die Staatsanwaltschaft damit der behaupteten »Gefahr einer Identifizierung mit dem Bedeutungsgehalt symbolträchtiger Kennzeichen, deren Verbreitung und Verwendung den Anschein erwecken könnte, verbotene Vereine könnten sich ungehindert in der Bundesrepublik betätigen«. Das Zeigen der Fahnen solle »unzweifelhaft zum Ausdruck bringen, dass das Anliegen der PKK und Teilorganisationen von Seiten der Antifa nicht nur unterstützt wird, sondern auch für die Ziele der PKK und ihrer Unterorganisationen geworben wird«. Für die Staatsanwaltschaft Lüneburg findet das Verwenden der Antifa-Enternasyonal-Fahne in dem Bewusstsein statt, »sich damit propagandistisch werbend für die in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte PKK zu äußern«. Das öffentliche Verwenden ist für sie eine »werbende Außenwirkung für die PKK« und deshalb strafbewehrt. Hier wird dann deutlich, dass es hier nicht nur um ein Stück Stoff mit einem schönen Aufdruck geht, sondern dass das Ganze in einem engen Zusammenhang mit dem Verbot der PKK steht und hier weiterhin alles verfolgt und verboten werden soll, was auch nur im Entferntesten in Verbindung mit der kurdischen Freiheitsbewegung stehen könnte. Gerade die Staatsanwaltschaft Lüneburg ist berüchtigt für ihren Verfolgungseifer gegen die Friedens- und Freiheitsbewegung.
Trotz Freispruch kein Ende des behördlichen Verfolgungswahns
Rund zwei Jahre nach der Beschlagnahme der Fahne fand dann am 29. Juni und 7. Juli 2020 die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Lüneburg statt. Der Prozess endete mit einem Freispruch. Der Richter sah in der Antifa-Enternasyonal-Fahne kein verbotenes Symbol, sondern ein Symbol der Antifa.
Nach dem Freispruch legte die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein, und deshalb musste der Anklagevorwurf am 18. November 2020 vor dem Landgericht Lüneburg verhandelt werden. Die Staatsanwaltschaft erhoffte sich damit eine Verurteilung in ihrem Sinne.
Dies geschah trotz des Freispruchs in der ersten Instanz und obwohl es mittlerweile einen anderen Freispruch durch das Landgericht Lüneburg gab. In einem Verfahren in Celle hatte das Landgericht Lüneburg schon am 7. September 2020 festgestellt, dass es sich bei der grünen Antifa-Fahne eben nicht um ein verbotenes Symbol handelt. Nachdem am 5. November 2019 in Celle eine grüne Antifa-Fahne beschlagnahmt wurde, lehnte das Amtsgericht Celle im August 2020 den Erlass eines Strafbefehls ab. Das Gericht sah keinen Tatbestand nach § 20 Vereinsgesetz. Dagegen legte die Lüneburger Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Das Amtsgericht Celle und das Landgericht machten in ihren Entscheidungen deutlich, dass die beschlagnahmte Fahne nicht dem in der BRD verbotenen Symbol der KCK zum Verwechseln ähnlich sieht. Obwohl es eine gewisse Ähnlichkeit gebe, stehe das Antifa-Symbol deutlich im Zentrum, so dass die Fahne von unbefangenen Betrachter*innen der Antifa-Bewegung zugeordnet werde.
Mit dieser Einsicht endete dann auch der Prozess gegen den Lüneburger Antifaschisten. Der Richter am Landgericht stellte unmissverständlich fest, dass das öffentliche Verwenden der beschlagnahmten Fahne nicht den Tatbestand eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz erfülle, weil es sich bei der Antifa-Enternasyonal-Fahne nicht um ein Kennzeichen handele, das einem Kennzeichen der verbotenen PKK oder KCK zum Verwechseln ähnlich siehe. Zum Verwechseln ähnlich mit einem verbotenen Kennzeichen sei ein Kennzeichen erst dann, wenn in wesentlichen Vergleichspunkten objektiv eine Übereinstimmung bestehe, so dass nach dem Gesamteindruck für eine*n durchschnittliche*n, unbefangene*n Betrachter*in eine Verwechselung möglich sei. Bei der Antifa-Enternasyonal-Fahne sei im Zentrum deutlich das Logo der Antifa Enternasyonal zu sehen. Das Antifa-Symbol sei im Vordergrund und zentral, und im Gegensatz zur Fahne der KCK, bei welcher ein roter Stern als zentrales Merkmal zu sehen ist, sei es eindeutig, dass es eine Antifa-Fahne sei. Zwar enthalte die kriminalisierte grüne Antifa-Fahne denselben grünen Hintergrund wie die Fahne der KCK und auch der Strahlenkranz der dort vorhandenen gelben Sonne sei in der Fahne noch zu erkennen, jedoch führten diese Merkmale nicht dazu, dass der Gesamteindruck der Fahne eine Verwechselung möglich mache.
Das Landgericht stellte in seiner Entscheidung klar, dass entscheidend sei, wie ein*e unbefangene*r Betrachter*in das Symbol wahrnimmt und dass durch die Gestaltung der Antifa-Enternasyonal-Fahne eben der Eindruck entstehe, dass es sich bei der Fahne um ein Symbol der Antifa-Bewegung handle. Entscheidend sei eben nicht, was die Staatsanwaltschaft oder ein einzelner Polizist in der Fahne sehen will.
Die Staatsanwaltschaft will sich jetzt immer noch nicht geschlagen geben und prüft, ob sie weitere Rechtsmittel einlegen wird. Ein Antrag auf Revision beim Oberlandesgericht Celle ist sehr wahrscheinlich. Je nachdem wie das OLG dann entscheidet, ist nicht ausgeschlossen, dass das ganze Verfahren von Neuem beginnt.
Repression auf vielen Ebenen
Seit März 2018 führt die Lüneburger Staatsanwaltschaft verschiedene Verfahren wegen des Antifa-Enternasyonal-Symbols. Ausgangspunkt war das Ermittlungsverfahren wegen der Verwendung des Symbols auf der Internetseite der Antifaschistischen Aktion Lüneburg / Uelzen. Obwohl dieses Verfahren eingestellt wurde, versuchte die Staatsanwaltschaft mittels einer Ordnungsverfügung den Betreiber der Seite zu zwingen, das Symbol dort zu entfernen. Im Zuge dieses Verfahrens wurde dann die Fahne auf der Demo am 24. März 2018 beschlagnahmt. Mittlerweile laufen mehrere neue Ermittlungsverfahren wegen des Antifa-Enternasyonal-Symbols gegen die Autoren dieses Artikels. Zum einen wegen mehrerer Beschlagnahmungen von insgesamt 18 Fahnen, zum anderen noch wegen der Verwendung des Symbols auf einer Internetseite, wegen einer angeblichen Aufforderung zu Straftaten und wegen eines Interviews im Kurdistan-Report Nummer 208 vom März/April 2020.
Auch wenn die Lüneburger Urteile eine deutliche Sprache sprechen, ist davon auszugehen, dass die Verfolgung der Antifa-Enternasyonal-Fahne in Lüneburg weitergeht und die Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit einem Beamten der örtlichen Staatsschutzabteilung der Polizei auch durch die beiden Entscheidungen nicht in ihrem notorischen Kriminalisierungswahn gestoppt wird. Sie will unbedingt einen Präzedenzfall schaffen und das internationalistische Antifa-Symbol verbieten lassen.
Eine Fahne als Zeichen der Solidarität
Sich gegen die Kriminalisierung der Antifa-Enternasyonal-Fahne zu stellen, ist nicht nur ein Zeichen der Solidarität mit dem Angeklagten und anderen Verfolgten, sondern auch ein Beitrag im Kampf für Freiheit und Frieden überall auf der Welt. Unsere Antwort auf die Verfolgung unserer Fahne sollte sein, sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu zeigen. Sie ist unser Symbol. Sie steht für eine antifaschistische Bewegung, die internationalistisch, feministisch, ökologisch, antikapitalistisch und solidarisch ist.
In diesem Sinne: Antifa Enternasyonal – Serfîrazkin!
Weitere Infos dazu: www.antifa-lg-ue.org.[1]