#Thomas Schmidinger#
Mangels eines Nationalstaates hat sich beim Kurdischen auch keine einheitliche Nationalsprache herausgebildet. Vielmehr handelt es sich um mehrere teilweise stark differierende Dialekte deren linguistische Zuordnung teilweise umstritten ist. Alle kurdischen Dialekte oder Sprachen gehören aber zum iranischen Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie und unterscheiden sich damit deutlich vom Arabischen oder Türkischen. Im Groben wird heute zwischen den Großdialekten #Zazaki# (Dimili), #Kurmancî#, #Soranî#, Hawrami/Gûranî und Südkurdisch (Feyli) unterschieden, wobei Kurmancî und Soranî eine näher verwandet Subgruppe bilden und manchmal auch noch Laki und Lori mit zum
Kurdischen gezählt werden.
Ob es sich bei den unterschiedlichen Sprachformen jeweils um Dialekte handelt oder teilweise auch um unterschiedliche Sprachen ist jedoch unter LinguistInnen umstritten und nicht nur eine wissenschaftliche, sondern in vielen Fällen auch eine politische Frage. Die sprachliche Situation wird noch zusätzlich komplizierter, da die unterschiedlichen kurdischen Dialekte mit unterschieldichen Alphabeten geschrieben werden. Während die iranischen, irakischen und syrischen Kurden eine dem Kurdischen angepasste Form der arabischen Schrift benutzen, verwenden die türkischen Kurden ein vom Lateinischen stammendes Alphabet. Die sowjetischen Kurden verwendeten hingegen ein kyrillisches Aphabet, das teilweise heute noch von den Kurden in Armenien, Georgien und Aserbaidschan verwendet wird. Im autonomen Teil Irakisch-Kurdistans hat sich seit 1991 zunehmend eine standardisierte Variante des Sorani in arabisch-kurdischem Alphabet durchgesetzt, die v.a. auf dem Dialekt von Sulemaniya basiert. Allerdings gibt es auch dort starke regionale Unterschiede, v.a. zwischen Bahdinani- (irakisches Kurmancî) und Sorani-sprachigen. Der Großteil der kurdischen Publikationen wird im Irak jedoch in Sorani herausgebracht, wobei erst in den letzten Jahren ein Prozess eingesetzt hat, auch wissenschaftliche Publikationen in Kurdisch zu veröffentlichen, was eine Entwicklung von einer Alltagssprache, die primär in den Familien gesprochen wurde, zu einer Literatur- und Wissenschaftssprache, befördert.
Trotzdem werden aber auch innerhalb der großen kurdischen Dialekte wiederum Subdialekte unterschieden, die je nach linguistischer Schule zu unterschiedlichen Gruppen zusammengefaßt werden. Jedenfalls haben auch Kurmaji-sprachige aus geographisch weit voneinander entfernt liegenden Gebieten oft Verständigungsschwierigkeiten. Zu den Dimili-Dialekten gehört auch die Kurdische Sprachinseln südlichöstlich des kaspischen Meeres im Nordosten des Iran. Das Gûranî wird noch immer als Literatur-, v.a. aber als religiöse Kultsprache der Kakai (Ahl al-Haqq) in der #Hawraman#-Region an der irakisch-iranischen Grenze zwischen Halabja und der iranischen Stadt Kermanshah verwendet. Die Zugehörigkeit des stark mit türkischen Begriffen vermischten Dialekts der Shabak - ebenfalls eine religiöse Sondergruppe in der Region - zum Kurdischen ist umstritten.
Eine Sonderform nimmt Lori (bzw. #Luri#) ein, dessen Sprachgebiet an das Gûranî (Südkurdische) anschließt und eine Übergangsform des Kurdischen zum Persischen darstellt. Es wird von vielen Linguisten als eigenständige Sprache definiert und besitzt eine größere Verwandtschaft mit dem Mittelpersischen Pahlavi als mit den anderen kurdischen Dialekten. Ähnliches gilt für den Dialekt der Laki, der wiederum als Übergangsform zwischen Lori und Südkurdisch gilt. Wie bei Dimili- und Gûranî-SprecherInnen ist jedoch auch bei Laki- und Lori-SprecherInnen die Frage Eigendefinition und damit der Zugehörigkeit zum Kurdischen eine primär politische und erst sekundär linguistische Frage.
Verbreitung der kurdischen Dialekte und Sprachen. Grün = Kurmancî, Gelb = Zazaki, Rot = Soranî, Blau = Gorani, Violett = gemischt An den beiden Karten, die beide dem Internetlexikon Wikipedia entnommen sind, ist deutlich erkennbar, dass es auch von der jeweils eigenen Sichtweise abhängt was nun Kurdisch ist und was nicht. Oben sind Zaza, Kurmancî, Soranî und Hawrami als kurdische Dialekte verzeichnet, nicht aber Lori, das von manchen Kurden - insbesondere aus dem Irak - auch als Kurdisch betrachtet wird. Auf der Karte zu den iranischen Sprachen werden Soranî und
Kurmancî (im Iraq: Badinani) als Kurdisch gerechnet, Zaza und Hawrami (Gorani) aber als eigene Sprachen, Lori sowieso. Rein Linguistisch ist letzteres durchaus korrekt. Die sprachliche Zuordnung ist gerade in Kurdistan aber ein Politikum, weshalb es auch Zazaki und Hawrami, ja sogar Lori-Sprachige gibt, die sich selbstverständlich als Kurden sehen und ihre Sprache als kurdischen Dialekt. Vor allem Lori-Sprachige aus dem Irak zählen sich selbst meist zu den Kurden, während sich unter den Lori-Sprachigen im Iran Großteils eine eigene Selbstidentifikation als Lori herausgebildet hat.
Insgesamt zeigt sich auch hier deutlich, dass die sprachliche Zugehörigkeit nicht unbedingt identisch mit einer Selbstidentifikation sein muss und letztere stark von politischen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst ist.
Thomas Schmidinger
Literatur:
Anonby, Erik John: Kurdish or Luri? Laki´s disputed identity in the Luristan province of Iran.
Kurdische Studien Nr. 4+5 (2004/2005)
Hassanpour, Amir: Nationalism and Language in Kurdistan. 1918 – 1985. San Francisco 1992
Hennerbichler, Ferdinand: Die Kurden. Moson Magyaróvár 2004
Izady, Mehrdad R.: The Kurds – a concise Handbook Harvard University. Washington 1992
Mann, Oskar: Kurdisch-Persische Forschungen (Abteilung III-IV). Berlin 1909-1910
Schmitt, Rüdiger: Die Iranischen Sprachen in Geschichte und Gegenwart. Wiesbaden 2000
Sheyholislami, Jaffer / Hassanpour, Amir / Skutnabb-Kangas, Tove (eds.:) The Kurdish
linguistic landscape: vitality, linguicide and resistance
Special edition of International Journal of the Sociology of Language 217 (2012)
Strohmeier, M. / Yalcin-Heckmann L.: Die Kurden. Geschichte, Politik, Kultur. München
2000
Lehrbücher, Grammatiken und Wörterbucher für Kurdisch:
Kurmancî (Nordkurdisch):
• Ludwig Paul: Kurdisch Wort für Wort. Reise Know-How Verlag, Bielefeld 2002.
• Usso Barnas / Johanna Salzer: Lehrbuch der Kurdischen Sprache. Wesanen Instituya
Kurdi, Berlin 1994.
• Emir Djeladet Bedir Khan, Roger Lescot: Kurdische Grammatik / Kurmançi-Dialekt.
Verlag f. Kultur u. Wissenschaft, Berlin, Bonn 1986.
• Feryad Fazil Omar: Kurdisch-Deutsches Wörterbuch = Ferhenga Kurdî-Elmanî,
Nordkurdisch – Kurmancî. Verlag für Wissenschaft und Bildung, Kurdische Studien,
Berin 1992.
• Khanna Omarkhali: Kurdish Reader. Modern Literature and Oral Texts in Kurmanji.
Harrassowitz, Wiesbaden 2011.
Soranî (Mittelkurdisch):
• Joyce Blau: Manuel de Kurde. Dialecte Sorani. Grammaire, textes de lecture,
vocabulaire kurde-français et français-kurde. Librairie de Kliensieck, Paris 1980.
• Jamal Jalal Abdullah, Ernest N. McCarus: Kurdish Basic Course. Dialect of
Sulaimania, Iraq. University of Michigan Press, Ann Arbour 1967.
• Feryad Fazil Omar: Kurdisch-Deutsches Wörterbuch (Sorani) Institut für kurdische
Studien, Berlin 2005.
• Nicolas Awde: Kurdish-Sorani. Dictionary and Phrasebook. Hippocrene Books, New
York 2009.
• Livingston T. Merchant: Introduction to Sorani Kurdish. The Principal Kurdish
Dialect spoken in the Regions of Northern Iraq and Western Iran. CreateSpace
Independent Publishing Platform (Amazon-Online-Selbstverlag) 2013.
Gûranî (Hawrami):
• Joyce Blau: Gurani et Zaza. in R. Schmitt (ed.) Compendium Linguarum Iranicarum.
Reichert Verlag, Wiesbaden 1989.
• Karl Hadank: Mundarten der Guran. Verlag der Preussischen Akademie der
Wissenschaften, Berlin 1930.
• D.N. Mackenzie. The Dialect of Awroman (Hawraman-i Luhon), Munksgaard,
Copenhagen 1966.
Dimili (Zazaki):
• Ludwig Paul: Zazaki. Grammatik und Versuch einer Dialektologie. Dr. Ludwig
Reichert Verlag, Wiesbaden 1998.
• Zülfp Zelcan: Grammatik der Zaza-Sprache. Nord-Dialekt (Dersim-Dialekt),
Wissenschaft und Technik Verlag, Berlin 1998.
• Oskar Mann / Karl Hadank: Mundarten der Zâzâ. Hauptsächlich aus Siwerek und
Kor, Verlag der Preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1932.
Lori (Lurisch):
• Oskar Mann: Die Mundarten der Lur-Stämme. Verlage der Preussischen Akademie
der Wissenschaften, Berlin 1910.[1]