Ali Ertan Toprak widerspricht dem Gastkommentar von Cigdem Toprak „Es gibt keinen Rassismus gegen Kurden“. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland schreibt von ethnischen Säuberungen und dem Versuch, seinem Volk die Identität zu stehlen.
„Es gibt keinen Rassismus gegen Kurden“, schrieb die Autorin Cigdem Toprak vor wenigen Tagen an dieser Stelle. Diese Aussage ist nichts anderes als das Whitewashing einer rassistischen, türkischen Gründungsideologie, die bis heute Staatsideologie ist und zugleich die innere Legitimation des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges durch Erdogan darstellt.
Die seit Jahrzehnten betriebene rassistische Hetze gegen Kurden, beginnend mit der Leugnung einer kurdischen Existenz überhaupt, ist der Kitt einer künstlich konstruierten, nationaltürkischen Identität. Atatürks Kemalisten erfanden sie zu Beginn der Republik, um einen Nationalstaat zu schaffen. Erdogan hat Atatürks türkischen Nationalismus mit den Ideen eines radikalen Islam gepaart.
Zynisch ist der Versuch Cigdem Topraks, ausgerechnet die türkische Armee als Schmelztiegel einer „pluralistischen“ Türkei zu inszenieren, weil dort Juden, Armenier, Aleviten und Kurden dienen würden. Ausgerechnet diese türkische Armee also, die seit über 100 Jahren genau jene Gruppen in der Türkei massakriert hat, wird von ihr als Beweis einer geeinten, toleranten Nation aufgezählt. Wie viele Juden, Armenier oder andere Christen existieren denn überhaupt noch in der Türkei?
Absurd ist die Behauptung, die übereifrig salutierende Nation befeuere nicht den Militarismus, sondern wünsche sich lediglich das Überleben der Soldaten. Vielmehr besteht mehr als Erklärungsbedarf, weshalb in türkischen Medien fast schon minütlich auf allen Kanälen die Todeszahlen der Kurden wie Dax-Zahlen in Börsennachrichten überschwänglich präsentiert werden.
Es findet eine ethnische Säuberung statt
Es ist perfide, wie Erdogan zu behaupten, dass keine ethnische Säuberung stattfinde, sondern es lediglich um die Bekämpfung eines terroristischen PKK-Ablegers gehe. Was wenn nicht eine ethnische Säuberung ist es, wenn Kurden und andere religiöse Minderheiten aus ihrer angestammten Heimat vertrieben werden, damit arabisch-sunnitische Flüchtlinge aus der Türkei dort angesiedelt werden können?
Wer dann noch den IS mit der PKK gleichsetzt und damit die syrisch-kurdischen Selbstverteidigungskräfte meint, verhöhnt nicht nur jene, die für die freie Welt ihr Leben geopfert haben, um die islamistischen Barbaren zu bekämpfen. Er wird nicht einmal der PKK gerecht. Eines Völkermordes hat sich die Kurdische Arbeiterpartei niemals schuldig gemacht.
Sie hat vielmehr einen Genozid an den Jesiden in Sindschar verhindert. Die PKK führt ihren Kampf gegen den türkischen Staat – nicht gegen die Zivilisation. Statt den IS mit der PKK gleichzusetzen, sollten besser die Verbindungen der Erdogan-Türkei mit der radikalislamischen Terrorgruppe dargelegt werden.
„Der türkische Nationalismus ist inklusiv“, schreibt Cigdem Toprak, „jeder, auch der Kurde, ist Türke.“ Genau das ist der staatliche, nationalrassistisch gerechtfertigte Versuch, dem kurdischen Volk seine Identität zu stehlen. Eine Glanzleistung in Euphemismus ist es, den Vorschlag des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu, Kurdischkurse an kommunalen Volksschulen anzubieten, ernsthaft als „kulturelle Rechte“ für ein Volk zu verkaufen, dessen Sprache und Kultur über fast 100 Jahre negiert, verboten und ausgetrieben wurden.
Reinwaschung des türkischen Rassismus
Cigdem Toprak ist sich nicht einmal zu schade, ausgerechnet das tragische Beispiel für den türkischen Rassismus par excellence zu bemühen, um ihre Reinwaschung eben dieses Rassismus zu begründen. Es geht dabei um den Künstler Ahmet Kaya, der mit Messern und Gabeln aus seiner Heimat gejagt wurde, weil er ein kurdisches Lied aufnehmen wollte. Vor Kummer starb er im Pariser Exil, dort ist er begraben. Er sei eine türkische Legende, fabuliert die Autorin, weil die Türken doch heute die Lieder dieses kurdischen Sängers hören würden.
Am Ende lässt Cigdem Toprak den letzten Schleier fallen: „Wir Demokraten“, so schreibt sie, sollten doch bitte mit Erdogan fair und verhältnismäßig umgehen. Und das in einem Moment, in dem Amnesty International ihm Kriegsverbrechen zur Last legt. Damit verabschiedet sich Cigdem Toprak selbst aus dem Kreis jenes „demokratischen Wir“.[1]