Israel und Kurdistan verbindet eine ungewöhnliche Freundschaft. Beide haben in der Region nicht unbedingt viele Freunde. Das lässt sie enger zusammenrücken…
Von Ralf Balke
Israel-Flaggen schwenken, statt welche zu verbrennen, das ist im gesamten Nahen und Mittleren Osten außerhalb des jüdischen Staates wohl ein eher seltener Anblick. Aber auf Kundengebungen in den kurdischen Regionen des Nordiraks lässt sich dieses Phänomen durchaus öfters beobachten – wie zuletzt im Herbst 2017, als Demonstranten in Erbil oder Sulaimaniyya begeistert kurdische und blau-weiße Fahnen mit dem Davidstern schwenkten. Auch auf so manchem Autokorso gehörten israelische Flaggen zum guten Ton. Der Grund: Am 25. September hatte das Referendum über die Unabhängigkeit Irakisch-Kurdistans stattgefunden. Bei einer Beteiligung von 70 Prozent der Einwohner stimmten satte 92 Prozent mit einem „Ja“. Während in der Autonomen Region Nordkurdistan Party-Stimmung herrschte, reagierte man in den meisten westlichen Hauptstädten auf den Ausgang des Referendums eher verhalten bis ablehnend. Allein Ministerpräsident Benjamin Netanyahu fand wohlwollende Worte und erklärte, dass Israel „die legitimen Anstrengungen des kurdischen Volks nach einem eigenständigen Staat unterstützt.“
„Wir haben keine Freunde außer den Bergen“, lautet eine kurdische Redensart, was die demonstrative Sympathie vieler Kurden für Israel erklärt. Doch freundliche Worte aus Jerusalem können auch zum Problem werden, wie die Antworten aus Bagdad, Teheran und Ankara auf das Referendum zeigten. Diese fielen erwartungsgemäß negativ aus und beinhalteten auch so manche Drohung für den Fall, dass die Kurden mit ihrem Vorhaben, einen eigenen Staat auszurufen, ernst machen sollten. Darüber hinaus überraschten sie durch ihren geradezu hysterischen Ton. Die Kurden würden die Türkei von zwei Seiten einkreisen und dann aufteilen, hiess es beispielsweise von dem Politikwissenschaftler Mustafa Sitki Bilgen, einem Berater der Regierung in Ankara. „Das Projekt Großisrael wird damit ins Leben gerufen.“ Wo genau die Logik hinter der Aussage steckte, vermochte er zwar nicht näher ausführen. Dafür erklärte Präsident Recep Tayyip Erdoğan, dass die Israel-Fahnen der Beweis seien, dass der Mossad hinter dem Referendum stehe. Und weil der einstige französische Außenminister Bernard Kouchner sowie der bekannte Intellektuelle Bernard-Henri Levy ebenfalls die Unabhängigkeit unterstützten, sei der Staat Kurdistan sowieso ein jüdisches Projekt.
Auch Iraks ehemaliger Ministerpräsident Nouri al-Maliki meldete sich zu Wort und schwadronierte davon, dass man „ein zweites Israel im Nordirak niemals tolerieren werde“. Und der schiitische Milizen-Chef Moqtada al-Sadr, Teherans Mann vor Ort, warnte: „Wir werden nicht einfach ruhig sitzen bleiben und eine israelische Intervention im Irak dulden.“ Masud Barzani, Präsident der Autonomen Region Nordkurdistan, wies all dieses Gerede von einem „zweiten Israel“ als „absolut lächerlich“ ab. Aber damit stieß er auf taube Ohren. Vor allem die türkischen Medien drehten mächtig auf. Seither macht immer wieder das Gerücht die Runde, dass Barzani und seine Gefolgsleute einige hunderttausend Juden im Nordirak „repatriieren“ würden. Da es in der Region an Anhängern von Verschwörungstheorien nicht gerade mangelt, halten sich derartige Gerüchte sehr hartnäckig.
Fakt aber ist, dass in den Gebieten, die von den Kurden beansprucht werden und die heute zur Türkei, Syrien sowie dem Irak und dem Iran gehören, tatsächlich einmal viele Juden lebten. Rund 200.000 sollen es gewesen sein. Pogrome wie der „Farhud“ 1941 in Bagdad oder die antisemitische Ausgrenzungspolitik der jeweiligen irakischen Regierung trieben sie jedoch alle in die Flucht. Gemeinden mit einer mehrere tausend Jahre alten Geschichte verschwanden von heute auf morgen. Kurden waren es, die nicht wenigen Juden geholfen hatten, das Land über die Berge in den damals noch sicheren Iran zu verlassen. Auch die Familie von Masud Barzani spielte eine wichtige Rolle als Fluchthelfer. Bis heute erinnern sich Israelis mit kurdischen Wurzeln an die Unterstützung, die sie dabei erfahren hatten. „Wir sind der Meinung, dass die Kurden in ähnlicher Weise wie die Juden gelitten haben. Und wir haben nicht vergessen, dass es die Kurden waren, die über 1.000 irakischen Juden die Flucht ermöglicht haben, als Juden im Irak verfolgt wurden“ so Ofra Bengio, Professorin für Geschichte am Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African Studies in Tel Aviv. „Man war immer gut zu uns, wir hatten gute nachbarschaftliche Beziehungen zu den kurdischen Muslimen und Christen“, erinnert sich gleichfalls Herzl Levy, Vorsitzender des Verbands kurdischer Juden in Israel. „Und wir haben die Kontakte und Freundschaften bis heute erhalten und haben sogar noch einige Familienmitglieder in den kurdischen Gebieten.“
Aber es gibt auch handfeste politische Interessen, die die Grundlage für die israelisch-kurdische Annäherung lieferten. Seit der Staatsgründung 1948 betrachtete Israel säkular regierte oder nichtarabische Staaten in der Region wie den Iran oder die Türkei als potenzielle Verbündete. Ähnliches galt für nichtmuslimische oder nichtarabische Minderheiten, allen voran die maronitischen Christen im Libanon oder die eben Kurden. Daraus entwickelte Staatsgründer David Ben Gurion in den 1950er Jahren die sogenannte „Peripherie-Doktrin“, die auch Äthiopien in Afrika miteinschloss und mehrere Jahrzehnte eine der Säulen der israelischen Außen- und Sicherheitspolitik darstellte. Die Idee dahinter: Durch die intensive Zusammenarbeit mit diesen Staaten wollte man ein Gegengewicht zur Arabischen Liga aufbauen. Das führte in der Vergangenheit aber nicht selten zu zahlreichen Komplikationen – schließlich konnte man schwerlich mit dem Iran des Schahs oder der Türkei militärisch kooperieren und gleichzeitig die Kurden unterstützen. Denn sowohl Teheran als auch Ankara unterdrückten gewaltsam alle ihre Bestrebungen nach Autonomie oder gar staatlichen Unabhängigkeit. Aber irgendwann wurde die „Peripherie-Doktrin“ obsolet. Erst starb 1975 Kaisers Haile Selassie und Äthiopien rutschte in die Einflusssphäre des Ostblocks, dann fegte 1979 die islamische Revolution das Schah-Regime hinweg und die Mullahs etablierten ihren israelfeindlichen Gottesstaat. Last but not least sorgte der neo-osmanische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dafür, dass nach der Jahrtausendwende auch die israelisch-türkischen Beziehungen sukzessive den Bach runtergingen.
All das machte das israelisch-kurdische Verhältnis nicht unbedingt einfacher. Zum Beispiel wurde die sogenannte Arbeiterpartei Kurdistans, besser bekannt als PKK, finanziell und militärisch von Syrien unterstützt. Trotzdem weigerte man sich in Jerusalem lange beharrlich, die PKK als terroristische Organisation zu bezeichnen. Das geschah erst 1997 während der ersten Amtszeit von Netanyahu als Ministerpräsident. Dieser erklärte plötzlich auch die Beendigung der syrischen Hilfen für die PKK zur Voraussetzung für die Aufnahme israelisch-syrischer Friedensgespräche. Damit wollte man der Türkei, damals einer der wichtigsten Verbündeten Israels, entgegenkommen. Infolge machte nach der Verhaftung von PKK-Chef Abdullah Öcalan im Jahr 1999 das Gerücht die Runde, Israel hätte maßgeblich einen Anteil daran gehabt, was wiederum PKK-Anhänger dazu veranlasste, in Berlin die israelische Botschaft anzugreifen – wenn auch ohne Erfolg.
Anders dagegen die Situation im Irak. Weil Bagdad schon immer zu den aggressivsten Feinden des jüdischen Staates gezählt hatte, unterhielt man von israelischer Seite aus bereits seit den 1960er Jahren enge Kontakte zu den Kurden, die im Nordirak die Bevölkerungsmehrheit stellen. Mustafa Barzani, Gründer der Demokratischen Partei Kurdistans und Vater des jetzigen Präsidenten der Autonomen Region Nordkurdistan, hatte zwischen 1968 und 1973 Israel mehrfach besucht. Umgekehrt kamen israelische Militärberater heimlich in den Norden des Reichs von Saddam Hussein und bildeten kurdische Kämpfer aus. Nach dem Sturz Saddam Husseins ging das alles einfacher, israelische Unternehmen sind seither an zahlreichen Infrastrukturprojekten beteiligt. Auch kauft Israel Erdöl aus dem Nordirak.
„Während die arabischen Nationalstaaten langsam zerfallen, müssen wir neue und vielleicht zukunftsträchtigere Verbündete suchen“, bringt Gideon Saar, Israel Ex-Innenminister die Motive für ein stärkeres Engagement zugunsten der Kurden auf den Punkt. „Man kann gerade sehen, wie sich der Iran an unseren Grenzen festsetzt. Deshalb ist es so extrem wichtig für uns, Partner zu finden.“ Und Verbandschef Herzl Levy ergänzt. „Wir sollten uns einfach nur bei den Kurden revanchieren und erkenntlich zeigen.“ Damit nicht länger nur die Berge ihre Freunde sind.[1]