Der kurdische Aktivist Mazhar Turan ist vor dem OLG Koblenz zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Rechtshilfefonds Azadî erklärt, das keine individuelle Straftat vorliegt und das Gericht nach politischen Vorgaben entschieden hat.
Nach sechs Monaten endete heute der §129b-Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Mazhar Turan („Ali“). Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz verurteilte ihn zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Das teilt Azadî, der Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland e.V., in einer aktuellen Erklärung mit.
Laut Azadî hat die Verteidigung hat von Beginn an diesem Verfahren eine politische Motivation unterstellt und auf Freispruch für ihren Mandanten plädiert. Mazhar Turan war im Juni 2019 festgenommen worden und befand sich seitdem in Untersuchungshaft.
Der Staatsschutzsenat sah es als erwiesen an, dass der 60-Jährige von Mai 2018 bis zu seiner Festnahme im Juni vergangenen Jahres als „hauptamtlicher Kader“ das „PKK-Gebiet“ Mainz geleitet habe und für das Organisieren von Spendenkampagnen, Kundgebungen und Veranstaltungen „mit PKK-Bezug“ verantwortlich gewesen sei. Die „Erkenntnisse“ in dem Verfahren beruhten hauptsächlich auf Observationsmaßnahmen, einer intensiven Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) sowie auf Durchsuchungen der Privatwohnung des Kurden und der Räume kurdischer Vereine in Rheinland-Pfalz.
Gericht: Angeklagter hat keine Gewalt angewendet
Der Angeklagte hatte die Vorwürfe gegen ihn abgestritten. Er habe sich sowohl in der Türkei als auch in Deutschland legal für die Belange der Kurdinnen und Kurden eingesetzt und sei als Mitglied verschiedener kurdischer Vereine politisch und kulturell aktiv gewesen. In diesem Rahmen habe er das demokratische Recht auf Demonstrationen und Proteste wahrgenommen.
Das Gericht berücksichtigte zu Gunsten des Angeklagten, dass er bei seinen Aktivitäten weder Gewalt eingesetzt noch Druck ausgeübt habe. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass er Anschläge geplant oder ausgeführt habe oder an solchen beteiligt gewesen sei.
„Entschieden wird nach politischen Vorgaben“
„Mithin konnte dem Kurden keine individuelle Straftat angelastet werden. Das macht das Absurde des §129b StGB deutlich: Menschen werden kriminalisiert, bestraft und inhaftiert, obgleich sie nichts „verbrochen“ haben. Bleibt also nur, dass diese Prozesse von politischen Interessen geleitet sind und von einer Unabhängigkeit der Gerichte nicht die Rede sein kann. Entschieden wird nach politischen Vorgaben. Ein Abweichen hiervon würde das Ende der Karriere von Staatsanwält*innen und Richter*innen besiegeln“, so Azadî.
Generalermächtigung des Bundesjustizministeriums
Grundlage auch dieses Verfahrens war die generelle Ermächtigung des Bundesjustizministeriums zur strafrechtlichen Verfolgung mutmaßlicher Kader der PKK vom 6. September 2011. Diese Ermächtigungen im Rahmen des §129b StGB, die auch für einzelne Personen erteilt werden können, müssen nicht begründet werden. Es gibt weder die Möglichkeit der Akteneinsicht noch sind sie rechtlich anzugreifen. Das heißt, nicht die Justiz entscheidet darüber, wer bestraft werden soll oder nicht, sondern die deutsche Regierung. Gegen diese Art Geheimhaltung haben Anwält*innen bereits Verfassungsbeschwerde erhoben, die allerdings abgewiesen worden ist.
Künzel: „In hohem Maße heuchlerisch“
Rechtsanwalt Markus Künzel hat es in einer Stellungnahme auf den Punkt gebracht. Es sei „in hohem Maße heuchlerisch“, wenn das NATO-Mitglied Türkei wegen seiner Aggressionspolitik öffentlich kritisiert werde, zeitgleich aber „dem türkischen Interesse an Kriminalisierung angeblicher Tätigkeit für die kurdische Arbeiterpartei PKK in der Weise Folge geleistet“ werde, „dass es mit einer Regierungsermächtigung den Strafverfolgungsbehörden ermöglicht“ werde, „ein Opfer der türkischen Menschenrechtsverletzungen allein für sein Engagement auch in Deutschland zu inhaftieren.“
Mazhar Turan war fast sieben Jahre in türkischer Haft. Unter den Folgen dort erlittener schwerer Folter leidet er bis heute.
Der Aspekt des Völkerrechts
Azadî e.V. stellt abschließend fest: „Würde in Deutschland der Konflikt zwischen der #PKK# und dem türkischen Staat unter dem Aspekt des Völkerrechts gesehen werden – wie der belgische Kassationshof in seiner Entscheidung von Ende Januar dieses Jahres –, wäre auch das Terrorismusstrafrecht nicht mehr anwendbar. Dann würde akzeptiert, dass es sich hier nicht etwa um Terrorismus handelt, sondern um einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt, der durch einen politischen Verhandlungsweg gelöst werden könnte. Die Politik der Bundesregierung(en) desavouiert jeden friedenspolitischen Ansatz und bestärkt das türkische Regime in seinem aggressiven Vorgehen gegen Kurd*innen und andere Oppositionelle.“[1]