Der türkische Staat setzt einen umfassenden Plan zur Assimilation und Zerstörung der nordkurdischen Provinz #Bedlîs# weiter um. Wälder werden verbrannt, Menschen inhaftiert und vertrieben.
Die Wurzeln von Bedlîs (tr. Bitlis) reichen zurück bis ins Neolithikum. Besiedelt von Urartäern und Medern stand die Stadt immer im Fokus der sich wandelnden Geschichte. Der Name Bedlîs soll von einem Kommandanten Alexanders von Makedonien (sog. der Große) stammen. Alexander hatte in der Stadt eine Festung errichten lassen. Immer wieder im Brennpunkt verschiedener Konflikte, war die kurdisch-armenische Provinz im Osmanischen Reich lange Zeit autonom. Aufgrund ihrer selbstbewussten Struktur stand die Region mit ihren teilweise über 4.000 Meter hohen Bergen seit Gründung der Republik Türkei im Zentrum der Assimilations- und Vernichtungspolitik, da sie dem monistischen Selbstverständnis des türkischen Staates, von „einer Sprache, einer Religion und einer Fahne“ bereits strukturell widersprach. Im Rahmen des euphemistisch als „Reformplan für den Osten“ (Şark Islahat Planı) bezeichneten Vorhabens, die Region zu türkisieren, wurden im Jahr 1925 Tausende Menschen in Bedlîs ermordet und noch viele mehr ins Exil getrieben. Anschließend wurden in den Landkreisen Xelat (Ahlat), Elcewaz (Adilcevaz), Tetwan (Tatvan) sowie in der Stadt Bedlîs turksprachige Menschen aus Zentralasien angesiedelt. Dennoch hielt sich in der Stadt eine kurdische Mehrheit. Mit Beginn des Freiheitskampfes stand die Region daher im Fokus der Repression. In den 1990er Jahren wurden dort Dutzende Dörfer und Weiler von der türkischen Armee dem Erdboden gleichgemacht, Hunderte Menschen ermordet und wieder Tausende vertrieben. Aber auch das änderte wenig an der kurdischen Identität der Region. So dauern die Pläne, die Region zu türkisieren und ihre kurdische Identität zu zerstören, weiter an.
Zerstörung unter dem Deckmantel der Modernisierung
Im Jahr 2021 wurden im Zentrum von Bedlîs unter dem Namen „Stadtmodernisierung“ Hunderte von Handwerksbetrieben abgerissen. Es wurden Jahrtausende alte historische Stätten unter dem Vorwand der Restaurierung zerstört. Während so das Stadtzentrum von Bedlîs de facto vernichtet wurde, begannen im Juli und August 2023 Wellen von Angriffen auf Dörfer und Weiler in den Kreisen Xîzan (Hizan) und Tetwan. Die Orte und ihre Umgebung wurden tagelang bombardiert, die Natur wurde schwer geschädigt, Weinberge und Gärten wurden zerstört, Geschäfte und Häuser demoliert und die Menschen zur Flucht gezwungen.
Am 2. Juni wurde in etlichen Dörfern und Weilern im Bezirk Xîzan eine Ausgangssperre verhängt. Unter den Ortschaften befanden sich Harat (Bilgili), Akunus (Yaylacık), Govan (Sarıbal), Lanîlan, Xalepûr (Yolbilen), Kekulan (Çalışkanlar), Sureh (Gedik), Pertavan (Akyazı), Kûran (Erencik) und Ureh (Otluk). Nach Verhängung der Ausgangssperre wurden am Morgen des 3. Juni zahlreiche Häuser im Dorf Xalepûr vom Militär gestürmt. Viele Dorfbewohner:innen wurden bei den Razzien festgenommen.
Umweltzerstörungen
Am vierten Tag der Ausgangssperre waren Tausende von Menschen in zehn Dörfern im Landkreis Xîzan in ihren Häusern eingeschlossen, die Ernte verdarb auf dem Feld, weil sie nicht eingeholt werden durfte, und die Tiere konnten tagelang nicht gefüttert werden. Die Umgebung der Dörfer Hûzeran, Akûnis, Govan, Lanîlan, Xalepûr, Kekulan, Sûreh, Pertawan, Kuran und Mezra Pisyan, in denen die Ausgangssperre verhängt worden war, stand unter pausenlosem Beschuss. Es wurde nicht einmal erlaubt, dass Kranke das Krankenhaus aufsuchen. Große Baumaschinen wurden in die Weinberge und Gärten der Dorfbewohner:innen gebracht, um Straßen für das Militär zu bauen, Tausende Hektar an Gärten und Feldern wurden tagelang von Hubschraubern und Haubitzen beschossen und zerstört.
Am 15. Juli wurden dort weite Gebiete zur „Sondersicherheitszone“ erklärt und zwischen dem 14. Juli und dem 28. Juli 2023 bombardiert. Dorfbewohner:innen, die zu ihren Feldern gehen wollten, um ihr Land zu bewässern, wurden von türkischen Soldaten festgenommen. Der Bevölkerung wurde es verboten, auf ihre Felder zu gehen. Drohnen und Hubschrauber beschossen weiterhin die Dörfer und ihre Umgebung. Bei diesen Angriffen wurden große Waldflächen vernichtet.
Neue Militärbasen werden gebaut
Ziel der Militäroperationen ist es, die Wälder, Weinberge und Gärten im Tal zu zerstören und die gesamte Region zu einem militärischen Sperrgebiet zu machen. Viele der Dörfer und Wälder, die beschossen oder zerstört wurden, waren bereits in den 1990er Jahren vom Militär niedergebrannt worden. Die Menschen waren später zurückgekehrt und hatten sich ein neues Leben aufgebaut. Nun sollen die Menschen offensichtlich erneut vertrieben werden.
Die türkische Armee hat mit dem Ziel, eine Straße zu errichten, Haselnussbäume im Dorf Xalepûr mit Baggern herausgerissen. Nachdem die Umgebung von Xalepûr und Kekulan tagelang aus der Luft und vom Boden aus angegriffen worden war, wurden überall in den Dörfern und ihrer Umgebung Überwachungskameras und Fotofallen aufgestellt.
Misshandlung von Dorfbewohner:innen
Nach Gefechten, die am Morgen des 10. August in der Nähe des Dorfes Peyindas (Söğütlü) im Kreis Tetwan ausgebrochen waren, startete die türkische Armee am nächsten Tag eine Operation gegen das Dorf und nahm acht Dorfbewohner fest. Mustafa Tedbirli, Kerem Avras und Garip Ipek wurden unter Misshandlungen festgenommen und anschließend inhaftiert.
Menschen werden aus dem Stadtzentrum von Bedlîs vertrieben
Während dieser Ereignisse in Tetwan und Xîzan wurde die Zerstörung der Stadt Bedlîs vorangetrieben. Unter dem Vorwand der „städtischen Umgestaltung“ wurden Hunderte von Ladengeschäften zerstört. In fünf Stadtvierteln von Bedlîs wurden rund 700 Häuser und Arbeitsplätze abgerissen. Anstelle der Häuser und Läden errichtet der türkische Staat einen Park für „die Nation“.
Nach Berichten der Vereinten Nationen (UN) wurden zwischen 2015 und 2017 mindestens 500.000 Menschen aus Kurdistan gewaltsam vertrieben.[1]