Jan Vahlenkamp
In Irakisch-Kurdistan haben die Demokratische Partei Kurdistans (#KDP# ) und die Patriotische Union Kurdistans (#PUK# ) seit der Bildung der Regionalregierung Kurdistans (KRG) 1992 einen politischen Status quo geschaffen, der Ernüchterung ausgelöst und die Bevölkerung mit nur geringer Hoffnung auf wirtschaftliche und politische Reformen zurückgelassen hat.
In einem Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung vom Mai dieses Jahres machte der Politikwissenschaftler Mera Jasm Bakr auf die Probleme aufmerksam, die das Duopol der zwei herrschenden Parteien in der Autonomen Region Kurdistan verursacht.
Nach dem Sturz des Baath-Regimes 2003 hatte die Region zunächst eine beträchtliche wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung durchgemacht, im Gegensatz zu den von Wirtschafts- und Sicherheitskrisen geplagten zentralen und südlichen Provinzen des Iraks. Deshalb war es für viele überraschend, dass auffallend viele Bürger der Autonomen Region Kurdistan unter den Migranten waren, die im Herbst vergangenen Jahres auf den belarussischen Diktator Alexsander Lukaschenko hereinfielen und verzweifelt versuchten, über Belarus in die EU einzureisen.
Bakr erklärt dies damit, dass die Duopolherrschaft der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) seit der Bildung der Regionalregierung Kurdistans (KRG) im Jahr 1992 einen politischen Status quo schuf, der mittlerweile weit verbreitete Ernüchterung ausgelöst und die Bürger mit wenig bis gar keiner Hoffnung auf wirtschaftliche und politische Reformen zurückgelassen hat.
Die KDP gilt hierbei als Partei des Barzani-Clans und hat die Oberhoheit über die Gouvernements Erbil und Dohuk, die PUK hingegen wird vom Talabani-Clan geleitet und kontrolliert die Gouvernements Sulaimaniyya und Halabdscha.
Das Patronage-System der KRG hat zwei unterschiedliche soziale Klassen geschaffen: die Privilegierten, die von der Partei profitieren (Verwaltungsbeamte, Politiker und deren Mitarbeiter und Kader) und diejenigen, die dies nicht tun. Die Vermögenskluft zwischen der Elite und der Masse hat sich in den letzten Jahren stark vergrößert und so betrachten viele Kurden die Migration als die einzige verbleibende Chance.
Bakr macht das Fehlen einer nachhaltigen Wirtschaft als Nebenprodukt der Ausweitung des Klientelismus aus, der wiederum von Zahlungen der irakischen Bundesregierung abhängig ist. Die daraus resultierende Wirtschaftsstruktur konnte mit dem schnellen Wachstum der Bevölkerungsgruppe der unter 30-Jährigen nicht Schritt halten.
Kritik unerwünscht
In den letzten Jahren ist außerdem der Preis für Widerstandsmaßnahmen wie Kritik, Protest und politische Beteiligung gestiegen, da die KRG mit repressiven Maßnahmen wie Massenverhaftungen und Strafverfolgung reagiert.
So wird als Migrationsmotiv unter anderem auch die Angst vor politischer Verfolgung genannt. Menschen werden wegen Facebook-Postings oder der Teilnahme an Demonstrationen inhaftiert, während die Angst vor der Ausspähung durch Agenten des Inlandsgeheimdienstes Asayîş allgegenwärtig ist. An die Stelle der Hoffnung auf Reformen durch Wahlen und ziviles Engagement ist so bei vielen eine Desillusionierung und eine Verachtung des Systems als Ganzes getreten.
Bakr empfiehlt als Gegenmaßnahmen eine Expansion des Privatsektors, der die Jugend beschäftigen kann und die Peripherie erreicht. Gleichzeitig müsse die politische Verfolgung beendet werden und ein Gesellschaftsvertrag zwischen Elite und Bevölkerung wiederhergestellt werden. Internationale Akteure und die EU sollten hierfür Druck auf die Parteien KDP und PUK ausüben.
Repression und Rezession in Irakisch-Kurdistan
Massoud Abdul Khaliq (Quelle: Jan Vahlenkamp)
Massoud Abdul Khaliq hat viel zum Thema Repression in der Autonomen Region zu sagen. Er ist der Vorsitzende des oppositionellen Medien- und Forschungsinstituts Standard Kurd in Erbil. Schon zu Saddams Zeiten war er Oppositioneller, nun steht er in Opposition zur kurdischen Regionalregierung. Zwar ist er der Ansicht, dass die Lage in Kurdistan besser ist als im Zentral-Irak, es sei aber noch viel Luft nach oben.
Die Anwälte seiner Organisation vertreten derzeit 71 Personen, die in Haft sitzen, etwa, weil sie einen kritischen Beitrag im Internet geschrieben oder auf Korruption aufmerksam gemacht haben. Als Begründung werde stets die »Gefährdung der nationalen Sicherheit« angegeben, sagt Khaliq. Auch Instant-Messaging-Gruppen würden gehackt, um Menschen festnehmen zu können.
Khaliq erinnert auch an einen Fall aus dem vergangenen Jahr, bei dem Aktivisten und Journalisten wegen angeblicher Spionage verhaftet wurden. Als Begründung wurde u. a. angegeben, dass sie sich mit Vertretern des deutschen und amerikanischen Konsulats getroffen hatten. Bei dem Treffen war es um die Gründe für die niedrige Wahlbeteiligung gegangen.
Khaliq erinnert auch daran, dass Proteste gegen die türkischen Militäroffensiven schnell als Unterstützung der kurdischen Arbeiterpartei PKK gewertet werden und ebenfalls zu Haftstrafen führen können.
Der Standard-Kurd-Vorsitzende sieht all dies als Einschüchterung der Opposition an, während das Rechtssystem durch die zwei herrschenden Parteien gelenkt werde. Trotz Verbots käme es dabei auch gelegentlich zu Folter. Khaliq bemängelt auch, dass Kurdistan keine Verfassung hat und Staatspräsident Barzani ein Clan-Chef ist. Die Mentalität des Baathismus sei immer noch allgegenwärtig.
Streit um Erdöl
Barzanis Partei KDP war indes im irakischen Parlament zuletzt eine Koalition mit der Partei von Parlamentssprecher Mohammed al-Halbousi und der Bewegung der schiitischen Predigers Muktada al-Sadr eingegangen. Diese Koalition zerbrach jedoch kürzlich, unter anderem, weil al-Sadr sich im Streit über die Einnahmen aus den Öl- und Gasverkäufen der Region nicht an die Seite der kurdischen Regionalregierung stellen wollte.
Hintergrund ist, dass im Februar diesen Jahres der Oberste Bundesgerichtshof des Iraks ein Öl- und Gasgesetz aufgehoben hatte, das es der Autonomen Region Kurdistan seit 2007 ermöglicht hatte, ihr Öl und Gas unabhängig von Bagdad zu verkaufen.
Nach dem Zusammenbruch der Koalition kam es zu einem Massenrücktritt von Abgeordneten von al-Sadrs Partei. Es bleibt unklar, wie sich die politische Situation weiterentwickeln wird, aber der Hauptnutznießer des Rückzugs der sadristischen Abgeordneten dürfte eine vom Iran unterstützte Koalition sein, da nach irakischem Recht Abgeordnete, die zurücktreten, durch den unterlegenen Kandidaten mit den meisten Stimmen in ihrem Wahlkreis ersetzt werden.
Der irakische Ölminister Ihsan Abdul Jabbar Ismail kündigte unterdessen an, der Irak werde das Urteil seines Bundesgerichts vom Februar durchsetzen, während die kurdische Autonomieregierung das Urteil weiterhin zurückweist.
Auch diese Entwicklung wird sicherlich nicht zu einem Mehr an Stabilität in Kurdistan führen. Eingekeilt zwischen den imperialistischen Interessen der Nachbarländer Iran und Türkei einerseits und dem irakischen Zentralstaat andererseits, der sich einer weitergehenden Autonomie Kurdistans entgegenstellt, bleibt die politische Lage angespannt. Für Hoffnung auf eine bessere wirtschaftliche Entwicklung und eine Stärkung der sozialen Gerechtigkeit bleibt hier wenig Spielraum. Es werden wohl auch weiterhin viele Kurden ihr Glück in der Migration suchen.[1]