Künstler:innen wehren sich mit der Gründung der Initiative „Kunst für die Freiheit“ gegen die kulturelle Auslöschung und Disziplinierung durch das AKP/MHP-Regime. Eine der Gründerinnen sagt, es gehe darum, das Klima der Angst zu durchbrechen
Künstler:innen in der Türkei wehren sich mit der Gründung der Initiative „Kunst für die Freiheit“ gegen die kulturelle Auslöschung und die Disziplinierung von Kunst durch das AKP/MHP-Regime. Eine der Gründerinnen sagt, es gehe darum, das Klima der Angst zu durchbrechen.
Vor wenigen Tagen wurde in Amed (tr. Diyarbakir) die Gründung der Initiative „Kunst für die Freiheit“ bekannt gegeben. Viele Künstler:innen aus Kurdistan und der Türkei haben sich der Initiative angeschlossen. Eine der Gründerinnen ist Lisa Çalan. Im Gespräch mit ANF erklärte sie, dass die Verbotspolitik gegenüber Kunst durch das Regime in Ankara jeden Tag dramatischer werde. Sie beschrieb das Ziel ihrer Initiative mit den Worten: „Die Hauptlinie dieser Initiative besteht darin, allen sozialen Problemen eine Stimme zu geben und einen Raum zu schaffen, in dem Künstler:innen zu Wort kommen können.“
Çalan weiter: „Vor einigen Monaten haben wir die Erklärung ‚Werde eine Stimme des Friedens‘ veröffentlicht. Im Nachgang wurde diese Erklärung von fast 700 Künstler:innen unterschrieben. Diese Unterschriften haben uns als Künstler:innen motiviert. Die Tatsache, dass Kunstschaffende, die lange Zeit still und in sich gekehrt waren, mit ihrer Unterschrift ein Zeichen setzten und sich selbst wieder Gehör verschafften, weckte in uns die Idee der Gründung einer Initiative. Danach kamen wir zusammen und führten eine Bestandsaufnahme durch. Wir beschlossen gemeinsam mit Künstler:innen, die sich für die Kunst einsetzen, mit ihrer Produktion die Gesellschaft verändern und umgestalten wollen und die ein soziales Gewissen haben, einen Schritt weiterzugehen.“
„Das Regime sieht die Kraft der Kunst und will sie vernichten“
Lisa Çalan unterstrich, dass von Demokratie in Bezug auf die Türkei keine Rede sein könne, und fuhr fort: „Es herrscht ein antidemokratisches Umfeld, die Menschen sind eingeschüchtert und leben in Angst. Als Künstler:innen wollten wir gemeinsam handeln, um diesen Rahmen zu sprengen, und wir haben die ‚Initiative Kunst für Freiheit‘ gegründet. Kunst kann nur in einem freien Umfeld stattfinden. Deshalb war uns dieser Name sehr wichtig. Fast unser ganzes Leben wird von der Isolation durchdrungen. Filme werden zensiert, oder die Filmschaffenden zensieren sich selbst während der Produktion; es wird immer schwieriger, Bücher zu publizieren. Das ist Kriegspolitik. Sie hat uns bereits isoliert, und die Kunst hat sich zu einem unfreien Produktionsfeld gewandelt. Das Hauptanliegen dieser Initiative ist es, allen sozialen Problemen eine Stimme zu verleihen. Es soll ein Raum geschaffen werden, in dem sich Künstler:innen gegen diese Kriegs- und Einschüchterungspolitik aussprechen können. Es ist sehr wichtig für uns, unsere Stimme gegen die vielen Rechtsverletzungen zu erheben. Nicht nur in Kurdistan, sondern in der gesamten türkischen Gesellschaft hat sich in den letzten zehn Jahren ein Zustand der Isolation eingestellt. Das gilt insbesondere für die Kunst. Denn die Systeme und Regierungen kennen die Kraft der Kunst sehr genau und haben versucht, sie von Anfang an zu zerstören. Sie haben Künstler:innen ständig diszipliniert. Heute befinden sich viele Künstler:innen im Gefängnis. Die Politik einer Regierung, die die Kunst für so gefährlich hält, kann nur durch die Stimme der Künstler:innen beendet werden.“
„Unsere Stimme gegen den kulturellen Genozid“
Lisa Çalan sprach von Einschränkungen gegen die Kunst auf der ganzen Welt. Die Situation sei aber insbesondere in der Türkei schlimmer geworden. Sie schloss: „Der Gesellschaft soll das Gedächtnis geraubt werden. Aktionsformen werden an die Struktur der virtuellen Medien angepasst. Eine Aktion findet statt und verschwindet so innerhalb eines Tages. Es ist notwendig, das Gedächtnis am Leben zu erhalten. Seit zehn Jahren gibt es ein Regime, das alle Teile der Gesellschaft durchdrungen hat. Es herrscht ein Regime, das uns nicht einmal atmen, geschweige denn die Stimme erheben lässt. Früher gab es in der Türkei und in Kurdistan, wenn auch nur partiell, so doch ein Produktionsnetzwerk. Aber leider kann heute davon keine Rede mehr sein. Das Regime hat immer versucht, die Kunst und die Künstler:innen zu disziplinieren. Dagegen wehren wir uns. Wir werden unsere Stimme erheben, egal was passiert. Es ist notwendig, das Gewissen der Gesellschaft zu sein. Wir wollen alle Themen berühren, die wir für wichtig halten. Leider gibt es in der Türkei einen kulturellen Genozid. Wir werden unsere Arbeit fortsetzen, um ihn zu verhindern.“[1]