Der staatliche Umgang mit der kurdischen Sprache und Kultur in der Türkei hat mehrere Gründe, sagt der DEM-Vorsitzende Tuncer Bakirhan. Der kurdische Govend vermittelt ein Gemeinschaftsgefühl und ist Ausdruck sozialer Lebendigkeit.
Obwohl die kurdische Identität, Sprache und Kultur in der Türkei schon seit Jahren unterdrückt wird, wurde kürzlich eine neue Kampagne gestartet. Kurdische Verkehrshinweise werden auf Anordnung des Innenministeriums entfernt. Hochzeiten werden von der Polizei gestürmt und Menschen, die kurdische Lieder singen und tanzen, werden verhaftet und misshandelt. In den 1990er Jahren wurden sogar Verkehrsampeln ausgetauscht, weil sie gelb, rot und grün waren.
Der kurdische Politiker Tuncer Bakirhan, Ko-Vorsitzender der DEM-Partei, bewertet diese Vorfälle als Ausdruck der Hilflosigkeit des türkischen Regimes. Die Situation sei zunächst einmal sehr tragisch, erklärte Bakirhan gegenüber YÖP. Wenn der Staat sich mit Verkehrshinweisen auf der Straße abmühe und wegen eines Liedes eine Hexenjagd betreibe, zeige das „vor allem eine Mentalität, die unfähig ist. In den 1990er Jahren ist der gesamte Apparat des tiefen Staates mit offener Gewalt gegen die kurdische Kultur und Sprache vorgegangen. Und was ist passiert, haben die Menschen aufgegeben? Nein, im Gegenteil, sie haben Tag für Tag große Fortschritte gemacht. Werden die Menschen also heute alles aufgeben, ihren Govend, ihre Sprache, ihre Lieder, die Werte, die sie unter großem Aufwand erworben haben? Offensichtlich hofft der Staat darauf, deshalb greift er an. Aber das ist ein großer Irrtum“.
„Eine bewusst gestellte Falle“
Der staatliche Umgang mit der kurdischen Sprache und Kultur in der Türkei habe mehrere ideologische Gründe, sagte der DEM-Vorsitzende: „Erstens will der Staat die Kurdinnen und Kurden in jeder Hinsicht zurückdrängen. Zweitens will er verhindern, dass sie im gesellschaftlich-politischen Bereich als handelnde Subjekte wahrgenommen werden und durch Bündnisse wachsen. Deshalb will er sie auf ihre eigene enge Agenda beschränken, auf einen Geisteszustand, der sich nur mit sich selbst beschäftigt und darin gefangen ist. Was hier gemacht wird, geschieht sehr bewusst und ist eine Falle. Drittens soll damit die Botschaft vermittelt werden, dass der Staat die Politik der kulturellen Vernichtung nicht aufgeben wird. Viertens konsolidiert er mit seinem Vorgehen eine gewisse Masse, die mit den sich in der Welt, insbesondere in Europa, entwickelnden rechten und faschistischen Tendenzen übereinstimmt. Durch die Mobilisierung nationalistischer Gefühle werden die Grenzen, Normen und Werte anderer verächtlich gemacht. Und letztendlich stehen diese Verbote in engem Zusammenhang mit dem Krieg gegen Başur und Rojava [Südkurdistan/Nordirak und Westkurdistan/Nordsyrien] und der Absicht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Die gesellschaftliche Basis wird auf die Probe gestellt.“
Tanzen als ideologische Handlung
Durch die Kriminalisierung der Melodien, Klagelieder, Epen, Farben, Slogans und Zeichen, die die kurdische Gesellschaft ausmachen, wird Tanzen zu einer ideologischen Handlung. Der Staat greift vor allem die in den letzten vierzig Jahren entstandene kurdische Gesellschaftsstruktur an. Liegt das an der transformativen Kraft dieser neuen Gesellschaftsstruktur? Was wird gefürchtet?
Bakirhan sagt, die größte Angst dieses Systems sei Gemeinschaftlichkeit. Der kurdische Govend vermittele ein Gemeinschaftsgefühl und ist Ausdruck sozialer Lebendigkeit. Aus demselben Grund habe die Regierung auch Angst vor den alevitischen Cem-Ritualen. „Govend und Lieder sind für die Kurdinnen und Kurden nicht nur traditionelle Ausdrucksformen, sondern haben auch eine starke politische Dimension. Tanz und Gesang sind wichtige Pfeiler der kurdischen Revolution, wie in allen unterdrückten Nationen. Seit Jahren drücken Menschen in Afrika mit ihren Tänzen Wut gegen rassistische Diskriminierung und das weiße Regime aus. Auch für Kurden wurde Tanzen zu einem Mittel, um sowohl Freude als auch Wut in die Öffentlichkeit zu tragen. Die kurdischen Tänze und Lieder sind durch politische Kämpfe geprägt. Der Govend inspiriert zu individuellem und kollektivem Aktivismus. Er hat eine transformative Funktion, weil er ein Gemeinschaftsgefühl entstehen lässt. Er hat das kurdische gesellschaftliche Selbst gestärkt. Natürlich gibt es auch andere aktuelle Gründe für den jüngsten Angriff der Regierung. Aber historisch gesehen gab es schon immer eine Mentalität, die die Umwandlung von Sprache und Kultur in einen Ort des Widerstands fürchtet.[1]