Nach der Entdeckung der Leiche der ermordeten achtjährigen Narin Güran gingen in der nordkurdischen Metropole Amed Tausende Menschen auf die Straße und wiesen auf den Zusammenhang zwischen der Politik des türkischen Regimes und dem Mord her.
Am Sonntag hatten die Frauenbewegung TJA und die Parteien DBP und DEM zu einer Demonstration wegen der Ermordung der achtjährigen Narin Güran aufgerufen. Narin aus Çulî im Bezirk Rezan (tr. Bağlar) in Amed (Diyarbakir) war seit dem 21. August vermisst gemeldet. Ihre Leiche wurde 19 Tage später in einem Sack in einem Bach gefunden. Laut Gouverneur Murat Zorluoğlu, der nach dem Leichenfund am Sonntag eine Pressekonferenz einberief, starb das Kind durch Gewaltanwendung – ermittelt wird wegen eines Tötungsdelikts. Es wurden mehrere Mitglieder ihrer Familie festgenommen. In dem Verfahren wurde eine Geheimhaltungsverfügung verhängt.
An der Demonstration nahmen die DBP-Vorsitzenden Keskin Bayındır und Çiğdem Kılıçgün Uçar, der Ko-Vorsitzende des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK), Cengiz Çiçek, viele Abgeordnete, Ko-Bürgermeister:innen und Funktionsträger:innen der DEM-Partei, Fans des Fußballvereins Amedspor und Tausende weitere Menschen teil.
Die Menschen versammelten sich im Stadtteil Ofis im Bezirk Bajarê Nû (Yenişehir) zusammen mit dem Vorstand der Kinderrechtskommission von Amed, Vertreter:innen des Netzwerks zum Kampf gegen Gewalt und der Frauenplattform Dicle-Amed. Die Aktivist:innen appellierten an den Staat: „Schützt, klärt auf, verurteilt. Wir verlangen Rechenschaft.“
Die Demonstration war von massiven Polizeiprovokationen begleitet. Die Polizei versuchte bereits am Anfang, das Loslaufen zu verhindern. Vor der Polizeiabsperrung skandierten die Menschen immer wieder Parolen wie „Behindert nicht das Volk, sondern die Mörder“, „Narin ist ein Kind unseres Volkes“ und „Die Morde an unseren Kindern sind politisch“. Es wurden Transparente mit der Aufschrift „Gerechtigkeit für Narin“ und Bilder der Achtjährigen getragen.
Polizeiangriff auf Demonstration
Türkische Bereitschaftspolizist:innen blockierten die Demonstration und entrissen den Menschen Transparente mit den Fotos von Narin. Die Menschen riefen immer wieder „Narin zarok e kujerê wê dewlet e“ (Narin ist ein Kind, ihr Mörder ist der Staat)“ und „Mörder Hizbullah, Kollaborateur AKP“. Die Polizei erhielt massive Buhrufe, als sie angesichts dieser Parolen die Protestierenden aufgeforderte, „Beleidigungen des Staates“ zu unterlassen.
Als die Aktivist:innen die Polizeisperre überwanden, zerrissen die türkischen Polizist:innen das Fronttransparent mit dem Bild von Narin und griffen mit Pfefferspray an. Der Polizeiangriff wurde mit Buhrufen quittiert. Die Menschen stürmten mit dem zerrissenen Foto von Narin die Polizeiabsperrung und durchbrachen diese. Sie zogen von dort aus unter lauten Parolen zum Koşuyolu Park.
Vor dem Menschenrechtsdenkmal im Koşuyolu fand eine Kundgebung statt. Suzan Işbilen vom Frauenverein Rosa erklärte: „Während wir tagelang auf die Nachricht gewartet haben, dass die kleine Narin noch lebt, haben wir nun die Information erhalten, dass sie tot ist. Deshalb sind wir alle zusammen, um den Tod weiterer Narins zu verhindern. Die zwanzigtägige Suche diente offenbar dazu, die Mörder zu verstecken und zu schützen und Beweise zu vernichten. Deshalb protestieren wir gemeinsam gegen diese Männerjustiz.“
„Ihr habt die Mörder von Narin verteidigt“
Doğan Hatun, Ko-Bürgermeister von Amed, erklärte, er sei traurig und wütend zugleich. Hatun wies darauf hin, dass die Ermordung von Kindern durch Familienangehörige absolut unerträglich sei und sagte: „Unsere Gesellschaft ist heruntergekommen, weil wir nicht für unsere Kinder eintreten und unsere Gesellschaft nicht schützen. Zuallererst sagen wir unserer Gesellschaft: Lasst uns aus diesem Abgrund heraussteigen. Kümmern wir uns um unsere Kinder, kümmern wir uns um die politische Moral des Zusammenlebens, kümmern wir uns um die Rechte zum Schutz der Menschen, der Frauen und der Natur. Andernfalls werden wir Tag für Tag Kinder wie Narin verlieren. Kein Gesetz in diesem Staat verteidigt Kinder oder Frauen. Kein Gesetz verteidigt die Natur. Wenn das Gesetz sie nicht schützt, dann müssen wir es tun. Seit 19 Tagen wurde hier in Amed ein Kind vermisst. Die Militärpolizei, die Polizei, AFAD und die Stadtverwaltung haben sich an der Suche beteiligt. Wir entschuldigen uns im Namen der Stadtverwaltung. Wir richten auch einen Appell an den Staat: Habt ihr den Tigris aufgestaut? Ihr habt alle Soldaten und Polizisten geschickt? Wen habt ihr oder was habt ihr geschützt? Ein Kind hat weder Religion noch eine politische Position, es ist einfach nur ein Kind. Wer auch immer es umgebracht hat, es bleibt ein Kind. Man muss für die Kinder und die Gesellschaft eintreten, die Kinder und die Gesellschaft schützen. Aber ihr habt die Mörder geschützt. Von der Gerichtsmedizin kam die Information, dass Narin nicht heute umgebracht wurde. Jetzt gilt es, die Wahrheit zu sagen. Informiert die Menschen. Wir wollen wissen, wie es dazu kam.“
DBP-Vorsitzende: „Wir werden ihre Haltung mit Jin, Jiyan, Azadî ersticken“
Die Ko-Vorsitzende der DBP, Çiğdem Kılıçgün Uçar, erinnerte in einer Rede daran, wie schwer es ist, Kind in Kurdistan zu sein: „Wie viele Kinder wurden von Panzerwagen überfahren? Was haben die Behörden dieses Staates 19 Tage lang getan? Die Staatsmedien haben es als Sensationsmeldung in die Boulevardpresse gebracht. Auf dem Weg hierher skandierten die Menschen eine historische Parole: ‚Mörder Hizbullah‘. Der Innenminister dieses Landes sagte einst über die Hizbullah: ‚Nach zehn Jahren werden wir Ergebnisse sehen.‘ Seit diesem Tag ist die Hizbullah nicht untätig gewesen. Frauen werden bedroht, Cafés werden überfallen. Derjenige, der das Café überfallen hat, war ein verurteilter IS-Täter. Diese Regierung hat sich mit allen Kräften verbündet, die dem kurdischen Volk feindlich gesinnt sind, und hat Kurdistan ihren Interessen entsprechend umgestaltet. Narin ist dieser Politik zum Opfer gefallen. Sie wollen einen Täter? Der Täter von Narin ist diese Mentalität. Das Hauptziel dieser Mentalität ist es, die Gesellschaft zu verderben. Wo immer versucht wird, Prostitution und Drogen zu normalisieren, müssen wir uns unter allen Umständen wehren. Wir werden uns selbst, Jugendliche und Kinder gegen die kriminellen Praktiken dieser Regierung schützen. Wir werden das AKP/MHP-Regime und seine schmutzigen Allianzen mit ‚Jin, Jiyan Azadî‘ ersticken. Wir müssen diesen Kampf Hand in Hand, Arm in Arm, gegen diejenigen führen, die versuchen, das kurdische Volk in seinen Werten, seinem Glauben und seinem Kampf zu spalten. Wir werden keine neuen Narins zulassen.“[1]