Der DEM-Vorsitzende Tuncer Bakirhan bewertet die öffentliche Diskussion über eine Lösung der kurdischen Frage in der Türkei als historische Chance und fordert die Einbindung von Abdullah Öcalan in Friedensgespräche.
Der DEM-Vorsitzende Tuncer Bakirhan hat sich auf der Fraktionssitzung seiner Partei in Ankara zu den aktuellen Entwicklungen in der Türkei geäußert. Zu Beginn seiner Rede forderte der kurdische Politiker die Freilassung des am Mittwochmorgen in Istanbul festgenommenen Bezirksbürgermeisters von Esenyurt, Ahmet Özer (CHP). Weiter erklärte Bakirhan:
„In der Türkei sind wir mit einem sehr gefährlichen Verständnis konfrontiert. Wenn wir von Frieden sprechen, sehen manche Leute das sofort als Zugeständnis an die andere Seite. Frieden ist weder ein Zugeständnis noch ein Kompromiss. Im Gegenteil, Frieden ist keine Schwäche, sondern bedeutet Mut und Gnade. Wir wollen, dass in diesem Land mit großem Mut über Frieden gesprochen wird. Frieden ist eine Vereinbarung mit einem Lebenspartner. Wir leben alle zusammen in diesem Land. Wir wohnen in denselben Wohnungen, unsere Kinder gehen in dieselben Schulen. Die Sprache, die Kultur und die Identität eines Einzelnen von uns wird nicht anerkannt. Wir alle sollen in eine einzige Identität passen. Wir lehnen das ab, wir sagen, das ist nicht richtig. Das wissen auch diejenigen, die dieses Land regieren. Wir kritisieren die politische Denkweise, die Frieden als Schwäche darstellt. (...)
In den letzten Tagen hat es eine sehr wichtige Entwicklung gegeben. In der Türkei wird über Frieden diskutiert. Herrn Abdullah Öcalan, der 44 Monate lang nicht mit seinen Anwältinnen und Anwälten und seiner Familie sprechen durfte, wurde ein Treffen mit unserem Abgeordneten Ömer Öcalan gestattet. Dieses Treffen hat nicht nur bei den Kurdinnen und Kurden, sondern auch bei den anderen Völkern der Türkei große Hoffnung geweckt. Die erste Botschaft dieses Treffens war, dass die Isolation weitergeht. Deshalb möchte ich mich noch einmal an die Regierung wenden: Heben Sie die Isolation von Herrn Öcalan, den Sie auch als Gesprächspartner des Friedens sehen, so schnell wie möglich auf.
Herr Bahçeli hatte gesagt, Herr Öcalan solle einen Aufruf tätigen. Dann sagen wir, hebt die Isolation auf, schafft die Bedingungen, damit er frei arbeiten kann. Sehen Sie, ich habe Herrn Öcalans Worte gelesen. Er sagt: ,Ich habe die theoretische und praktische Kraft, diesen Prozess von der Basis des Konflikts und der Gewalt auf eine legale und politische Basis zu bringen, wenn die Bedingungen geschaffen werden.' Er sagte also: ,Ich bin bereit, wenn ihr es seid, ich habe den Willen, die Kraft, die Überzeugung und die Entschlossenheit dafür.' Diejenigen, die dieses Land regieren, wissen das besser als wir. Es gibt eine historische Chance. Es gibt einen historischen Aufruf; lassen Sie uns diesen nutzen.
Vor uns hat heute der Herr Präsident eine Fraktionssitzung abgehalten, die wir aufmerksam verfolgt haben. Bisher haben alle gesprochen, alle haben ihre Gedanken geäußert, und ehrlich gesagt haben wir uns gefragt, was Herr Erdoğan über diese Diskussion denkt. Heute hat er seine Gedanken vorgetragen. Ja, wir wenden uns von hier aus an Herrn Erdoğan: Sie stehen vor einer historischen Prüfung. Als DEM-Partei finden wir Ihre heutigen Worte über Frieden und eine Lösung der kurdischen Frage wichtig. Die Verantwortung, Schritte für den Frieden zu unternehmen, liegt bei Ihnen als Staatspräsident. Sie können diese Verantwortung nutzen. Übernehmen Sie die Verantwortung für den Frieden und stellen Sie sich auf eine andere Seite, nicht auf die Seite der Präsidenten vor Ihnen. Denn dieses Problem hat 42 Premierminister und 13 Präsidenten erlebt und ist nicht gelöst worden. Es liegt in Ihrer Hand, der Präsident zu sein, der dieses Problem löst.“
Erdoğan: „Meine kurdischen Brüder und Schwestern“
Der türkische Präsident und AKP-Vorsitzende Tayyip Erdoğan hat heute ein weiteres Mal den Terminus „meine kurdischen Brüder und Schwestern“ benutzt und zugleich eine Fortsetzung der Angriffe auf die Region Kurdistan im Irak und die Autonomiegebiete in Nord- und Ostsyrien angekündigt. Erdoğan sagte auf der Fraktionssitzung der AKP, dass die Türkei nicht die Republik einer bestimmten Person, Glaubensrichtung oder Ethnie sei: „Diese Republik ist sowohl die Republik der Aleviten und als auch der Sunniten. Sie ist ebenso die Republik der Kurden wie der Türken.“
Zu dem Aufruf des MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli in Bezug auf Abdullah Öcalan erklärte Erdoğan: „Heute haben wir wieder einmal die einmalige Gelegenheit, chronische Probleme zu lösen und unsere Brüderlichkeit zu stärken. Devlet Bey ist ein Führer, der mit seiner Haltung, seinen Worten, seiner Politik und seinen mutigen Taten immer eine Note in der Geschichte setzt und eine Richtung vorgibt. (...) Unser wichtigster Gesprächspartner sind unsere kurdischen Brüder und Schwestern selbst. (…) Wie Herr Bahçeli sagte, ist es eine religiöse und politische Verpflichtung für Türken und Kurden, sich gegenseitig zu lieben. Wir werden die Wunden der Vergangenheit gemeinsam heilen.“
Weiter erklärte Erdoğan, dass es keinen Aufruf an die PKK-Führung im Qendîl-Gebirge gebe und dass die Angriffe der Türkei gegen die Föderierte Region Kurdistan sowie Nord- und Ostsyrien weitergehen würden.[1]