Der Dichter Ferhat Merde erinnert an den IS-Genozid an der ezidischen Bevölkerung in der Şengal-Region und sagt in Bezug auf den damaligen Abzug der PDK: „Die einen sind für Şengal eingetreten, die anderen haben die Region verlassen und sind abgehauen.“
Der achte Jahrestag des Beginns des Şengal-Genozids vom 3. August 2014 steht bevor. Der Dichter Ferhat Merde, bekannt für seine Werke über den Genozid, wurde selbst zum Zeugen des Kampfes dagegen.
Merde befand sich vor dem Genozid in Dirbêsiyê in Rojava. Als er hörte, dass der „Islamische Staat“ (IS) Şengal angriff, machte sich Merde auf und versuchte, die Menschen, die aus der nordirakischen Region flohen, zu erreichen. „Ich habe den Namen Şengal schon in vielen meiner Gedichte verwendet“, so Merde, „aber keines von ihnen war so besonders wie das letzte. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Menschen litten: Auf der einen Seite die Schreie der Mütter, auf der anderen die der Kinder. Wir wussten nicht, wie wir ihnen helfen sollten. Die Menschen in Rojava versuchten im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen. Aber es reichte nicht, weil Tausende von Menschen kamen. Sie waren alle in einem furchtbaren Zustand. Einige hatten keine Schuhe, manche nicht einmal Kleidung. Auf diese Weise kamen sie nach Rimêlan und wurden in Lagern untergebracht.“
„Es ist bekannt, wer in Şengal Widerstand geleistet hat“
Merde erinnert sich, dass er das Gedicht an einem Tag geschrieben und kein Video dazu gedreht habe. Er sei nach dem Beginn des Genozids nach Şengal gereist und habe den Menschen dort das Gedicht vorgetragen: „Ich habe das Gedicht den Eziden vorgetragen, und wir haben zusammen geweint. Ich wollte ihnen die Botschaft vermitteln, dass nicht nur sie, sondern auch wir mit ihnen gelitten haben. Denn die ezidische Gemeinschaft betont immer wieder, sie sei seit jeher allein gelassen worden. Manche Leute denken das jetzt auch noch, aber das stimmt nicht. Wir leiden selbst dann, wenn der Finger eines Kindes blutet. Es fällt mir schwer, in Worte zu fassen, was dem ezidischen Volk angetan wurde, deshalb wollte ich meine Gefühle durch Poesie ausdrücken.
Der IS versuchte, die Eziden und Ezidinnen zu vernichten, ihre Kultur und ihren Glauben zu zerstören. Die Freiheitsbewegung und die heldenhaften zwölf Kämpfer (der HPG) bildeten einen Schutzwall um das ezidische Volk und verteidigten es gegen den IS. Sie haben dem IS nicht erlaubt, in die Berge von Şengal vorzudringen. Damit haben sie bei den Eziden große Hoffnung geweckt. Sie leisteten Widerstand, nahmen unendliche Mühen auf sich und manche von ihnen fielen. Später stellen sich einige Leute (PDK und Anhänger) hin und behaupten, sie hätten Widerstand geleistet. Es ist jedoch offensichtlich, wer Widerstand geleistet hat. Wenn wir uns den Gefallenenfriedhof Şehîd Dilgeş û Şehîd Berxwedan auf dem Şengal-Berg ansehen, dann wird deutlich, dass Guerilla und YPG Şengal befreit haben. Dank Egîd Civiyan und Mam Zekî und Hunderten von Heldinnen und Helden konnte Şengal befreit werden. Die Geschichte ist bereits geschrieben. Die einen haben sich für Şengal eingesetzt, die anderen haben Şengal verlassen und sind weggelaufen.“
„Den Verrat niemals vergessen“
Merde erinnert an den Abzug von mehr als 20.000 PDK-Peschmerga, als der IS anrückte, und fährt fort: „Eine Geschichte, ein Volk war dabei, zerstört zu werden. Aus diesem Grund sind alle Werke unzureichend. Niemand sollte gegenüber einem solchen Massaker in Şengal und dem Widerstand dagegen teilnahmslos bleiben. Wir dürfen den Verrat in Şengal nicht vergessen und müssen ihn in unseren Liedern und Gedichten immer wieder ans Licht bringen.
An jedem Jahrestag des Şengal-Massakers sollten wir als Künstlerinnen und Künstler mit unseren Werken über das Geschehene berichten. Diese Arbeit sollte nicht allein auf dem Rücken des ezidischen Volkes lasten. Der Widerstand gegen die irakische Regierung, die PDK und den türkischen Staat hält bis heute an. Kraft und Moral schöpfe ich vor allem aus dem Widerstand der Mütter von Şengal, aus dem Vergleich, in welcher Situation sie am Anfang waren und wie stark und einflussreich sie heute sind. Von hier aus sende ich meine Grüße und meine Liebe nach Şengal. Wir werden den Genozid nie vergessen, unser Zorn ist größer denn je. Die Kunstschaffenden und die Gesellschaft müssen die Eziden schützen. Niemand sollte den Genozid vergessen. Die Verursacher müssen entlarvt werden.“[1]