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ڕزگ(دەسە):  مەقاڵەل گؤجەر | زبان مقاله: Deutsch
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Naher Osten Dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien könnte ein jahrelanger Guerillakampf und die anhaltende Destabilisierung der Region folgen
Wie die Palästinenser sind auch die Kurden ein Volk ohne Staat. Aus historischen Gründen, die bis heute nachwirken – bis hin zur jüngsten türkischen Offensive gegen die Kurden in Nordsyrien. Im Vertrag von Sèvres 1920 hatten die Sieger des Ersten Weltkriegs den Kurden einen unabhängigen Staat aus der Erbmasse des untergehenden Osmanischen Reichs zugesagt. Doch schon drei Jahre später, im Vertrag von Lausanne, änderten die erstarkten Kolonialmächte in der Region, Großbritannien und Frankreich, ihre Meinung. Sie akzeptierten die von Kemal Pascha Atatürk, dem Begründer der modernen Türkei, geschaffenen Fakten.

Sein Sieg im Griechisch-Türkischen Krieg 1922, zugleich ein Sieg über London, Paris und Rom, die Griechenland militärisch unterstützt hatten, legte nicht allein die heutigen Grenzen der Türkei und Griechenlands fest. Auch ein unabhängiges Kurdistan wurde damit unmöglich gemacht. Bis heute ist die Kurdenfrage in der Türkei hochgradig emotional. Für türkische (Ultra-)Nationalisten, ob säkular oder religiös, gilt jeder Kompromiss mit den Kurden als Verrat. Kemal Atatürks Neugründung des Landes 1923, auf den Trümmern des Osmanischen Reichs, ging einher mit der Sakralisierung des Türkentums. Mithilfe des Militärs und des Erziehungssystems wurden die zahlreichen ethnischen Gruppen auf dem neuen Hoheitsgebiet, von den verschiedenen Balkan-Abkömmlingen bis zu den Kurden, auf die neue Nationalität eingeschworen.

Die Zentralmacht in Ankara und das Türkentum wurden zu den beiden Säulen der neuen Zeit: Sei stolz, ein Türke zu sein, lautet ein bis heute geläufiger Sinnspruch Atatürks. Nur noch diese eine Identität zählte, der sich alle anderen regionalen Sitten, Gebräuche, Traditionen und Zugehörigkeiten unterzuordnen hatten.

Die Kurden als stärkste Minderheit sahen sich besonderer Verfolgung ausgesetzt. Offiziell wurden sie „Bergtürken“ genannt. Bis in die 1990er Jahre war es ihnen verboten, in der Öffentlichkeit Kurdisch zu sprechen. Aus Sicht türkischer Nationalisten ist jedes Zugeständnis an die Kurden der Anfang vom Ende der Türkei. Selbst eine begrenzte Autonomie, sei es nun im Südosten der Türkei oder etwa in Nordsyrien, ist für sie Menetekel des eigenen Untergangs.
Bloß keine Zugeständnisse

Allerdings sind die Kurden keine homogene Gruppe, sie verfolgen jeweils sehr unterschiedliche Interessen und haben ihre Differenzen oft genug auch gewaltsam ausgetragen. Vereinfacht gesagt gibt es unter ihnen zwei einflussreiche politische Strömungen, die beide auf Autonomie setzen, längst nicht mehr auf Eigenstaatlichkeit.
Hier eine feudal orientierte, auf Stammesstrukturen beruhende, die im Nordirak den politischen Ton angibt. Und dort eine „sozialrevolutionäre“, die mit der Religion ebenso gebrochen hat wie mit den traditionellen Stammesstrukturen. Sie wird vor allem von der „Kurdischen Arbeiterpartei“ (PKK) verkörpert, die in der Türkei, der EU und den USA als Terrororganisation gilt.

Seit 1984 bekriegen sich Ankara und die PKK im Südosten der Türkei, ohne Rücksicht auf Verluste. Zehntausende Menschen sind seither ums Leben gekommen, die genaue Zahl kennt niemand. Die Kampfhandlungen fanden ein vorläufiges Ende, als die Regierung Erdoğan und die PKK 2005 ein Abkommen schlossen, das den Kurden erstmals Autonomierechte gewähren sollte. Von türkischer Seite wurde es allerdings nur sehr schleppend umgesetzt und im Sommer 2015 von Erdoğan de facto aufgekündigt. Seither geht die türkische Armee brutal gegen die Kurden im Südosten des Landes vor, wobei ganze Landstriche entvölkert und Innenstädte in Schutt und Asche gelegt worden sind, etwa in Cizre oder Diyarbakır.

Bezeichnenderweise hat die türkische Regierung mit den feudalstaatlich organisierten Kurden im Nordirak keine Probleme. Sie genießen eine weitgehende Autonomie und erklären sich aus Rücksicht gegenüber Ankara nicht für unabhängig. Die Türkei ist dort mit Abstand der größte ausländische Investor, die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Erbil und Ankara funktioniert weitgehend reibungslos. Die einflussreichen Clans der Barzani und Talabani helfen der türkischen Armee sogar bei der Bekämpfung der PKK in den nordirakischen Bergen.

Ganz anders stellt sich die Lage in Nordsyrien dar. Im Zuge des 2011 ausgebrochenen Krieges in Syrien, gleichermaßen Bürger- und Stellvertreterkrieg, zog sich die syrische Armee aus den kurdischen Grenzgebieten zur Türkei zurück. Wichtiger war Damaskus die Verteidigung des arabischen „Kernlandes“. Das Machtvakuum wurde umgehend von der kurdischen „Partei der Demokratischen Union“ (PYD) und ihrer Miliz „Volksverteidigungsstreitkräfte“ (YPD) gefüllt. Beide sind eng mit der PKK liiert und somit, aus türkischer Sicht, Todfeinde
Im Norden Syriens, entlang der türkischen Grenze, entstand ein fast durchgängiges kurdisches Autonomiegebiet: Rojava – für Ankara eine Brutstätte des Terrors. Seit 2015 sind türkische Truppen dreimal nach Nordsyrien vorgerückt, um Rojava zu zerschlagen. Die beiden ersten Male sind sie dabei von Washington ausgebremst worden. Jetzt, bei ihrer dritten und größten Invasion in Nordsyrien, hält sie nichts und niemand auf, am allerwenigsten moralische Appelle seitens der NATO oder der EU.

Die westliche Politik gegenüber den Kurden in Nordsyrien ist, gelinde gesagt, schizophren. Einerseits gilt die PKK hierzulande als Terrororganisation, andererseits waren ihre „sozialrevolutionären“ Brüder im Geiste, namentlich die YPD, gern gesehene Bündnispartner und Bodentruppen im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Bis diese, mit Verlaub, „nützlichen Idioten“ ihr Werk verrichtet hatten und der IS in Syrien weitgehend zerschlagen war. Offenbar reichte ein einziges Telefonat zwischen Trump und Erdoğan Anfang Oktober, um den US-Präsidenten zum Abzug der letzten rund 1.000 verbliebenen amerikanischen Soldaten in Nordsyrien zu bewegen.
Erratische Entscheidungen

Eine weitere seiner erratischen Entscheidungen – mit weitreichenden geopolitischen Folgen. Denn die türkische Regierung beabsichtigt, die Kurdengebiete in Nordsyrien zu besetzen, mindestens 30 Kilometer tief. Den Anfang machte 2018 der Einmarsch in die kurdische Region um Afrin im Westen. In Nordsyrien will die Regierung zwei Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei ansiedeln. Die aber sind sunnitische Araber, keine Kurden.

Die Folgen sind absehbar: endlose ethnisch geprägte Kriege und die anhaltende Destabilisierung (Nord-)Syriens – ein machiavellistisches „Meisterstück“ Erdoğans. Ob er es tatsächlich umzusetzen vermag, bleibt allerdings offen. Möglicherweise erwartet die türkischen Besatzer ein jahrelanger Guerillakrieg mit hohen Verlusten.

Die USA haben die Kurden in Syrien, im Irak und im Iran seit Jahrzehnten immer wieder als Bündnispartner eingespannt – und stets fallen lassen. Berlin oder Brüssel mögen über das türkische Vorgehen lamentieren, die Fakten schafft Ankara. Die teilweise Beschränkung der Rüstungsexporte in die Türkei, wie vom Bundesaußenminister verkündet – wen soll das beeindrucken? Die meisten türkischen Panzer, die in Nordsyrien rollen, sind „Leopard“-Panzer aus deutscher Produktion.

In Sachen Syrien sind die Europäer nur noch Statisten. Aus „Bündnissolidarität“ sind sie dem amerikanisch inspirierten Projekt „Regimewechsel in Damaskus“ 2011 willfährig gefolgt und zahlen dafür heute, vor allem die Deutschen, den Preis: mit der Aufnahme mehrerer Millionen Flüchtlinge. Assad ist noch immer an der Macht. Russland, der Iran und die Türkei sind die geopolitischen Gewinner westlicher Kurzsichtigkeit. Und Moskau dürfte die Rolle zufallen, den Konflikt politisch zu entschärfen. Denkbar ist, dass die syrische Armee wieder in Nordsyrien einrückt, die Kurden entwaffnet werden und eine Autonomie erhalten, die so nicht heißen darf. Noch allerdings ist es nicht so weit. Noch lange nicht.

Von Michael Lüders erschien zuletzt das Buch Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt
Die kurdischen Gebiete

Türkei 15 bis 20 Millionen Kurden leben in der Türkei. Faktisch stellen sie die größte ethnische Minderheit im Land, die Türkei erkennt die Kurden aber seit den 1920er Jahren nicht als solche an. Die türkischen Areale der Kurden (Nordkurdistan) sind im Land weit gestreut. Hauptsächlich erstrecken sie sich von der Provinz Gaziantep bis Hakkâri und von Malatya bis Kars. Durch Strafaktionen des türkischen Militärs mussten zwischen Dezember 2015 und Februar 2016 Zehntausende Kurden fliehen. Inzwischen leben viele von ihnen in den Großstädten.

Iran Etwa fünf Millionen Kurden (sieben bis zehn Prozent der Gesamtbevölkerung) leben im Nordwesten und Norden Irans (Ostkurdistan). Die meisten gehören, im Gegensatz zur schiitischen Mehrheit im Land, dem sunnitischen Glauben an. Kern des Gebietes ist die Mokryan-Region mit einem Zentrum, das die beiden Städte Piranshahr und Mahabad bilden. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Aufständen der Kurden gegen die iranische Regierung. Die Kurden im Iran waren stets solidarisch mit dem autonomen irakischen Kurdistan.

Syrien Kurden leben in drei Regionen, die bislang quasi-autonom als Rojava (Westkurdistan) zusammengefasst sind: das Gebiet um die Stadt Afrin an der Grenze zur Türkei, dazu ein Terrain um die nordsyrische Stadt Kobanî, das ebenfalls an die Türkei grenzt, und im Nordosten das Territorium zwischen den derzeit umkämpften Städten Ras al-Ayn und Al Qamishli. Die Autonomie geht nun vermutlich zu Ende. Am vergangenen Wochenende bat die syrisch-kurdische Selbstverwaltung den syrischen Präsidenten Assad, die Kontrolle über ihre Gebiete zu übernehmen.

Irak Nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 haben die Kurden unter dem Schutz der USA ein eigenes Gemeinwesen aufgebaut. Die Autonome Region Kurdistan (ARK) um die Hauptstadt Erbil verfügt über ein Parlament und militärische Einheiten, die Peschmerga. Die Region umfasst faktisch den gesamten Norden des Landes. 2017 hatte der damalige Präsident Masud Barzani ein Referendum über die Unabhängigkeit vom Irak abhalten lassen. Die wurde mit großer Mehrheit befürwortet, führte aber zum militärischen Eingreifen der Regierung in Bagdad.[1]
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