=KTML_Bold=Die kurdische Sängerin #Sakina Teyna# feiert die einigende Kraft der Musik – und die musikalische Tradition Kurdistans.=KTML_End=
Es war ein besonderer Abend, mit dem 2022 das Imago Dei Festival seine Eröffnung feierte: Die neue künstlerische Leiterin Nadja Kayali hatte dafür 50 Sängerinnen und Musikerinnen unterschiedlicher Herkunft eingeladen. Auf der Bühne des Klangraum Krems Minoritenkirche musizierten diese auf eine Art miteinander, die Gemeinsamkeit und Differenz neu definierte – nicht voneinander getrennt, sondern ineinander greifend performten sie ihre Songs. Eine Sogkraft entwickelte sich, wie man sie selten erlebt. Einer der Acts dieses Abends war die kurdische Sängerin Sakina Teyna, die heute in Wien lebt. Auch dieses Jahr ist sie wieder eingeladen, und zwar zum Abend „Kurdistan! Kurdophone feat. Sakina Teyna & Salah Ammo“.
Hinter den Türen
Einige Wochen vorher sitzt sie im Wiener Café Orient und erinnert sich im Interview: „Es war traumhaft. Es war so stark, wie jede Musikerin den anderen gegenüber Respekt zeigte und ihren Charakter, ihre eigene Stimme äußerte – vom Balkan bis nach Syrien. Die Vielfalt im Gemeinsamen.“ Die einigende Kraft der Musik prägt Teynas Schaffen. Als Sängerin ist sie spezialisiert auf kurdische Musik, tritt jedoch in verschiedenen Formationen auf: als Teil des weiblichen Trio Mara, der Gruppe Sakina & Friends, fallweise auch mit dem Anadolu Quartett.
Sakina Teyna
Sakina Teyna performte bei der Eröffnung des Imago Dei Festivals 2022. Auch 2023 ist sie wieder eingeladen.
„Ich wollte immer mit Frauen arbeiten“, erzählt sie über die Gründung von Trio Mara 2011, wo sie gemeinsam mit Naze Isxan (Klavier) und Nure Dlovani (Geige) musiziert: traditionelle kurdische Lieder, aber auch andere aus dem mittleren Osten, gespielt auf westlichen Instrumenten. Ihr erstes Album nannten sie „Behind the Doors“: Noch vor rund 80 Jahren durften kurdische Frauen nicht öffentlich singen, aufgrund ihres Geschlechts. Später, weil die kurdische Sprache verboten war in der Türkei.
Es ist faszinierend, Sakina Teyna zuzuhören, wie sie über die Rolle der Musik, die Geschichte weiblicher Emanzipation und die Kulturgeschichte der Kurd*innen erzählt – etwa von der Dengbêj-Tradition, einer Volksmusik, die stark auf das Erzählen von Geschichten ausgerichtet ist. Die Sänger*innen sitzen dabei vor Publikum auf Diwans, singen teils in Duos, die aufeinander antworten und miteinander kommunizieren – ähnlich wie bei dem Eröffnungsabend 2022 in der Minoritenkirche. „Es geht in den Liedern um Konflikte, staatliche Unterdrückungsmechanismen, Heldinnengeschichten und Märchen“, so Teyna. „Frauen hatten eine wichtige Rolle, auch wenn sie nichts von Feminismus wussten.“ Begeistert erzählt sie über die 1904 geborene Meryem Xan, die vor einer Zwangsheirat flüchtete und später darüber sang.
Flucht nach Österreich
In der türkischen Kleinstadt Varto als Tochter einer kurdisch-alevitischen Familie aufgewachsen, wurde Sakina Teyna geprägt von der Unterdrückung des kurdischen Volks. Wenn ihre Eltern im Radio kurdische Musik hörten, drehten sie dieses ab, sobald die Kinder das Zimmer betraten: Es konnte gefährlich werden, sollten diese anderen darüber erzählen. Teyna: „Die Eltern wollten nicht, dass die Kinder kurdisch lernen, denn sie wollen nicht, dass sie Leid erleben. Aber die Fragen sammelten sich im Hinterkopf der Kinder. Und sie tauchten immer wieder auf.“ 1991 ging die junge Frau nach Istanbul ans Mesopotamische Kulturzentrum. Tatsächlich war dessen Schwerpunkt die kurdische Kultur, doch das Wort „kurdisch“ durfte nicht erwähnt werden. So bewegte sie sich mit ihrer Kunst im Untergrund, musste 2006 fliehen und kam nach Österreich.
Eines von Teynas Liedern heißt „Dersim 1938“ und bezieht sich auf den Dersim-Aufstand, den die türkische Armee brutal niederschlug – zehntausende Menschen wurden ermordet. Die Unterdrückung der Kurd*innen in der Türkei begann nicht erst mit dem aktuellen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, betont Teyna. Das Dersim-Massaker fand unter Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk statt. „Manche behaupten, er hätte keine Ahnung davon gehabt – aber ohne seine Erlaubnis konnten nicht einmal die Vögel fliegen, wie wir sagen.“
Sakina Teyna
„Ich wollte immer mit Frauen arbeiten“, erzählt Teyna über die Gründung von Trio Mara.
Emotional, empathisch, voller Kraft
Angesichts des schrecklichen Erdbebens in der Türkei und in Syrien, das vor allem in von Kurd*innen bewohnten Gebieten wütete, offenbart sich der Weltöffentlichkeit dieser Tage einmal mehr Erdoğans Umgang mit der kurdischen Bevölkerung: Wie in den Medien zu lesen war, hätte es weniger Tote gegeben, wären die Gebäude besser gebaut gewesen. Kürzlich reichten Anwält*innen deswegen Klage gegen die Regierung ein. Zudem werden Hilfskonvois blockiert. Und erst kürzlich bombardierte die Türkei wieder kurdische Gebiete in Syrien. „Das Erdbeben ist eine Naturkatastrophe, aber wie man danach reagiert: Das ist eine politische Entscheidung. Die Menschen werden im Stich gelassen.“ Die Politik habe „Menschen getötet“, so Teyna. Es fällt ihr momentan schwer, Schlaf zu finden.
Dennoch: Auf den Abend in Krems freut sie sich. Mit ihrer Musik tritt die Sängerin mittlerweile an prominenten Orten auf, etwa an der Komischen Oper in Berlin, der Volksbühne ebendort, dem Wiener Musikverein. Auf ihrer Website publiziert sie Videos von ihren Songs, aber auch von den Aufnahmen. Da sieht man sie breitbeinig vor dem Lautsprecher stehen und voller Hingabe singen, untermalt von ausdrucksstarken Armbewegungen.
Als sie sich nach dem Gespräch im Café Orient verabschiedet, sagt sie: „Ich habe nur meine Stimme“. Eine Stimme – emotional, empathisch und voller Kraft.
Nina Schedlmayer[1]