Der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivrats der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, Hesen Koçer, warnt, dass es angesichts der türkischen Angriffe „sehr ernste Veränderungen in der Region“ geben werde und ruft zur Einheit auf.
Seit zwei Tagen befinden sich die selbstverwalteten Gebiete in Nord- und Ostsyrien unter massiven türkischen Angriffen. Insbesondere die zivile Infrastruktur soll vernichtet werden. Bisher sind 13 Tote, unter ihnen auch Kinder, bekannt. Der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivrats der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES), Hesen Koçer, ruft die Menschen der Region auf, sich gegen diese Angriffe zusammenzuschließen. Im ANF-Gespräch äußerte sich Koçer zu den Angriffen.
„Die Region soll entvölkert werden“
Koçer erinnerte daran, dass es sich nicht um den ersten Angriff handelt. Die Aggression habe jedoch an Qualität und Quantität zugenommen und ziele darauf ab, die Bevölkerung der Region zu vertreiben. Er begründete diese Annahme: „Die Angriffe zielen auf Industriegebiete, Elektrizitätswerke und öffentliche Versorgungseinrichtungen wie Bäckereien. So sollen die Menschen zur Abwanderung gezwungen und ein demografischer Wandel eingeleitet werden. Der türkische Staat beharrt auf der Auslöschung des kurdischen Volkes. Erst wird von Frieden und Lösung gesprochen, dann beginnen die Angriffe. Es gibt keinen Grund für die Angriffe des türkischen Staates auf Nord- und Ostsyrien, aber dies ist seine Haltung gegenüber den Kurdinnen und Kurden. Jeder Kurde wird als Terrorist, der getötet werden müsse, betrachtet. Der türkische Staat sieht in der Existenz von Kurden in jeglichem Teil Kurdistans eine Gefahr für sich selbst. Durch die Massaker soll verhindert werden, dass die Kurdinnen und Kurden einen Status im Nahen Osten erhalten.“
„Internationale Mächte erlauben diese Angriffe“
Der DAANES-Vertreter wies darauf hin, dass die Türkei immer wieder versuche, die Vorzeichen von Aggressor und Angegriffenen in der Darstellung umzukehren: „Die Kurden haben diesen Krieg achtmal durch Waffenstillstände einseitig ausgesetzt und versucht, Frieden herzustellen. Trotzdem hat der türkische Staat darauf bestanden, die kurdische Seite auszulöschen und tut dies auch weiterhin. Er greift Nord- und Ostsyrien mit genau dieser Politik und Absicht an. Auf diese Weise sollen die Menschen vertrieben und ihr Willen gebrochen werden. So soll ihnen die Fähigkeit, ihre Errungenschaften zu schützen, genommen werden. Der türkische Staat massakriert Frauen, Kinder und Alte, er zerstört Dörfer und Häuser. Er begeht nach internationalen Gesetzen und Normen als Kriegsverbrechen definierte Gräueltaten. Er betreibt unbestreitbar eine Politik des Völkermords und der Vernichtung. Vor allem die USA und Russland müssen ihr Schweigen brechen, sonst werden sie zu Komplizen und Garanten des Genozids. Warum öffnen die internationalen Mächte den Luftraum für den türkischen Staat und verschließen die Augen vor den Angriffen?“
„Wir haben die Kraft und den Willen, Widerstand zu leisten“
Koçer fuhr fort: „Der türkische Staat ist zu einer Lösung der kurdischen Frage nicht bereit. Wie ich zuvor schon sagte, beharrt er auf der Vernichtung. Aus diesem Grund muss unser Volk seine Einheit stärken und gemeinsam mit seiner Verwaltung und seinen Verteidigungskräften agieren. Auf diese Weise können wir unsere Würde verteidigen. Wir sind keine Lämmer, die zur Schlachtbank geführt werden können. Wir haben unsere Selbstverwaltung und unsere Verteidigungskräfte. Einheit ist der einzige Weg, wie wir uns gegen diese Angriffe verteidigen können. Wir müssen uns gemeinsam verteidigen, auf politischer Ebene, auf systemischer Ebene, auf kultureller Ebene, ja und auch auf physischer Ebene. Jede und jeder Einzelne muss entsprechend Vorbereitungen treffen. Wenn wir keinen Widerstand leisten, werden wir untergehen. Wir haben den Willen zum Widerstand und wir haben auch die gesellschaftliche und militärische Kraft dafür.“
„Die Regierung in Damaskus muss ihre Haltung klarstellen“
Zum Regime in Damaskus erklärte Koçer: „Bislang ist ihr Verhalten nicht klar. Der türkische Staat greift syrisches Territorium an, greift Bürgerinnen und Bürger Syriens an, greift die Infrastruktur der Bevölkerung Syriens an. Die Regierung in Damaskus muss Haltung beziehen. Auch die internationalen Mächte sollten eine Haltung gegen diese Angriffe einnehmen. Die türkischen Angriffe werden vom IS als Gelegenheit betrachtet. Das sollten die internationalen Mächte bedenken.“
„Wir müssen bereit sein für tiefgreifende Veränderungen“
Koçer schloss: „Natürlich werden wir uns diesen Angriffen nicht beugen. Wir werden Erschwernisse erleben, aber wir werden unsere Ehre, unsere Würde und unser Land verteidigen. Alle müssen sich an diesen Bemühungen beteiligen. Mit diesen Angriffen soll der Wille der Menschen hier gebrochen werden. Das Projekt der demokratischen Nation soll zunichtegemacht werden. Es wird versucht, eine Fluchtwelle aus der Region auszulösen. Demgegenüber müssen wir ernsthaft Haltung beziehen. Wir sind bereit, Widerstand zu leisten, und wir werden Widerstand leisten. Seit zwölf bis dreizehn Jahren widersteht die Revolution von Rojava. Wir sind bereit zu einem noch stärkeren Widerstand und Kampf. Ich sage es noch einmal: Unser Volk sollte sich um seine eigene Verwaltung und seine Verteidigungskräfte zusammenschließen, denn es wird sehr ernste Veränderungen in der Region geben. Darauf müssen wir vorbereitet sein.“[1]