Eine Stärkung der #kurdischen# Freiheitsbewegung, die eine von der kapitalistischen Moderne unabhängige Agenda durchsetzt und am Beispiel von Rojava auch konkret den Aufbau der demokratischen Moderne vorantreibt, ist gleichbedeutend mit der Stärkung aller alternativen, demokratischen Akteur:innen weltweit.
Wir haben das erste Quartal des Jahres 2022 hinter uns und können damit zentrale Charakteristika und Dynamiken der gegenwärtigen politischen Phase bestimmen. Denn ein richtiges Verständnis der politischen Entwicklungen in ihrem historischen Kontext ist für die demokratischen Kräfte von zentraler Bedeutung, um die Gesellschaften vor der Vereinnahmung durch die kapitalistische Moderne zu verteidigen und eine unabhängige Agenda zu entwickeln. Nach dem globalen Ausnahmezustand, der durch die Corona-Pandemie ausgelöst wurde und dessen weitreichende gesellschaftliche Folgen noch nicht abzusehen sind, zieht nun der Krieg in der Ukraine die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich. Krieg und Frieden sind (wieder) die zentralen Fragen des westlichen Diskurses geworden. Dabei sprachen die neoliberalen Denker:innen nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges vom »Ende der Geschichte« und dem »Sieg der Demokratie«. Schlagzeilen wie »Es ist wieder Krieg« oder »Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt« prägen den staatlichen und Mainstream-Diskurs in der westlichen Hemisphäre.
Die Grundlage dieses dominierenden Diskurses ist eine eurozentristische Grundannahme: der Mythos, die Welt lebe seit 1945 in Frieden und habe die unter der Hegemonie der Vereinigten Staaten errichtete Weltordnung die kriegerischen Neigungen der miteinander konkurrierenden kapitalistischen Staaten weitgehend in Schach gehalten. Demzufolge sei der zwischenstaatliche Wettbewerb in Europa, der zu zwei Weltkriegen geführt hatte, weitgehend eingedämmt und Westdeutschland und Japan nach 1945 friedlich wieder in das kapitalistische Weltsystem eingegliedert worden. Und auf internationaler, u.a. europäischer Ebene seien Institutionen der Zusammenarbeit geschaffen worden (der gemeinsame Markt, die Europäische Union, die NATO, der Euro etc.). Diese dominante Lesart blendet die andere Seite der Geschichte aus. Denn in der Zwischenzeit wurden seit 1945 zahlreiche »heiße« Kriege (sowohl Bürgerkriege als auch zwischenstaatliche Kriege) geführt. Beginnend mit dem Korea- und dem Vietnamkrieg, gefolgt von den Jugoslawienkriegen und der Bombardierung Serbiens durch die NATO, zwei Kriegen gegen den Irak (von denen einer durch offensichtliche Lügen der USA über den Besitz von Massenvernichtungswaffen im Irak gerechtfertigt wurde), den Kriegen in Jemen, Libyen und Syrien und in anderen Teilen der Welt. So wundert es nicht, dass vor allem für die Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika die Ukraine-Krise einmal mehr die Heuchelei und Doppelmoral des Westens offenbart, wenn es um den Wert menschlichen Lebens, um Migration oder die Souveränität von Nationalstaaten geht.
Der Dritte Weltkrieg
Für eine richtige Einordnung der aktuellen Entwicklungen rund um den Krieg in der Ukraine, aber auch der anderen (zwischenstaatlichen) Auseinandersetzungen bietet der begriffliche und theoretische Rahmen des »Dritten Weltkrieges« eine zentrale Orientierung. Dieser von der Freiheitsbewegung Kurdistans seit über zwei Jahrzehnten verwendete Begriff beschreibt den seit dem Zerfall der Sowjetunion stattfindenden globalen Neuordnungsprozess. Der globale Machtkampf, den die kurdische Freiheitsbewegung als Dritten Weltkrieg definiert und der in den letzten Monaten nun auch im Mainstream vermehrt genutzt wurde, begann mit dem Ende der bipolaren Weltordnung 1989/90 und dem damit verbundenen Aufbrechen ehemaliger Gleichgewichte. Die Gesellschaften sind seitdem Zeugen eines brutalen Machtkampfes der Nationalstaaten und des Widerstandes der nichtstaatlichen Akteure. Ein kurzer Blick auf die Entwicklungen in den letzten drei Jahrzehnten bestätigt diese Analyse und zeigt eindrücklich, dass von einem »Ende der Geschichte« nicht die Rede sein kann.
Diese Phase der Neuordnung – der Dritte Weltkrieg – hat jedoch im Vergleich zu den Weltkriegen zuvor einen anderen Charakter und andere Merkmale. Erstens kann man in dieser multipolaren Weltordnung die politischen und wirtschaftlichen Machtkämpfe nicht als Kampf zwischen verschiedenen Ideologien oder gesellschaftlichen Systemen bezeichnen. Ganz im Gegenteil sind alle nationalstaatlichen Akteure und aufsteigenden Machtzentren, wie China, Indien oder auch Russland, Teil der kapitalistischen Logik und des kapitalistischen Weltsystems. Zweitens sind wir angesichts der bröckelnden US-Hegemonie damit konfrontiert, dass alle Nationalstaaten bzw. regionalen und internationalen Kräfte die Gunst der Stunde dazu nutzen, ihre jeweilige Hegemonie auszuweiten. Jeder Akteur legitimiert diese Ansprüche und Politiken auf verschiedenste Art und Weise. Oft spielt die Historie eine zentrale Rolle, wie wir am Beispiel der neoosmanischen Expansionsbestrebungen des türkischen Staates erkennen können. Drittens gibt es in diesem Konflikt keine absoluten Fronten, sondern es ist eine Gleichzeitigkeit von Kooperation an der einen Stelle und Konfrontation an anderer Stelle möglich. Viertens sind die Methoden der Kriegsführung im Dritten Weltkrieg nicht mit denen der Kriege im 20. Jahrhundert zu vergleichen. Während der Erste und Zweite Weltkrieg noch von Materialschlachten geprägt waren, treffen die internationalen Mächte heute seltener direkt aufeinander, sondern führen ihre Konflikte durch Stellvertreterkriege aus. Die ersten Jahre des Krieges in Syrien oder auch der ukrainische Bürgerkrieg nach den Entwicklungen auf dem Maidan 2013/14 sind Beispiele für solch einen Stellvertreterkrieg. Daneben sind auch der mediale Krieg, die biologische Kriegsführung und Handelskriege wichtige Methoden des Dritten Weltkrieges. Der eskalierende Handelskrieg, der zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China 2018 begann, oder auch der jüngste Handelskrieg zwischen den USA/Großbritannien/EU und Russland sind ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen.
Den geografischen Rahmen dieses globalen Neuordnungsprozesses fasste der US-Stratege Zbigniew Brzeziński als das »große Schachbrett« zusammen. Als Hauptschauplatz künftiger Machtkämpfe hatte er hierbei »Eurasien« im Blick – den riesigen Landkomplex, den Europa und Asien zusammen bilden. Auf diesem Schachbrett werde der Kampf um die globale Vorrangstellung geführt werden, erklärte der ehemalige Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter im Jahr 1997. Denn die größte Gefahr aus geostrategischer Perspektive gebe es für die USA, wenn es einer fremden Macht gelinge, Europa und Asien (»Eurasien«) zu einem geschlossenen Machtblock zu verbinden. Nach dem Rückzug der Sowjetunion fokussierte sich dieser innerimperialistische Machtkampf zunächst auf den Mittleren Osten und wurde parallel auch an anderen Orten der Welt geführt. Der Krieg in der Ukraine ist in diesem Kontext eine Fortsetzung des Dritten Weltkrieges in Europa.
Stärkung des transatlantischen Bündnisses
Werfen wir einen näheren Blick auf die aktuelle Politik und strategischen Ziele der verschiedenen Akteure, die im Zuge der Ukraine-Krise wieder deutlich zu Tage treten.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion sind die zentralen Fragen der US-amerikanischen Außenpolitik: Wie können die imperialistischen Qualitäten von Russland und China zerstört werden? Wie können Europa (insbesondere Deutschland und Frankreich) unter US-Hegemonie gebracht und regionale Mächte eliminiert werden, wenn sie antiwestlich sind (wie der Iran)? Wie kann man die Kontrolle über Kräfte zurückgewinnen, die das westliche Bündnis verlassen könnten (Türkei)? Diese Politik wird gegen die ins Visier genommenen Staaten mit einer Mischung aus Methoden der ›soft power‹ (diplomatisch, wirtschaftlich, kulturell, medial und ideologisch) und der ›hard power‹ (offen und verdeckt agierende Streitkräfte) angewandt. Diese Politik beinhaltet als wichtigstes Merkmal die Kriegsoption, insbesondere in Bezug auf die Zielländer (wie Russland, China und Iran). Denn die Entwicklungsdynamik einiger Staaten lässt sich nicht alleine durch ›soft power‹ brechen, daher wird ein von ›soft power‹ unterstützter heißer Krieg gegen diese Mächte als notwendig angesehen, um Ergebnisse zu erzielen. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien haben damit eine Strategie entworfen, in der verschiedene Phasen miteinander verflochten sind, aufeinander aufbauen und sich allmählich zu der Dimension eines Weltkriegs entwickeln.
Mit dem Krieg in der Ukraine haben die USA vor allem ihre Hegemonie im europäischen Raum und damit das transatlantische Bündnis deutlich gestärkt und die von der EU in den letzten Jahren vorangetriebene Politik der »strategischen Autonomie« zurückgeworfen. Die NATO, der Frankreichs Präsident Macron vor drei Jahren noch vorwarf, »hirntot« zu sein, hat für »den Westen« ihre Existenzberechtigung angesichts der »russischen Gefahr« deutlich herausgestellt. So wird der Beitritt zur NATO nun auch von Schweden und Finnland ernsthaft in Erwägung gezogen. Eine NATO-Mitgliedschaft war vor dem Krieg in der Ukraine von der Mehrheit sowohl der Finn:innen als auch der Schwed:innen noch abgelehnt worden. Der von den USA und der NATO seit Jahren geforderten Erhöhung der Militärausgaben wurde nun ebenfalls Folge geleistet. Und auch wirtschaftlich wird mit dem Stopp von Nord Stream 2 auf unbestimmte Zeit die Abhängigkeit Europas von US-Erdgas unweigerlich zunehmen. Mit dem Krieg in der Ukraine ist Europa nun gewissermaßen dazu verdammt, das teure Erdgas der USA zu kaufen.
»Schluss mit der militärischen Zurückhaltung«
Angesichts des Kriegs in der Ukraine werden die Karten in Europa neu gemischt. Wie weitreichend diese Veränderungen sind, lässt sich auch in den Entscheidungen, Diskursen und Politiken Deutschlands erkennen. Die politisch Herrschenden läuten die zunehmende Militarisierung der Bundesrepublik mit Worten wie »Zeitenwende«, »Paradigmenwechsel« und »strategische Revolution in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik« ein. Die Botschaften der zentralen Bundestagsrede von Kanzler Olaf Scholz und Erklärungen der grünen Außenministerin sind klar und deutlich: Schluss mit der militärischen Zurückhaltung. »Unser Ziel ist, dass wir im Laufe dieses Jahrzehnts eine der handlungsfähigsten, schlagkräftigsten Armeen in Europa bekommen«, erklären Regierungsvertreter:innen. Das NATO-Zwei-Prozent-Ziel soll jetzt übererfüllt und die Bundeswehr noch in diesem Jahr mit einem 100-Milliarden-Euro-Sonderfonds ausgestattet werden. Berlin bekennt sich ausdrücklich zu einem globalen Führungsanspruch und zu dessen Durchsetzung auch mit militärischen Mitteln. Diese Diskurse wurden bereits in den letzten Jahren in den Medien und politischen Think-Tanks vorbereitet und bekräftigen damit die politische Linie, die im Strategiepaper »Neue Macht – Neue Verantwortung« 2013 von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) vorbereitet wurde. Darin wird der Anspruch formuliert, weltpolitisch offensiver aufzutreten. Die Bundesrepublik gebe sich noch als »eine Gestaltungsmacht im Wartestand«. Dies müsse sich nun ändern: »Deutschland wird künftig öfter und entschiedener führen müssen.« Diesem Ziel ist die deutsche Führungsmacht mit 100 Milliarden Euro und mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Armee sowie erheblichen Waffenlieferungen an Kiew sprunghaft näher gerückt. Bislang stand dem die eigene Bevölkerung im Wege. Doch mit der durch den Krieg in der Ukraine geschaffenen Stimmung, der gesellschaftlichen Atmosphäre und Militarisierung der Gesellschaft, kann sich die deutsche Bundesregierung auf hohe Zustimmungswerte berufen.
Die »russische Welt«
Auch die Position und Rolle Russlands in der multipolaren Welt hat sich innerhalb der letzten drei Jahrzehnte stark gewandelt. Nach dem Niedergang der Sowjetunion stand zunächst die Konsolidierung des russischen Staates angesichts vielfältiger Krisen auf der Tagesordnung. Vor allem aber setzten auch die USA – und an ihrer Seite mehr und mehr auch Deutschland und die EU – Moskau immer stärker politisch unter Druck. Ein Mittel waren die »Farbrevolutionen«: prowestliche, von Washington, später auch von Berlin und Brüssel massiv geförderte Umstürze zuerst in Jugoslawien (2000), dann in Georgien (2003), in der Ukraine (2004) und in Kirgistan (2005). Bei den »Farbrevolutionen« ging es jeweils darum, Regierungen, die mit Russland kooperierten oder die doch zumindest eine Art Balancepolitik zwischen Moskau und dem Westen verfolgten, durch prowestlich orientierte Kräfte zu ersetzen. Darüber hinaus wurde die Ausdehnung der NATO bis an die russische Grenze vorangetrieben. Im Zuge dieser Osterweiterung ist die NATO nun von 16 (1990) auf 30 (2020) Staaten angewachsen.
Trotz der kontinuierlich verstärkten westlichen Aggression ist es Russland jedoch gelungen, sich einigermaßen zu konsolidieren und außenpolitisch an Einfluss zu gewinnen. Die russische Präsenz in Syrien seit 2015 und die russisch-türkische Kooperation sind Beispiele dafür. Russland möchte nicht nur zentraler Akteur in Europa sein, sondern ein Global Player auf derselben Stufe wie die USA und China. So hat Putin in den Verhandlungen vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht die europäischen Staaten als Gesprächspartner wahrgenommen, sondern immer wieder erklärt, dass diese Frage zwischen den USA und Russland geklärt werden müsse.
Ein zentrales Element, welches die Politik und Sprache Putins prägt und in der russischen Öffentlichkeit sehr verbreitet ist, ist die Wahrnehmung, dass Russland nach dem Kalten Krieg in Verhandlungen benachteiligt und getäuscht worden sei. Dieses Gefühl der Demütigung wurde durch die wirtschaftliche Behandlung Russlands und die Haltung des Westens in Bezug auf Russlands Platz in der globalen Ordnung zementiert. Putins Äußerung »Ich will Russlands verlorenen Status zurück« kann in diesem Sinne auch als Forderung nach einer neuen Jalta-Konferenz interpretiert werden. Die Konferenz von Jalta prägte nach dem Zweiten Weltkrieg die Landkarte Europas und die bipolare Weltordnung, in der Russland neben den USA und England einer der Hauptakteure war. Nach dem Kalten Krieg verlor Russland diese Position, und die europäische geopolitische Landkarte wurde trotz Russlands Widerspruch umgestaltet. Wir wissen aus der Geschichte, dass Demütigung ein verhängnisvolles Mittel in der Außenpolitik ist, das oft anhaltende und katastrophale Auswirkungen hat. Die Demütigung Deutschlands in Versailles spielte eine wichtige Rolle in der Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs. Die politischen Eliten verhinderten nach 1945 mit dem Marshallplan eine Wiederholung dieser Demütigung Westdeutschlands und Japans, nur um nach dem Ende des Kalten Krieges die Katastrophe der Demütigung Russlands (manchmal aktiv, manchmal auch unabsichtlich) zu wiederholen.
So rechtfertigen russische Staatsvertreter:innen ihre imperialistische Politik im Dritten Weltkrieg im Allgemeinen und heute in der Ukraine im Besonderen mit zentralen Elementen des Konzepts der »Russischen Welt« (Russkij Mir). Dem Krieg in der Ukraine liegen also nicht nur innen- und außenpolitische Ursachen zu Grunde, sondern auch längerfristige Motivationen sowie ideologische und geopolitische Konzepte. Das Konzept der »Russkij Mir« (1) spricht von den Russ:innen als »geteiltem Volk« und hebt das »Streben der russischen Welt, des historischen Russland nach Wiederherstellung der Einheit« hervor. Dabei wird die Existenz einer »großen russischen Zivilisation« betont, die es nach außen (vor allem vor dem Westen) zu schützen gelte und die als Interessensphäre Russlands definiert wird. Insofern handelt es sich bei dieser Konzeption (ähnlich wie beim Neo-Osmanismus der Türkei) um ein Konglomerat verschiedener Strömungen des antiwestlichen, antiliberalen und neoimperialen russischen Nationalismus.
Widerstand gegen internationale Isolation
Exemplarisch für das falsche (eurozentristische) Selbstbild des Westens, aber auch die neuen politischen Kräfteverhältnisse im Rahmen der multipolaren Weltordnung sind die Bestrebungen der transatlantischen Mächte, Russland international zu isolieren. Denn während die europäischen Staaten zwar zum größten Teil geschlossen gegen den Angriff auf die Ukraine durch Russland stehen, ist das Bild außerhalb Europas ein anderes. So geht die Zahl der Länder, die sich an den westlichen Russland-Sanktionen beteiligen, bis heute nicht über 48 hinaus – die meisten Staaten Europas und Nordamerikas sowie sechs ihrer engsten Partner in der Asien-Pazifik-Region. Es handelt sich dabei nicht einmal um ein Viertel der insgesamt 193 UN-Mitgliedstaaten; drei Viertel der UN-Mitgliedstaaten verweigern sich den westlichen Russland-Sanktionen trotz teils erheblichen Drucks. Grund dafür sind zum einen ökonomische oder geostrategische Erwägungen, die sich aufgrund der bröckelnden US-Hegemonie auftun. Indien beispielsweise weitet seine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland aus und arbeitet an einem von US-Dollar und SWIFT unabhängigen Zahlungssystem. In Südafrika ist Gazprom für ein milliardenschweres Erdgasgeschäft im Gespräch. Die Türkei betätigt sich als Umsteige- bzw. Umschlagplatz für den Personenverkehr bzw. den Handel mit Russland. Israel sieht von einer entschiedenen Haltung gegenüber Russland ab. Die Emirate und Saudi-Arabien weigern sich zudem nach wie vor, westlichem Druck nachzugeben und die Erdölförderung mehr als geplant zu erhöhen, um ein weltweites Ölembargo gegen Russland zu ermöglichen. Der Besuch des syrischen Machthabers Assad in den Vereinigen Arabischen Emiraten Ende März, der ersten Reise Assads seit Beginn des Syrien-Krieges in ein arabisches Land, ist ebenfalls ein Beispiel für die mögliche Balancepolitik im Rahmen der neuen Kräfteverhältnisse. Neben diesen wirtschaftlichen und geostrategischen Gründen ist ein weiterer Grund für den breiten Widerstand gegen die westlichen Sanktionen aber auch das koloniale Erbe des Westens vor allem im Mittleren Osten, in Asien und Lateinamerika. Für diese Länder hat der »Bruch des Völkerrechts« keine große Bedeutung, und zwischen den Kriegen gegen den Irak (USA, 2003) und gegen die Ukraine (Russland, 2022) wird kein großer Unterschied erkannt. Auch die »doppelten Standards« für Geflüchtete sind der kritischen Öffentlichkeit nicht entgangen.
Das Militarismusproblem der Gesellschaft
Mit dem Krieg in der Ukraine ist das Militarismusproblem der Gesellschaft erneut deutlich zu Tage getreten. Eine Feststellung des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan ist in diesem Sinne einleuchtend: »Obwohl der Militarismus eine Kraft ist, die in der gesamten Geschichte und in allen Staaten in die Gesellschaft eindringt, sie kontrolliert und über sie herrscht, erreichte sein Wachstum im Zeitalter der Mittelklasse (Bourgeoisie) seinen Höhepunkt.« (2) Wir befinden uns aktuell in einer Phase, in der das internationale Regime zur Abrüstung, welches in den letzten zehn Jahren vor dem Ende des Kalten Krieges aufgebaut wurde, den schwersten Schlag erleidet. Der Ausstieg aus historischen Abrüstungsverträgen durch die USA und Russland in den vergangenen Jahren ist Ausdruck dieses weltweiten Trends. Europa, welches seit Jahren gegen Russland aufrüstet, verzeichnet weltweit die höchsten Steigerungsraten bei der Einfuhr von Rüstungsgütern.
Es ist kein Zufall, dass dabei die historische Aufrüstung der Bundeswehr durch eine deutsche Regierungskoalition aus Sozialdemokratie und Grünen vorangetrieben wird. Als Deutschland 1999 mit der NATO in den Jugoslawienkrieg eintrat, sagte Jürgen Rüttgers, einer der führenden konservativen Politiker:innen der damaligen Zeit, sinngemäß: »Wenn wir die Tornado-Jets geschickt hätten, wäre die Welt zweifellos aufgestanden. Aber wenn SPD und Grüne das tun, widersprechen weder die Gewerkschaften und die Kirchen noch die Friedensbewegung und die Weltöffentlichkeit.« In diesem Sinne wird jetzt auch das größte Aufrüstungsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg von keiner ernsthaften Opposition aus Gewerkschaft, Kirchen oder medialer Öffentlichkeit begleitet. Auf ihrer Frühjahrsversammlung erklärten die katholischen Bischöfe gar, dass Waffenlieferungen »grundsätzlich legitim« und auch die Ankündigung der Bundesregierung, 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Bundeswehr zu investieren, »grundsätzlich plausibel« seien. Begleitet wird dies mit einem Lob konservativer Kommentator:innen für den »grünen Realitätssinn«, der angesichts des Ukraine-Krieges in der Parteiführung der Grünen zu einer Relativierung des Umweltschutzes geführt hat. Denn die Grünen-Parteiführung erklärte offen, dass »im Zweifel« die Sicherheitspolitik eine höhere Priorität als die Klimapolitik habe und »Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen« müsse. Die Grünen verteidigen in wenigen Wochen vieles, was sie eigentlich grundsätzlich abzulehnen erklärten: Gas-Geschäfte mit Autokraten, Fracking-Gas, bei dessen Förderung die Umwelt leidet, Kohlekraftwerke als Reserve oder Waffenlieferungen in Krisengebiete. Wenn man sich vor Augen führt, dass die globalen Militärausgaben in Höhe von 1,93 Billionen US-Dollar im Jahr 2020 ausgereicht hätten, um die Hälfte der gesamten Investitionen der Energiewende zu finanzieren, die benötigt würden, um im Jahr 2050 emissionsfrei zu sein, wird klar, welche Interessen für die Kräfte der kapitalistischen Moderne absolute Priorität haben.
Die Notwendigkeit eines »dritten Weges« in Europa
Die Entwicklungen in den letzten Monaten, sei es die vor allem medial geschürte Kriegstreiberei oder das Erstarken des Nationalismus und Militarismus, haben einmal mehr die Notwendigkeit einer alternativen Politik deutlich gemacht, die sich von der Agenda der kapitalistischen Moderne, den Nationalstaaten und den Kapitalinteressen abgrenzt. Nicht nur im Kontext des Ukraine-Krieges, sondern auch im Dritten Weltkrieg gilt es auf der Basis des Prinzips »Der Hauptfeind steht im eignen Land« eine dritte Position zu stärken, die von demokratischen Kräften und den Gesellschaften getragen wird. Dies beinhaltet eine konsequente Haltung gegen den Krieg der Herrschenden. In Ländern wie Italien und Griechenland gab es bereits erste Ansätze solch einer politischen Handlungsfähigkeit. Dort blockierten Transportarbeiter Rüstungsexporte in die Ukraine. Am 31. März kam es in Genua sogar zu einem ganztägigen Hafenstreik gegen den Transport von Waffen und Munition in die Ukraine. Es ist die strategische Aufgabe demokratischer Kräfte in Europa, den Antimilitarismus ohne jegliche Zugeständnisse zu verteidigen. Sie müssen sich gegen die vielfältigen Strategien der Staaten, mittels »gesellschaftlicher Diskurse« die Anti-Kriegs-Einstellung in weiten Teilen der Bevölkerung zu untergraben, wehren. Eine neue Friedensbewegung muss dafür entfacht werden, in deren Rahmen die demokratischen Kräfte als ein alternativer Pol ihre Position im Dritten Weltkrieg einnehmen und ihre Agenda durchsetzen.
Der Niedergang des Nationalstaatenmodells im Mittleren Osten
Auch der Mittlere Osten befindet sich im Umbruch und im Fokus des Dritten Weltkrieges. Das ist kein Zufall, sondern steht im Zusammenhang mit der Krise der kapitalistischen Moderne. Denn Krisen machen sich weniger im eigenen Zentrum als vielmehr in der Peripherie bemerkbar. Die vor über 100 Jahren von Großbritannien und Frankreich implementierte Sykes-Picot-Ordnung in der Region ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend obsolet geworden. Die verschiedenen Akteure – internationale Mächte, regionale Nationalstaaten und lokale Kräfte – operieren zunehmend außerhalb des von Europa importierten Nationalstaatenmodells. Abdullah Öcalan analysierte die aktuelle Phase der Region, die von einem Niedergang des Nationalstaats geprägt ist, wie folgt: »Die Hinrichtung von Saddam Hussein im Irak ist für die Nationalstaaten im Mittleren Osten vergleichbar mit dem Ende der monarchistischen Regime, das mit der Hinrichtung Ludwigs XVI. eingeleitet wurde. So wie die monarchistischen Regime sich von der Hinrichtung von Ludwig XVI. nicht erholen konnten und in die Epoche ihres Niedergangs eintraten, sind auch die faschistischen Regime der Nationalstaaten seit der Hinrichtung von Saddam Hussein nicht wieder zu sich gekommen und in die Epoche ihres Abgangs eingetreten. So wie das hegemoniale System in Europa in der Zeit von 1815 bin 1830 seine ganze Kraft vergeblich zur Restauration der monarchistischen Regime einsetzte, wird auch das Bestreben, die Nationalstaaten im Irak und in Afghanistan zu erhalten, vergeblich sein. Den Zerfall des Nationalstaates erleben nicht nur diese beiden Länder. Alle Nationalstaaten, von Kirgistan an der Grenze zu China bis nach Marokko am Atlantischen Ozean, von den Nationalstaaten Jemen und Sudan bis hin zu Nationalstaaten auf dem Balkan und im Südkaukasus, erfahren ähnliche Krisen. Es gibt heute schon keine klare Trennung mehr zwischen Pakistan und Afghanistan. Der Libanon, Jemen und Sudan brodeln ständig. Bei der kleinsten demokratischen Regung ist das Regime in Ägypten mit seinem möglichen Zusammenbruch konfrontiert. Algerien hat den Bürgerkrieg noch nicht vollständig hinter sich gelassen. Die sich selbst als Insel der Stabilität bezeichnende Türkei hält sich nur mit den Spezialoperationen der NATO auf den Beinen. Es scheint so, als gebe es keinen Staat im Mittleren Osten, der keine Probleme erlebt.« (3)
Andauernder Revolutionsprozess in Kurdistan
In diesem chaotischen Zustand war der Arabische Frühling ein kurzer Aufbruch der arabischen Völker, um einen Platz in diesem Kampf um neue politische Gleichgewichte in der Region einzunehmen. Aufgrund von Interventionen regionaler und internationaler Mächte, aber auch der Schwäche der demokratischen Kräfte der betroffenen Länder blieb ein langfristiger demokratischer Transformationsprozess in diesen Ländern jedoch aus. Im Gegensatz zu dieser kurzlebigen demokratischen Revolte im Kontext des Arabischen Frühlings werden die aktuellen politischen Entwicklungen in Kurdistan weiterhin von Seiten der kurdischen Freiheitsbewegung unter Federführung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mitbestimmt. Entgegen der Vereinnahmung durch die Kräfte der kapitalistischen Moderne garantiert das Bestehen dieser Freiheitsbewegung, die über ein alternatives Gesellschaftsparadigma und politisches Programm verfügt, den andauernden revolutionären Prozess in Kurdistan. Der Kampf für ein freies und demokratisches Kurdistan wird dabei auch als ein Kampf für eine Demokratische Mittelostföderation betrachtet. Die kurdische Freiheitsbewegung interpretiert die Parole »Freiheit für Kurdistan« heute in dem Sinne, dass der jeweilige Staat (Türkei, Syrien, Irak und Iran) demokratisiert wird und gleichzeitig in Kurdistan eine demokratische Entwicklung zulässt.
Die Demonstrationen und Veranstaltungen rund um den Frauenkampftag am 8. März als auch die Massenbeteiligung am diesjährigen kurdischen Neujahrsfest Newroz haben die zentrale Rolle der PKK und des Vordenkers Abdullah Öcalan manifestiert. Die gesellschaftliche Verankerung der kurdischen Freiheitsbewegung in Kurdistan und weltweit wurde entgegen aller Anti-Propaganda deutlich zur Schau gestellt. Die Forderung nach der Freiheit Abdullah Öcalans und einem Ende der Isolation auf İmralı wurde als zentrale nationale und internationale Forderung noch einmal bestärkt.
Der Zerschlagungsplan der Türkei besteht fort
Während die kurdische Gesellschaft an Newroz klar gezeigt hat, dass sie an ihrem Widerstand weiterhin festhalten wird, ist auch das Festhalten der türkischen Regierung an weiteren Massakern und Invasionen in Kurdistan ersichtlich. Die Türkei stellt mit ihrer aggressiven und genozidalen Kriegspolitik gegen die kurdische Gesellschaft und Freiheitsbewegung nicht nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen eine Gefahr dar, sondern auch für die Menschen in der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (Rojava), in Südkurdistan – und hier vor allem für das Geflüchtetencamp Mexmûr und die Region Şengal. Im Schatten des Ukraine-Krieges ist vor allem Rojava von ständigen Angriffen durch Drohnen betroffen, bei denen es in den letzten Monaten wieder mehrere Tote und viele Verletzte gab. Täglich erfolgen im Rahmen eines wie nach den Lehrbüchern der NATO-Aufstandsbekämpfung geführten »Krieges niedriger Intensität« Artillerie- und Drohnenangriffe auf Wohngebiete sowie zivile und militärische Infrastruktur. Die Angriffe dienen der Zermürbung und Vertreibung der Zivilbevölkerung und haben zudem das Ziel, die türkisch-dschihadistische Besatzungszone auszuweiten. Der Wasserkrieg Ankaras gegen die Region dauert ebenfalls weiter an. Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine finden parallel zu verstärkten Luft- und Bodenangriffen der Türkei und ihrer Verbündeten in Rojava relativ rege diplomatische Aktivitäten von Seiten Ankaras auf internationalem Parkett statt. Dahinter steht die Bestrebung der türkischen Führung, grünes Licht für eine weitere Invasion in Rojava zu erhalten, um den imperialistischen Expansionskurs weiter voranzutreiben.
Nach ihren erfolglosen Militäroperationen gegen die Volksverteidigungskräfte (HPG) in den Bergen Kurdistans setzt die Türkei nun seit Anfang des Jahres wieder auf massive Bombardements gegen die Medya-Verteidigungsgebiete in Südkurdistan und ist inzwischen erneut einmarschiert – ein Zustand, wie ihn die Menschen in Rojava zur Genüge kennen. Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) veröffentlichte am 26. März 2022 eine Stellungnahme, in der sie auf die Gefahr einer baldigen Besatzungsoperation aufmerksam machte. Demnach werde in den südkurdischen Medien über eine neue Invasion der türkischen Armee und eine entsprechende Übereinkunft mit der PDK (4) debattiert. Aus diesen Meldungen gehe hervor, dass auch eine direkte Beteiligung der PDK-Peschmerga konkret diskutiert werde. Die KCK appellierte einmal mehr, dass die PDK sich nicht am Besatzungskrieg des türkischen Staates beteiligen und nicht vom AKP-MHP-Faschismus instrumentalisieren lassen solle. Wie wir alle wissen, wurde dieser Appell ignoriert.
Angriffe auf demokratisch-autonomes Şengal
Dass die Türkei einen ganzheitlichen Kurdistan-Plan zur Zerschlagung der kurdischen Freiheitsbewegung verfolgt, ist auch angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Region Şengal zu erkennen. Das irakische Militär versucht immer wieder gemeinsam mit der südkurdischen PDK die selbstverwaltete Şengal-Region unter seine Kontrolle zu bringen. Um die êzîdische Gemeinschaft zu isolieren und die Bevölkerungsgruppen in Şengal zu spalten, setzt die irakische Regierung arabische Dörfer in der Region unter Druck. Zwischen Şengal im Nordirak und Rojava in Nordsyrien wurde zudem mit dem Bau einer 250 Kilometer langen und drei Meter hohen Grenzanlage begonnen. Mit der Einkreisung und Abriegelung von Şengal wird der Fluchtkorridor geschlossen, über den sich Hunderttausende Menschen nach Rojava retteten, als der Islamische Staat 2014 die Region angriff. Diese jüngsten Angriffe gegen das demokratisch-autonome Şengal haben dabei vor allem die Schwächung der dortigen politischen Linie als Ziel und sind Ausdruck der Gefahr eines erneuten Genozids. Denn auch in Şengal wird der Aufbau der demokratischen Autonomie mit ihrem Konzept einer freien, multiethnischen, multireligiösen und basisdemokratischen Gesellschaft vorangetrieben, und das ist verschiedensten reaktionären Kräften ein Dorn im Auge.
Die Revolution in Kurdistan verteidigen
Neben den außenpolitischen Aspekten der türkischen Kriegspolitik setzt die türkische Regierung auch innenpolitisch weiter auf Repression und Unterdrückung. Das Regierungsbündnis AKP/MHP verliert inzwischen massiv an Unterstützung in der Bevölkerung. Dies ist auf grundlegende Probleme wie die Wirtschaftskrise, die Zerstörung der demokratischen Politik und die völlige Missachtung von Gerechtigkeit zurückzuführen. Als Reaktion auf die schwindende Unterstützung und Legitimierung durch die Bevölkerung und nur ein Jahr vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen hat die AKP-MHP-Allianz im türkischen Parlament nun neue Wahlrechtsänderungen verabschiedet, die darauf abzielen, die eigene Macht zu sichern. Mithilfe dieser am 31. März vom türkischen Parlament gebilligten Wahlrechtsänderungen sollen die Wahlen zugunsten der AKP/MHP manipuliert werden können. So wurde die Wahlhürde von zehn auf sieben Prozent gesenkt. Die Gesetzesänderung soll der faschistischen MHP den Einzug ins Parlament ermöglichen und erlaubt Präsident Erdoğan in seiner Funktion als Premierminister, mit staatlichen Mitteln Wahlkampf für die AKP zu betreiben. Parallel dazu dauern die Repressionen gegen Aktivist:innen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) weiterhin an. Tausende von ihnen befinden sich aktuell im Gefängnis. Das Verbotsverfahren gegen die HDP wurde eingeleitet, es zeigt deutlich die Haltung des türkischen Staates gegenüber einer friedlichen und demokratischen Lösung der kurdischen Frage. So wie die völkerrechtswidrigen Besatzungsoperationen der Türkei in verschiedenen Regionen Kurdistans durch den »PKK-Terror«-Diskurs legitimiert werden, so funktioniert auch das Verbotsverfahren gegen die HDP. Indem der türkische Staat und seine internationalen Verbündeten all diese Angriffe als Kampf gegen den Terror legitimieren, soll ein öffentlichkeitswirksamer Protest erschwert werden. Um die Revolution in Kurdistan auch in diesem Jahr gegen all diese Angriffe effektiv zu verteidigen, gilt es deswegen umso mehr, den Terrordiskurs zu brechen. Die weltweite Kampagne der Initiative »Justice for Kurds« für die Streichung der PKK von den »Terrorlisten« mit dem Ziel, Ende des Jahres dem Europarat über 4 Millionen Unterschriften zu übergeben, hat damit konkrete Implikationen für die aktuellen Entwicklungen in Kurdistan. Denn ein Bruch mit diesem Legitimationsdiskurs entzöge der türkischen Kriegspolitik den Boden und würde der Gesellschaft in Kurdistan Luft zum Atmen verschaffen. Doch der »Terrordiskurs« ist nicht nur die Grundlage, mit deren Hilfe der Krieg in Kurdistan seit Jahrzehnten fortgesetzt werden kann. Er dient auch dazu, die am besten organisierte und erfahrenste demokratische Kraft im Mittleren Osten zu kriminalisieren. Eine Stärkung der kurdischen Freiheitsbewegung, die eine von der kapitalistischen Moderne unabhängige Agenda durchsetzt und am Beispiel von Rojava auch konkret den Aufbau der demokratischen Moderne vorantreibt, ist gleichbedeutend mit der Stärkung aller alternativen, demokratischen Akteur:innen weltweit.
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Das russische Wort »Mir« bedeutet gleichzeitig »Welt« und »Frieden«.
Abdullah Öcalan, Soziologie der Freiheit. (= Manifest der demokratischen Zivilisation, 3. Band). Münster 2020, S. 176.
Fünfter Band von Abdullah Öcalans »Manifest der demokratischen Zivilisation«, noch nicht in deutscher Übersetzung erschienen.
Partiya Demokrata Kurdistanê, Demokratische Partei Kurdistans, auf deutsch auch KDP abgekürzt.[1]