Von #Ismail Küpeli#
Die Türkei verfolgt seit der Etablierung einer Selbstverwaltungsdemokratie in der syrisch-kurdischen Region Rojava eine feindselige Politik gegen dieses multiethnische Projekt im Norden Syriens, die darauf zielt, Rojava zu zerschlagen oder zumindest zu schwächen. So hat die Türkei die türkisch-syrische Grenze dichtgemacht und lässt nicht mal humanitäre Hilfen nach Rojava passieren. Dadurch können etwa Schulen und Krankenhäuser nicht aufgebaut werden, weil Baustoffe fehlen. Auch an anderen Ressourcen, die importiert werden müssen, mangelt es. Güter, die in Rojava benötigt werden, müssen mühsam und unter Lebensgefahr illegal über die türkisch-syrische Grenze gebracht werden oder über ebenfalls gefährliche Routen durch den Nordirak.
Die Türkei setzt bei ihrer feindlichen Politik aber schon länger nicht allein auf die Grenzblockade. Islamistische und jihadistische Gruppen, die bereit waren, gegen Rojava zu kämpfen, wurden und werden von der Türkei mit Waffen, Geld und Rückzugsräumen in der Türkei unterstützt. Selbst der «Islamische Staat» konnte jahrelang recht ungestört über die Türkei Waffen, Kämpfer und Geld nach Syrien bringen. Dies ist nicht anders zu erklären als durch eine aktive Duldung der Türkei, die den IS lange als ein Werkzeug zur Bekämpfung Rojavas angesehen hat. Während der IS vor dem Sieg der syrisch-kurdischen YPG und YPJ in Kobanê sogar das Überleben des Projekts Rojava zu bedrohen schien, haben die übrigen islamistischen und jihadistischen Gruppen nie ein solches Potenzial erreicht. Aber sie konnten Rojava in einem militärischen Dauerkonflikt mit entsprechenden negativen Folgen für die politische und soziale Entwicklung halten und boten sich als Deckmantel und Fußtruppen für auch direkte Interventionen der türkischen Armee an.
Von der Eindämmung ...
Als der IS nach seinen Niederlagen in Syrien und im Irak an Schlagkraft verloren hatte und erkennbar war, dass andere islamistische und jihadistische Gruppen Rojava ebenfalls nicht ernsthaft gefährden konnten, musste die Türkei direkter vorgehen. Die türkische Militärintervention in Nordsyrien ab Ende August 2016 sollte dazu dienen, die Vereinigung der Rojava-Kantone Kobanê und Afrin zu verhindern und Rojava insgesamt zu schwächen. Allerdings wäre zu diesem Zeitpunkt ein direkter Angriff der Türkei auf Rojava außenpolitisch nicht haltbar gewesen, weil die USA im Anti-IS-Kampf auf die syrisch-kurdischen Kräfte angewiesen waren. So hat die Türkei in Gebiete interveniert, die bis dahin unter IS-Herrschaft standen, wie etwa in der Grenzstadt Jarabulus. Zu ernsthaften Kämpfen zwischen der türkischen Armee, ihren syrisch-arabischen Verbündeten und dem IS kam es zunächst nicht. Im Gegensatz dazu gab es einige Gefechte mit den «Syrischen Demokratischen Kräften», einer Allianz von YPG, YPJ und kleineren arabischen Milizen in Rojava. Gerade hier zeigte sich, dass die syrisch-arabischen Verbündeten der türkischen Armee keine militärische Schlagkraft besaßen und untereinander heillos zerstritten sind. Für die Eroberung der vom IS besetzten Stadt al-Bab brauchten sie mehrere Monate. In Jarabulus kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen der verschiedenen protürkisch-islamistischen Kräfte untereinander. Es wurde offensichtlich, dass mit dem bisherigen Ansatz (begrenzter Einsatz der türkischen Armee, während syrisch-arabische Milizen das Hauptkontingent an Fußtruppen stellen) kein Erfolg gegen Rojava möglich ist.
... zum Angriff
Die jetzige türkische Offensive gegen Afrin setzt folgerichtig deutlich weniger auf syrisch-arabische Kräfte, sondern viel stärker auf die militärische Kraft der türkischen Armee selbst. Der direkte Angriff auf Rojava ist indes nicht zuletzt dadurch möglich geworden, dass die Großmächte USA und Russland diesen Angriff dulden – mit jeweils unterschiedlichen Motiven. Für die USA hat der Anti-IS-Kampf deutlich an Relevanz verloren, nachdem der IS weitgehend zerschlagen ist. Er herrscht nur noch in einem kleinen Restgebiet an der syrisch-irakischen Grenze und musste sich aus allen bedeutenden Städten zurückziehen. Damit ist die Notwendigkeit der US-Kooperation mit der YPG und YPJ hinfällig und die Zweckpartnerschaft kann jetzt aufgekündigt werden. Für Russland hingegen dient die türkische Offensive auf Rojava als Druckmittel, um Rojava zu einer Unterordnung unter dem Assad-Regime zu zwingen. Wie auch inzwischen von Rojava-PolitikerInnen bestätigt wurde, hat Russland die Kurden im Vorfeld der Afrin-Offensive vor folgende Wahl gestellt: Entweder gibt Rojava das Bestreben einer eigenständigen Politik auf und übergibt z.B. die Grenzposten an Assad-Truppen – oder die Türkei bekommt grünes Licht für eine Militärintervention. Die politische Führung des Kanton Afrin lehnte ab, und die Intervention begann.
Aus der Perspektive Rojavas wiederholt sich in Afrin die aus dem Kampf um Kobanê 2014 bekannte Situation: Damals wie heute muss sich das Projekt der demokratischen Selbstverwaltung militärisch bewähren, d.h. die Angriffe abwehren können, um als eigenständiger politischer Faktor ernst genommen zu werden und nicht zur bloßen Schachfigur der Großmächte degradiert zu werden. Wenn die türkische Offensive eigenständig abgewehrt werden kann, wird die russische Erpressung nicht greifen können. Ansonsten droht neben einer türkischen Besetzung auch die Gefahr, dass Rojava, um das nackte Überleben zu sichern, sich wieder dem Assad-Regime unterordnen muss und damit die demokratischen Errungenschaften der letzten Jahre in Frage gestellt werden.[1]